Putins Truppen werfen 300-Kilo-Bombe auf Klinik – USA rüsten Ukraine weiter auf

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Putins Truppen werfen 300-Kilo-Bombe auf Klinik – USA rüsten Ukraine weiter auf

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Immer wieder setzen Russlands Truppen im Gebiet um Charkiw Gleitbomben ein. Die Folgen sind oftmals verheerend. (Archivfoto) © Sergey Bobok/AFP

Russlands Infanterie steckt vor Charkiw fest, ihre Gleitbomben fallen weiter. USA denken daher um und bevorzugen die Ukraine mit Patriot-Lieferungen.

Charkiw – „Von den Russen zurückgedrängt, müssen die Ukrainer nun erleben, dass ihre Stellungen zu Todesfallen werden“, schreibt Gernot Kramper. Im Stern hatte der Autor im März über den verstärkten Einsatz russischer Gleitbomben berichtet. Offenbar eskaliert die Situation weiter: Eine drei Tonnen schwere Gleitbombe soll jetzt im Dorf Lyptsi nahe Charkiw niedergegangen und dort neben einer Klinik eingeschlagen sein, wie der Defense Express berichtet. Das Magazin bezieht sich auf ein Video des russischen Militärbloggers „Fighterbomber“ auf X (vormals Twitter), das aber nicht unabhängig zu überprüfen ist.

Wladimir Putin verstärkt möglicherweise den Krieg gegen die Zivilbevölkerung, weil ihm die Mittel ausgehen, um die Ukraine militärisch in die Knie zu zwingen. Wie auf dem Video zu sehen ist, scheint das Gebäude aber bereits vorher eine Ruine beziehungsweise verlassen gewesen zu sein.

„Das russische Ziel war, zumindest auf Artillerie-Reichweite auf Charkiw vorzustoßen, – also nicht die Stadt selber einzunehmen, dazu wären sie logistisch nicht in der Lage, sondern so weit vorzurücken, um die Stadt glaubwürdig bedrohen oder glaubwürdig beschießen zu können“, sagt Marcus Keupp im ZDF. „Allerdings ist der Vormarsch ziemlich stark und ziemlich schnell zum Erliegen gekommen. Sie sind ab der ukrainischen Grenze ungefähr drei oder vier Kilometer vorgedrungen und wurden dann gestoppt“, erläutert Keupp. Der Militärökonom der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich spricht im ZDF von den Auseinandersetzungen im Dreieck der Siedlungsräume Charkiw, Lyptsi und Wowtschansk.

Die neue Dimension der Gleitbomben: Putins drei Tonnen schwerer Sprengsatz

Der Einsatz von Gleitbomben ist Russlands vorrangiges Mittel, um ihrer Infanterie so kostengünstig wie gnadenlos den Weg im Ukraine-Krieg zu ebnen – eine Bombe, die mittels Stabilisatoren nicht mehr nur steil nach unten fällt, sondern über mehrere Kilometer einer Flugbahn folgt, damit ihr Trägersystem außerhalb der Reichweite der Luftabwehr bleiben kann. Die Die FAB-3000 M-54 stellt die neue Dimension russischer Gleitbomben dar, wie der Defense Express deutlich macht: Sie ist demnach 3,3 Meter lang, besitzt, einschließlich Stabilisator, einen Durchmesser von einem Meter und verfügt über ein Gesamtgewicht von 3.067 Kilogramm – davon entfallen 1.200 Kilogramm auf Sprengstoff. „Daher ist ein Fehlschuss einer Bombe um sogar ein paar Dutzend Meter weniger schlimm als bei der FAB-250 oder FAB-500“, schreibt Defense Express.

„Wir werden die Prioritäten für die Lieferung dieser Exporte neu setzen, so dass die Raketen, die vom Band laufen, nun an die Ukraine geliefert werden.“

Die Region um Charkiw ist aktuell der vorrangige Fokus der russischen Invasionsarmee und ihres Bombenterrors. „Ihr Ziel ist es, die Stadt in eine Geisterstadt zu verwandeln, so dass niemand mehr dort bleibt, dass es nichts mehr zu verteidigen gibt, dass es keinen Sinn mehr macht, die Stadt zu verteidigen. Sie wollen den Menschen Angst einjagen, aber das wird ihnen nicht gelingen“, sagt Oleksandr Lutsenko, wie das Nachrichten-Magazin Euronews berichtet hat. Lutsenko ist Filialleiter eines Einkaufszentrums, das inzwischen zerstört wurde. Charkiw und seine Umgebung liegen über den ganzen Juni hinweg unter schwerem Beschuss.

