Jedes Stück erzählt eine Geschichte: Briefmarkensammler tauchen jetzt sogar in Krypto-Welt ein
Seit 40 Jahren treffen sich die Briefmarkenfreunde Ismaning und tauschen ihre Schätze. Von denen gibt es im Zeitalter der E-Mail aber immer weniger. Und so haben sich die Sammler in die Krypto-Welt gewagt.
Stolz blättert Dieter Bauer durch sein Briefmarkenalbum. „Ich habe mit San Marino angefangen, weil mein Vater dort im Krieg 16 Mal verschüttet wurde“, erzählt er. Früher fuhr seine Familie jedes Jahr nach Italien in den Urlaub. Einmal zeigte Bauers Vater ihm das Zollhäuschen, in dem er stationiert war. Mit der Sammelleidenschaft hat sein Sohn es geschafft, Frieden mit dem Ort zu schließen. „Die Marken sind wunderschön“, sagt Bauer. „Groß, bunt und großartige Motive.“ Über 100 Blöcke hat Bauer vollgemacht.
Wenn seine Kinder heute im Urlaub sind, bringen sie ihm immer Briefmarken mit. Die besten nimmt Bauer mit zum Stammtisch. Jeden dritten Donnerstag treffen sich die sieben Briefmarkenfreunde beim Neuwirt in Ismaning. Seit Anton Eberl den Verein 1984 gegründet hat, ist die Gaststätte das Vereinsheim. In den 90er Jahren hatte der Verein 47 Mitglieder.
Dieter Bauer sammelt seit 65 Jahren. Er war 13 Jahre alt, als ihn seine Tante mit zehn Mark auf die Post schickte, um einen Brief aufzugeben. Das Restgeld durfte er behalten. An diesem Tag kam der Posthornblock mit der Eröffnung der Beethovenhalle in Bonn für 1,10 Mark heraus. „Ich habe damals richtig zugeschlagen und gleich fünf Stück mitgenommen“, sagt er und lacht. „Der Postbote meinte zu mir: Wenn du sammelst, lege ich dir den nächsten Block auf die Seite.“ Und Bauer kam wieder. Jeden Monat.

Fast genauso lange sammelt Vorsitzender Otto Frank. „Meine Cousinen haben mich angesteckt.“ Heute besitzt er etwa 500 Alben. Spannend findet Frank Marken aus Ländern, die es nicht mehr gibt. Gerade sammelt er alle Briefmarken der Kolonien des Deutschen Reichs in Südafrika. „Es ist wie eine Sucht“, sagt er. „Ein Sammler hört erst auf, wenn das Album voll ist.“ Bis die letzte Marke steckt, heißt es Geduld haben. Immer wieder schaut Frank auf der Internet-Plattform eBay, erkundigt sich bei Händlern und Tauschtagen. Sobald er ein Schnäppchen sieht, schlägt er zu.
Im Frühjahr geht es auf die Messe nach München. Bei der „Philatelia“ kommen Briefmarkensammler aus der ganzen Welt zusammen und tauschen sich über Trends aus. Allein über diese Plattformen lässt sich herausfinden, welche Marken gerade gefragt sind. „Der Wert wird gemacht“, sagt Frank. „Je seltener eine Marke, desto wertvoller ist sie.“ Dem einen ist die Marke 100 Euro, dem anderen 200 Euro wert. Nicht alle gestempelten Briefmarken sind automatisch mehr wert als ungestempelte oder umgekehrt. Marken mit Vollstempel werden höher bewertet als Marken mit Stempelfragment. Besonders wertvoll sind Briefmarken, die mit anlassbezogenem Sonderstempel entwertet wurden.

So erzählt jede Briefmarke eine Geschichte. Dieter Bauer zeigt eine Jubiläumsmarke zu 50 Jahre Mondlandung. Neben ihm schlägt Otto Frank sein Album auf. Auf einem Brief rechts oben klebt der Prinzregent Luitpold von 1911. Auf der Rückseite hält ein rotes Wachssiegel den Brief zusammen. Früher gab es keine Umschläge. Frank blättert weiter bis zu einer Neun-Kreuzer-Marke von 1857. Seine wertvollste Marke mit knapp 3000 Euro Sammelwert ist der Schwarze Einser vom 1. November 1849, die erste Briefmarke des Königreichs Bayern.
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Otto Frank sammelt nicht nur Marken. Er klappt das Album zu und greift nach einem Koffer hinter sich. In jeder Schicht liegen unzählige Münzen aus Kupfer, Silber und Gold. Darunter ein Maria-Theresia-Taler von 1780. Auf dem Tisch liegen die neuesten Zwei-Euro-Münzen, die Dieter Bauer beim Händler für sich und seine Freunde bestellt hat. Auf der Rückseite sind Symbole eingraviert: eine Kornblume aus Estland, die Olympischen Spiele in Frankreich sowie Penelope und Delta aus Griechenland.
Der schlimmste Gegner für die Ismaninger Briefmarkenfreunde ist die digitale Nachricht. Mehr Mails bedeuten weniger Briefe, bedeuten weniger Briefmarken. Wenn die Freunde weitersammeln möchten, müssen sie mit der Zeit gehen. „Das ist das Neueste“, sagt Dieter Bauer und schiebt eine Marke über den Tisch. Darauf zu sehen das Brandenburger Tor. Für zehn Euro hat er sich die erste deutsche Krypto-Briefmarke gekauft – eine Kombination aus einer physischen Briefmarke und ihrem digitalen Abbild. Eine Künstliche Intelligenz hat das Kunstwerk generiert und über eine Nummer Dieter Bauer als Besitzer hinterlegt. In Blockchain-Kreisen heißt das digitale Sammlerstück Non-Fungible-Token (NFT). Nur die digitale Handelsbörse ist etwas kompliziert. Als Bauer eine seiner Krypto-Briefmarken auf eBay stellte, hat die Plattform seine Kleinanzeige gesperrt. Das ist ihm bei den guten, alten Briefmarken noch nie passiert.