Deutsche Industrie erholt sich: Kommt es trotzdem zur Rezession?
Experten hatten für die deutsche Industrie nur einen leichten Anstieg prognostiziert. Überraschenderweise kam es doch zu einem Auftragsplus in diesem Jahr.
Frankfurt – Trotz neuer Rezessionssorgen verzeichnete die deutsche Industrie im Juni ihr erstes Auftragsplus in diesem Jahr. Dank der erhöhten Binnennachfrage stiegen die Bestellungen überraschend stark um 3,9 Prozent im Vergleich zum Vormonat, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten nur mit einem Anstieg von 0,5 Prozent gerechnet, nachdem es zuvor fünf Rückgänge in Folge gegeben hatte. Einen kräftigeren Zuwachs gab es zuletzt im Dezember 2023.
Überraschung für die Deutsche Industrie: Zahlen doch besser als geschätzt
Im April berichtete das Bundeswirtschaftsministerium, dass die globale Industriekonjunktur um 0,4 Prozent im Vergleich zum Vormonat und um 2,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat gestiegen war. Für Deutschland führte dieser weltweite Anstieg zu einem Plus von 0,2 Prozent.
Überraschenderweise verzeichnete die Industrie im Juni jedoch deutlich bessere Zahlen mit einem Zuwachs von 3,9 Prozent im Vergleich zum Vormonat.
Bundeswirtschaftsministerium warnt vor zu viel Optimismus – „Breite Belebung der Industrie unwahrscheinlich“
„Es gibt sie noch, die guten Nachrichten“, kommentierte LBBW-Ökonom Jens-Oliver Niklasch die unerwartete Entwicklung. „Um wirklich mal Zuversicht für die Industrie zu schöpfen, muss noch mehr zusammenkommen. Der Abwärtstrend ist damit nicht gebrochen.“
Das zeigt auch der Vergleich der Quartale: Obwohl der Juni stark war, lagen die Aufträge im zweiten Quartal um 1,4 Prozent unter dem Niveau der ersten drei Monate des Jahres.
Daher warnt auch das Bundeswirtschaftsministerium vor zu viel Optimismus. „Eine breitere Belebung der Industriekonjunktur ist angesichts der weiterhin gedämpften Stimmung in den Unternehmen und der noch schwachen Auslandsnachfrage vorerst nicht wahrscheinlich“, hieß es.
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Industrie- und Handelskammer sieht keine Entwarnung
Auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) ist nicht überzeugt und sieht noch keinen Grund zur Entwarnung. „In den ersten beiden Quartalen sind die Bestellungen jeweils deutlich gesunken“, sagte DIHK-Konjunkturexperte Jupp Zenzen. „Die deutsche Industrie läuft Gefahr, wegen vielfältiger struktureller Probleme wie hohen Kosten, Bürokratie und Fachkräftemangel an Wettbewerbsfähigkeit einzubüßen.“
Deutsche Bundesbank: Umfassende Erholung noch nicht möglich
Experten der Deutschen Bundesbank sind guter Dinge. „Im zweiten Quartal 2024 dürfte die Wirtschaftsleistung erneut etwas ansteigen“, prognostizieren die Fachleute. Sie erwarten positive Impulse vom privaten Konsum und eine fortschreitende Erholung im Dienstleistungssektor. In der Industrie könnten sich die energieintensiven Branchen moderat erholen. Aber auch sie sagen: Für eine umfassende Erholung fehle es zurzeit noch an einem breit angelegten Anstieg der Neuaufträge.
Autoindustrie verzeichnet deutlichen Anstieg
Die positive Auftragsentwicklung im Juni ist insbesondere auf den deutlichen Anstieg in der Automobilindustrie zurückzuführen, betonte das Statistikamt. Hier gab es ein Plus von 9,3 Prozent zum Vormonat. Auch die Zuwächse im Bereich Herstellung von Metallerzeugnissen (plus 9,8 Prozent) und im sonstigen Fahrzeugbau wie Flugzeuge, Schiffe und Züge (plus 11,7 Prozent) wirkten sich positiv aus. Dagegen sank die Nachfrage bei den Herstellern von Datenverarbeitungsgeräten, elektronischen und optischen Erzeugnissen um 7,9 Prozent.
Die Aufträge aus dem Inland stiegen im Juni um 9,2 Prozent, die aus dem Ausland legten dagegen nur um 0,4 Prozent zu. Dabei wuchs das Neugeschäft mit Ländern außerhalb der Euro-Zone um 0,9 Prozent, während das mit der Währungsunion um 0,3 Prozent schrumpfte. Ohne die oft stark schwankenden Großaufträge legten die Bestellungen um insgesamt 3,3 Prozent zu.
Die Angst vor der Rezession
Die deutsche Wirtschaft insgesamt blickt auf ein schwaches erstes Halbjahr zurück. Zwar reichte es im ersten Quartal zu einem Wachstum des Bruttoinlandsproduktes von 0,2 Prozent. Dafür schrumpfte die Wirtschaft im zweiten Quartal um 0,1 Prozent. Folgt ein zweites Minus im laufenden Sommerquartal, würde Europas größte Volkswirtschaft in einer Rezession stecken. Mit Material von Reuters.