„Spießrutenlauf durch die Flugabwehr“: F-16-Piloten der Ukraine sollen Putin in die Knie zwingen
Der Countdown läuft: Spätestens im kommenden Monat sollen die ersten F-16 „Viper“ in der Ukraine landen – von deren Piloten wird ein Wunder erwartet.
Kiew – „Der Abschluss der Grundausbildung bedeutet, dass Piloten in der Lage sind, Kampfaufgaben bei Tageslicht und gutem Wetter zu erfüllen“, sagte Oleksij Melnyk gegenüber n-tv. Der ehemalige Politiker war selbst Jetpilot und sieht dem Nutzen der bevorstehenden Lieferung des als „Viper“ bekannten Modells des Kampfflugzeuges F-16 an die Ukraine mit einer gewissen Skepsis entgegen; allerdings glaubt er fest daran, dass die westlichen Flieger Wladimir Putin in die Knie zwingen könnten – vor allem aufgrund ihrer technischen Überlegenheit.
Im Juni beziehungsweise spätestens im Juli sollen die ersten Maschinen an der Front auftauchen; der litauische Verteidigungsminister Arvydas Anušauskas hatte laut Newsweek geäußert, dass seiner Einschätzung nach die erste Tranche F-16 irgendwann im Juni in der Ukraine eintreffen würde. Laut der Tagesschau soll die Ukraine insgesamt 61 F-16 aus Norwegen, Dänemark, den Niederlanden und Belgien erhalten. Belgien will erst zum Jahresende liefern, wie Newsweek schreibt.
Für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj kommt alles zu spät und in zu geringer Stückzahl: „Die Russen setzen 300 Flugzeuge auf dem Territorium der Ukraine ein. Wir brauchen mindestens 120, 130 F-16-Flugzeuge, um am Himmel Widerstand zu leisten“, sagt er aktuell in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters.
Moderne Kampfjets sind technisch so ausgereift, dass sie sich nur noch in Ausnahmefällen direkt in der Luft gegenüberstehen. Ausgestattet mit Computern, Sensoren, Täuschkörpern und selbstlenkenden Raketen kämpfen die Jets aus großer Entfernung – sowohl in der Luft als auch gegen Ziele am Boden.
Melnyk sieht die Schwachstelle des Fliegers höchstens im Cockpit sitzen, wie er andeutet. Ähnlich klingt Radio Free Europe in dessen Beitrag, in dem ein Golfkriegs-Veteran zu Wort kommt: Keith Rosenkranz sieht die jungen ukrainischen Piloten ihren russischen Gegnern unterlegen – zumindest anfangs. „Zu seinen eigenen Kampfeinsätzen kam der amerikanische Pilot erst, nachdem er mehr als 1200 Flugstunden in einem Trainingsflugzeug absolviert hatte und danach mehr als ein Jahr lang nicht kampffähig in der F-16 geflogen war. Trotz dieser langen Vorlaufzeit waren seine ersten Kriegseinsätze ‚furchterregend‘“, berichtet Radio Free Europe über Rosenkranz‘ Äußerungen..
Piloten der Ukraine müssen bei Schallgeschwindigkeit drei Dimensionen beherrschen
Die Beschleunigung eines modernen Jets sei „atemberaubend“, sagt Joachim Vergin gegenüber der Deutschen Welle. Der ehemalige Pilot der deutschen Luftwaffe berichtet davon, dass die Maschinen selten unter 900 Kilometern pro Stunde flögen – dabei müsse der Pilot im Gefecht noch eine Vielzahl an Waffensystemen bedienen; außerdem kämpfen, ausweichen, verteidigen, wie die Deutsche Welle schreibt. Im Ernstfall unter Gefahr für sein eigenes Leben – oft bei Schallgeschwindigkeit, also bei rund 1300 Kilometern pro Stunde. Als wäre das nicht genug, spielt sich alles im dreidimensionalen Raum ab.
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Der Luftkampf, wie er zu sehen ist in Spielfilmen aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, gehört allerdings der Geschichte an. „Moderne Kampfjets sind technisch so ausgereift, dass sie sich nur noch in Ausnahmefällen direkt in der Luft gegenüberstehen. Ausgestattet mit Computern, Sensoren, Täuschkörpern und selbstlenkenden Raketen kämpfen die Jets aus großer Entfernung – sowohl in der Luft als auch gegen Ziele am Boden“, schreibt die Bundeswehr in ihrem Magazin Y. Und auch die F-16 werde wohl eher als Artillerie am Himmel eingesetzt – das vermutet jedenfalls David Kern, wie Radio Free Europe den Testpiloten der US-Luftwaffe zitiert.