Russlands Terror gegen Zivilisten: „Katastrophale Bedingungen“ rund um Charkiw

Indes nimmt die Intensität der jüngsten russischen Angriffe zu. Im Mai seien so viele Zivilisten getötet worden, wie in keinem Monat zuvor seit Juni vergangenen Jahres, sagte Joyce Msuya Anfang Juni im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN). Die Untergeneralsekretärin für humanitäre Angelegenheiten und stellvertretende Nothilfekoordinatorin berichtete von mindestens 174 toten und 690 verletzten Zivilisten. „Mehr als die Hälfte dieser Opfer sind auf die Kämpfe in Charkiw zurückzuführen“, berichtete sie laut den UN und stellte fest, „dass in den letzten Wochen Einkaufszentren, Wohnhäuser, Bildungseinrichtungen, Geschäfte, Bürogebäude, Parks und öffentliche Verkehrsmittel getroffen worden seien. Nach Schätzungen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) wurden in der Region Charkiw mindestens 18.000 Menschen neu vertrieben.“

Sie stellte laut einer UN-Pressemitteilung fest, dass die Zivilisten, die in den Frontgebieten in Charkiw bleiben, „katastrophalen Bedingungen“ ausgesetzt seien – sie hätten keinen Zugang zu Nahrungsmitteln, medizinischer Versorgung, Strom und Gas – und betonte, dass ältere Menschen überproportional betroffen seien, weil sie ihre Häuser oft nicht verlassen könnten oder wollten. Für sie sei demnach „zutiefst besorgniserregend, dass die systematischen Angriffe auf die Energieinfrastruktur der Ukraine – ein Merkmal dieses Krieges seit Februar 2022 – anhalten.“

Die USA denken um: Ukraine wird künftig bevorzugt mit Patriot beliefert

Die drei Tonnen schweren Freifallbomben sollen die schwersten Sprengkörper der russischen Luftwaffe sein, wie Defense Express bereits im März berichtet hat – zu der Zeit arbeitete Russland wohl noch daran, diese Bomben „smart“ zu machen, also zu einem Lenkflugkörper umzurüsten. Dies geschah laut Defense Express mittels des „UMP“ (Russisch: Universalnyi Modul Planirovania I Korrekcii; Deutsch in etwa: einheitliches Gleit- und Korrekturmodul).

Das System habe laut Defense Express für die 500- und 1.500 Kilogramm-Variante bereits existiert, musste aber umgerüstet werden. Eine Schwierigkeit sieht das Magazin im Trägerflugzeug diese Masse scheint lediglich der strategische Bomber Tu-22M3 bewegen zu können. Defense Express bezweifelt allerdings, dass Russland diese Maschinen der Gefahr russischer Flugabwehr aussetzen will. Über Mariupol war die Maschine wohl bereits eingesetzt worden, allerdings hatte die ukrainische Luftabwehr damals auch weniger Feuerkraft gehabt.

Russlands Oberkommando wird künftig damit konfrontiert werden, dass die Vereinigten Staaten „vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedrohung durch den Einsatz russischer Gleitbomben in der Ukraine ihre Politik geändert und der Lieferung von Patriot-Abwehrraketen an die Ukraine Vorrang eingeräumt haben, wie das Institute for the Study of War (ISW) unter Bezug den Sender CBS schreibt. „Wir werden die Prioritäten für die Lieferung dieser Exporte neu setzen, sodass die Raketen, die vom Band laufen, nun an die Ukraine geliefert werden“, sagte John Kirby. „Dadurch wird sichergestellt, dass wir die Ukraine mit den Raketen versorgen können, die sie braucht, um ihre Vorräte in einem entscheidenden Moment des Krieges aufrechtzuerhalten“, führt der nationale Kommunikationsberater des Weißen Hauses aus.

Selenskyj auf G7-Gipfel: Sieben Patriot-Systeme fehlen zur Rettung der Städte

CBS meldet, die ersten Raketenlieferungen an die Ukraine würden ihm zufolge in den kommenden Wochen erfolgen, und diese ersten Lieferungen noch vor Ende des Sommers die Ukraine erreichen. Er bezeichnete die Neupriorisierung als „schwierige, aber notwendige Entscheidung“. Danach werden die Bestellungen von Luftabwehrraketen in den kommenden 16 Monaten, insbesondere der Patriot, neu sortiert: Gegenüber der Ukraine müssten sich alle Besteller hinten anstellen. Kirby zufolge bestünde über die Priorisierung der Ukraine unter den betroffenen Länder weitgehende Übereinstimmung, wie CBS weiter berichtet.

Das ISW geht nach eigenen Angaben weiterhin davon aus, „dass die Fähigkeit der Ukraine, sich gegen verheerende russische Gleitbombenangriffe zu verteidigen, in hohem Maße von der Fähigkeit des Landes abhängt, russische Flugzeuge im russischen Luftraum mit von den USA bereitgestellten Luftabwehrsystemen anzugreifen, bevor russische Flugzeuge Angriffe auf ukrainische Städte, kritische Infrastruktur und Frontpositionen starten können“. Rumänien hat aktuell angekündigt, ebenfalls ein Patriot-System an die Ukraine abzugeben, macht aber zur Bedingung, das durch die USA ersetzt zu bekommen, wie der Oberste Nationale Verteidigungsrat beschlossen hat.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und Außenminister Dmytro Kuleba haben nach einem Lagebericht des ISW kürzlich betont, dass die Ukraine weitere Patriot-Systeme benötige. CBS zitiert ihn mit einer dezidierten Aufforderung, die er während des G7-Gipfeltreffens in Italien ausgesprochen hatte: „Wir brauchen dringend sieben Patriot-Systeme – ja, um unsere Städte zu retten.“ 

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