Experte: Ukraine "entgleitet die Überlegenheit in der Drohnenkriegsführung"

An der Südfront im Gebiet Saporischschja musste die ukrainische Armee zuletzt mehrere Orte aufgeben. Nicht verloren geben will Wolodymyr Selenskyj aber die seit einem Jahr umkämpfte strategisch wichtige Bergbaustadt Pokrowsk im Gebiet Donezk. Dabei gibt es Kritik, dass der ukrainische Präsident aus Angst vor der größten Niederlage dieses Kriegsjahres zu große Verluste in Kauf nimmt.

Der Ukraine "entgleitet nach und nach die Überlegenheit in der Drohnenkriegsführung"

Militäranalyst Franz-Stefan Gady hat im Interview mit "t-online" über die Situation an der Front im Donbass gesprochen. "Die Todeszone verschiebt sich immer weiter hinter die ukrainischen Linien. Als solche wird das Gebiet bezeichnet, in dem Drohnen nahezu andauernd im Einsatz sind und gegnerische Ziele angreifen." Während die Todeszone zu Beginn des Jahres auf der russischen Frontlinie lag, hat sich diese bis zu 40 Kilometern hinter die ukrainischen Stellungen verschoben. Nach Einschätzung des Militäranalysten würde der Ukraine "nach und nach die Überlegenheit in der Drohnenkriegsführung entgleiten".

Im Gespräch mit "t-online" erklärt Gady weiter: "In dieser Todeszone machen die Russen systematisch Jagd auf die Ukrainer, vor allem ihre Drohnenlogistik und -teams. Die Speerspitze dieser Taktik sind die Rubikon-Einheiten, mittlerweile gibt es aber auch andere, ähnliche Drohnentrupps. Die gefährlichste Zone liegt auf den ersten paar Kilometern ab den vordersten Stellungen. Diese sind jedoch nur noch selten trennscharf und verschwimmen vor allem im Donbass."

In Pokrowsk tobt ein Häuserkampf

Gesichert ist, dass russische Soldaten in der Stadt Pokrowsk sind. Sie machten sich zuletzt vor allem das nebelige Wetter zu Nutzen, um mit Fahrzeugen und Technik vorzudringen. In der Stadt, die einmal 60.000 Einwohner hatte, tobt ein Häuserkampf. Ansonsten gehen die Darstellungen der Kriegsparteien auseinander.

Die Ukraine spricht von mehr als 300 Russen in der Stadt. Beobachter gehen von deutlich höheren Zahlen und einer weitgehenden russischen Kontrolle über die Stadt aus. Die schwersten Kämpfe toben demnach in deren Industriegebiet.

Russland behauptet täglich, dort seien ukrainische Truppen umzingelt, der Kreis um sie werde enger geschnürt, die Einheiten würden vernichtet. Täglich meldet Moskau auch eine nicht überprüfbare Zahl neu eingenommener Gebäude. Der ukrainische Generalstab weist darauf hin, dass Truppen eingekesselt seien. Zugegeben werden Nachschubprobleme bei der Versorgung der Einheiten.

"Die Rolle der Infanterie ist dadurch noch passiver geworden"

Militäranalyst Gady sagte "t-online" dazu: "Die Rolle der Infanterie ist dadurch noch passiver geworden als bei meinem letzten Besuch im Sommer. Die ukrainischen Infanteristen wehren sich nur noch dann aktiv mit Handfeuerwaffen, wenn die Russen sie entdecken und in ihre Stellungen eindringen." Ansonsten verstecke sich die ukrainische Infanterie versteckt und lasse sogar die russischen Truppen teilweise durchziehen. Sonst drohe die Gefahr, zum "Ziel von Drohnen, Artillerie und Gleitbomben zu werden".

Ukrainischer Armeechef: "Der Kampf geht weiter"

Ukraines Armeechef Oleksander Syrskyj berichtete Mitte der Woche nach einem Besuch in der Nähe: "Der Kampf geht weiter!" Aufgabe der ukrainischen Truppen sei es, Bereiche der Stadt unter Kontrolle zu nehmen, um Versorgungswege für die Verteidiger zu schützen und auch die Evakuierung von Verletzten zu gewährleisten.