US-Pilot vermutet tiefe Angriffe auf strategische Ziele in Russland
Kämpfe zwischen den Flugzeugen aus der kürzeren Distanz wird es in diesem Krieg kaum geben, vermutet auch Oleksij Melnyk. Der US-Pilot Kern rechnet gegenüber Radio Free Europe eher mit Angriffen ukrainischer Flieger auf russische Ziele – womöglich auch auf deren eigenem Territorium: „Es würde mich nicht überraschen, wenn die Ukrainer die F-16 nutzen würden, um den Kampf nach Russland zu tragen, indem sie einige sehr tiefe Angriffe auf strategische Ziele in Russland durchführen.“
Insofern würde die F-16 als Flugzeug keine entscheidende Rolle spielen, sie diente dann eher als reines Trägersystem. Der ukrainische Ex-Botschafter Melnyk hatte gegenüber n-tv bereits im vergangenen Jahr geäußert, dass die Ukraine überhaupt westliche Maschinen benötigte, von der F-16 wäre explizit keine Rede gewesen; allerdings sei der US-Flieger das weltweit am weitesten verbreitete Flugzeug; Melnyk deutete an, dass er beispielsweise auch Tornados genommen hätte. Mitte 2023 hatte beispielsweise die Bundeswehr laut der Tagesschau 93 Maschinen dieses Typs im Bestand – die sollen sukzessive durch die F-35 ersetzt werden. Auch Italien und Saudi-Arabien nutzen den Kampfjet-Oldtimer noch. Als Alternative wäre der Eurofighter geblieben, von denen sind aber innerhalb der Nato nur etwas mehr als 500 Maschinen einsatzbereit, wie die Flugrevue schreibt.
Melnyk führt gegenüber n-tv reinen Pragmatismus für die Entscheidung an: „Wenn wir unter Bedingungen der friedlichen Zeit gesprochen hätten, hätte es bessere Alternativen gegeben, was Parameter wie Wartungskosten oder Anforderungen an die Qualität der Rollfelder angeht. Aber im Endeffekt entscheidet alles die Frage: Was können wir schnell erhalten, das einsetzbar, konkurrenzfähig und in größerer Stückzahl verfügbar ist?“, wie er sagte. Verfügbarkeit ist auch eine Frage bezüglich des Personals. Laut verschiedener Medienberichte sollen die auf die F-16 zu schulenden Piloten bereits über Flugerfahrung verfügen, allerdings hat die Ukraine laut dem von FlightGlobal aktuell veröffentlichten Luftwaffen-Index nur rund 130 Kampfflugzeuge im Bestand.
Der schwere Kampf gegen die Schwerkraft und gegen Putins Luftabwehr
Insofern dürften in der Ukraine auch ausreichend erfahrene und geeignete Piloten schwer zu finden sein. Aufgrund der Agilität und der Dynamik eines modernen Fliegers wie beispielsweise eines Eurofighters stiegen die körperlichen Anforderungen an die Piloten, sagt Dietrich Springer gegenüber dem österreichischen Sender news.at. Und als Teil der Red-Bull-Flugshow äußert der Major der österreichischen Luftwaffe zur Wirkung der vielfachen Gravitation (G-Kraft): „Wenn neun ‚G‘ wirken, dann wiegt dein Körper plötzlich neunmal so viel wie normal. Inklusive Ausrüstung und allem können das schon mal 800 Kilo sein. Das Herz-Kreislauf-System wird dadurch extrem gefordert. Das Herz ist es gewohnt, dass es das Blut bis zum Hirn nur circa 50 Zentimeter nach oben pumpen muss. Durch die wirkenden Kräfte ist die Distanz plötzlich neunmal so hoch. Da kann es passieren, dass der Blutdruck nicht mehr ausreicht, um das Gehirn zu versorgen.“
Davon abgesehen könne der Auftrag den ukrainischen F-16-Piloten auch anderweitig zu schaffen machen, wie Keith Rosenkranz in seinem Buch „Vipers in the Storm“ über seinen Kriegs-Einsatz darlegt. „Rosenkranz vermittele die Ironie, dass Männer, die jahrelang im Luftkampf ausgebildet wurden, zu Bodenangriffen geschickt werden – der gefährlichsten Art von Mission für eine F-16“, schreibt das Literatur-Magazin Publishers Weekly: Rosenkranz „betont die Synergie moderner Elektronik und menschlicher Fähigkeiten, die erforderlich sind, wenn man kleine Ziele aufspürt, während man Spießruten laufen muss, während man von Flugabwehrfeuer getroffen wird“, so die Rezension seines Buches weiter.
„Es ist eine Sache, auf eine Übungsmission zu gehen, um Bomben auf ein Scheinziel abzuwerfen oder in einem Luft-Luft-Szenario gegen ungleiche Flugzeuge anzukämpfen“, sagt Rosenkranz ergänzend gegenüber Radio Free Europe, kurz bevor die ukrainischen Piloten gegen Russland ins Gefecht ziehen. „Eine ganz andere Sache ist es jedoch, beides zu tun, wenn ein Feind versucht, Sie zu töten.“
Oder, ganz banal, wie er in seinem Buch geschrieben hat: Der Himmel vergebe keine Fehler. (Karsten Hinzmann)