Karenztage als Druckmittel gegen Blaumachen?
Gewerkschaften und Sozialverbände kritisieren die Debatte um möglich Karenztage, in denen Arbeitnehmer im Krankheitsfall keine Lohnfortzahlung erhalten.
Die wieder aufgekommene Debatte, ob Karenztage eingeführt werden sollen, um so die Kosten für Arbeitgeber zu senken, findet auf Gewerkschaftsseite keinen Anklang. Tim Lünnemann, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) Region München, kündigt gegenüber dem Münchner Merkur entschlossen an: „Wer da etwas ändern möchte, wird sich mit den Gewerkschaften anlegen!“
„Ich sehe bei dem aktuellen System überhaupt keinen Änderungsbedarf“
Die Fortzahlung des Lohns im Krankheitsfall ist in Deutschland gängige Praxis. In anderen europäischen Ländern, zum Beispiel Spanien, Schweden und Griechenland, gelten jedoch andere Regeln. Dort gibt es sogenannte Karenztage – in der Regel erhalten Arbeitnehmer für die ersten Krankheitstage keinen Lohn, erst ab einer bestimmten Ausfalldauer zahlt der Arbeitgeber, oft sogar nur anteilig. Dies soll in erster Linie Kosten einsparen, aber auch die Beschäftigten vom Blaumachen abhalten. „Ich sehe bei dem aktuellen System überhaupt keinen Änderungsbedarf. Es besteht schon lange Zeit und funktioniert sehr gut“, sagt Tim Lünnemann. Eine Reform würde lediglich dazu führen, dass Arbeitnehmer trotz Erkrankungen arbeiten würden, da ihnen sonst teilweise der Lohn wegfällt.

Kosten für die Lohnfortzahlung auf 82 Milliarden Euro pro Jahr gestiegen
Forscher des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) haben sich kürzlich für eine Einschränkung der Lohnfortzahlung bei Arbeitnehmern im Fall einer Krankheit ausgesprochen. Der Ursprung dieser Idee liegt darin, dass die Kosten für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf 82 Milliarden Euro pro Jahr gestiegen sind. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 lagen die Kosten noch bei circa 65 Milliarden Euro und 2010 noch bei rund 37 Milliarden Euro. Der Vorschlag des IW: Kostensenkung durch Karenztage.
Auf Arbeitnehmerseite stößt das auf enormen Gegenwind. „Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist eine sozialstaatliche Errungenschaft, die es zu verteidigen gilt“, sagt Verena Bentele, Landesvorsitzende des Sozialverbands VdK Bayern. Zudem würden die angegebenen Kosten der Arbeitgeber durch Krankheitstage außer Acht lassen, dass kleinere Betriebe einen Teil von den Krankenkassen erstattet bekommen und größere Betriebe die Kosten durch Krankheitstage steuerlich geltend machen können, sagt Bentele.
Gesundheitsprävention wichtiger Faktor
Dabei ist oft die Rede von der Blaumacher-Nation Deutschland. „Das Thema kann ich nicht mehr hören. Wer krank ist, ist eben krank“, sagt Tim Lünnemann. Wenngleich klar ist, Ausnahmen gibt es immer. Die Debatte scheint also zu sein: Melden sich Arbeitnehmer zu schnell krank, oder ist die Arbeitswelt das Problem?

Für Verena Bentele liegt die Lösung auf der Hand: Prävention. Es brauche in jedem Unternehmen gute, gesundheitsrelevante Arbeitsbedingungen: „ergonomische Arbeitsplatzgestaltung, Stressmanagement, aber auch flexiblere Arbeitszeiten“. Das Thema betriebliches Gesundheitsmanagement spiele eine große Rolle.
Die Firma Infineon aus Neubiberg schließt daran an: „Unsere Mitarbeiter zeigen grundsätzlich Verantwortung für die eigene Gesundheit und die Gesundheit anderer.“ Eine jährliche Grippeschutzimpfung-Aktion würde zudem sehr gut angenommen werden.