Immer mehr Pflege-Heime gehen in die Insolvenz: „Lage ist dramatischer als gedacht”
Mehr als 1000 Heime mussten im Jahr 2024 schließen. Aus der Branche heißt es auch: „Ich bin insolvent gegangen, weil die Pflegekasse zu spät gezahlt hat.“
Überlastung und so wenig Personal, dass teils die Feuerwehr aushelfen muss. Die Lage in Pflegeheimen in Deutschland ist ernst und einige Häuser überleben nicht. Vergangenes Jahr gab es 1.264 Schließungen, Insolvenzen und Angebotseinschränkungen, wie der Arbeitgeberverband Pflege auf Anfrage der Frankfurter Rundschau mitteilt. 2023 hatte es rund 800 Insolvenzen gegeben.
Deutschlandkarte Heimsterben: Träger wie Argentum schließen
„Die Insolvenzwelle hat sich im Jahr 2024 fortgesetzt“, sagt Verbands-Geschäftsführerin Isabel Halletz. „Nach wie vor betreffen die wirtschaftlichen Probleme Unternehmen aller Träger“, heißt es. „Im Vergleich zu 2023 waren im Jahr 2024 weniger einzelne große Träger von Insolvenz betroffen, dafür mehr kleine und mittlere Träger.“
Der Arbeitgeberverband Pflege dokumentiert in einer „Deutschlandkarte Heimsterben“, wie stark die Branche leidet. Den Daten zufolge gibt es nahezu in ganz Deutschland Insolvenzen von Pflegeheimen. Für Schlagzeilen sorgte zuletzt der Fall des Pflegekonzerns Argentum. Dessen vier Holdinggesellschaften hatten am Anfang April Insolvenz in Eigenverwaltung beim Amtsgericht Bad Homburg beantragt. Rund 3000 Mitarbeiter sind betroffen.
Argentum verweist bei den Problemen auf die Herausforderungen der gesamten Branche – „wie Fachkräftemangel, steigende Betriebskosten, bürokratische Hürden und unzureichende Finanzierung“.

„Die Lage in der Pflege ist dramatischer als gedacht“
„Die Lage in der Pflege ist dramatischer als gedacht“, sagt auch Pflegia-Geschäftsführer Lennart Steuer. Pflegia ist eine Art Stellenbörse, die Fachkräfte im medizinischen Bereich vermittelt. Nach Angaben der Plattform sind dort etwa 370.000 Pflegekräfte und 8500 Arbeitgeber aktiv. Pflegia vermittelt auch an Heime. „Wir sehen viele Heime, die haben nachts auf 60 bis 70 Bewohner ein bis zwei Pflegekräfte, die sich um die Menschen kümmern“, sagt Steuer. „Das ist einfach viel zu wenig.“
Diese chronische Unterbesetzung gehe zulasten der Pflege. „Nehmen wir an, es passiert ein medizinischer Notfall, der beide verfügbaren Pflegekräfte beansprucht. Wenn dann ein Heimbewohner stürzt, liegt er einfach eine Stunde da und keiner kann ihm helfen, und das nur aus Kapazitätsgründen.“ Die Pflegekräfte würden teils die Feuerwehr oder die Polizei rufen: „Weil sie nicht mehr klarkommen und das Heim so unterbesetzt ist.“

Pflegeheim-Betreiber sagen: „Ich bin insolvent gegangen, weil die Pflegekasse zu spät gezahlt hat“
Steuer beobachtet auch: „Wir sehen Insolvenzen von Pflegeheimunternehmen, die sagen: ich bin insolvent gegangen, weil die Pflegekasse zu spät gezahlt hat.“ Dieses Szenario kennt auch Halletz. „Schon heute müssen die Unternehmen oftmals monatelang Mehrkosten selbst finanzieren, weil die Vereinbarung neuer Vergütungssätze mit den Pflegekassen einfach viel zu lange dauert.“ Das habe Folgen. „Dadurch geraten die Pflegeunternehmen ungewollt in finanzielle Nöte, weil Pflegekassen und Sozialhilfeträger Rechnungen zu spät oder nicht vollständig begleichen.“
Die Forderung des Arbeitgeberverbands Pflege: „In Zukunft müssen die Mehrkosten, die in der Pflege anfallen, um pflegebedürftige Menschen gut und umfassend versorgen zu können, auch sofort von den Pflegekassen übernommen werden, sobald sie anfallen“, so Halletz. „Zahlt eine Kasse nicht pünktlich, müssen Verzugszinsen anfallen – so wie es auch in anderen Branchen üblich ist. Nur so kann die stationäre Pflege auch in Zukunft gesichert werden.“
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Ob es in Zukunft besser wird, ist laut Steuer unklar. „Die Pflege ist nach wie vor nicht im Fokus der Politik“, sagt der 30-Jährige. Das habe man bei der Ampel gemerkt und sehe es nun auch im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Der scheidende Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte im Herbst 2024 eine Pflegereform angekündigt. Auf den Weg kamen Verbesserungen vor dem Bruch der Ampel-Koalition aber nicht mehr.