„Vermurkster Kompromiss“: Harte Reaktionen auf neuen Wehrdienst – „wird Putin und Trump nicht beeindrucken“

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Opposition und Verbände zerlegen neuen Wehrdienst: „Wird Putin und Trump nicht beeindrucken“

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Das Bundeskabinett beschließt den neuen Wehrdienst. Pistorius lobt den Schritt. Doch aus Opposition und Verbänden gibt es Widerstand. Die Reaktionen.

Berlin – Das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf zur Einführung eines neuen Wehrdienstes beschlossen. In einer Sitzung im Verteidigungsministerium billigten die Minister den Rechtsrahmen, der die Erfassung junger Männer vorsieht. Dieser setzt zunächst auf Freiwilligkeit und einen attraktiveren Dienst setzt. Ein „Riesenschritt nach vorne“, meint Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Die Reaktionen lassen anderes verlauten: Von gleich mehreren Seiten hagelt Kritik.

Eine Rückkehr zur Wehrpflicht in Friedenszeiten, wie sie vor allem Unionspolitiker wiederholt gefordert hatten, ist vorerst nicht vorgesehen. Pistorius nannte jedoch Bedingungen für eine mögliche Aktivierung: Sollte die verteidigungspolitische Lage oder ein Mangel an Freiwilligen eine Wehrpflicht erforderlich machen, müsse der Bundestag zustimmen. Auch über das jetzt im Kabinett beschlossene Gesetz entscheidet das Parlament, wo die Grünen bereits ihre Unzufriedenheit in einer ersten Reaktion kundtun.

Katharina Dröge (l) und Britta Haßelmann, beide Co-Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, geben ein Pressestatement nach einer Fraktionssitzung.
Kritik am Wehrdienst-Entwurf: Grünen-Fraktionsvorsitzende Dröge und Haßelmann äußern sich (Symbolbild). © picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Scharfe Reaktion auf Wehrdienst-Entwurf: Grüne kritisieren „vermurksten Kompromiss“

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge bezeichnete den Gesetzentwurf als Misstrauenserklärung gegenüber der jungen Generation. Zwar unterstütze man den Grundgedanken der Freiwilligkeit, sagte sie im ARD-„Morgenmagazin“, doch „am Ende ist aus dem Gesetz aber ein vermurkster Kompromiss geworden“. Dröge sieht darin die Handschrift der Union und betonte: „Ich finde, das ist eine Misstrauenserklärung gegenüber der jungen Generation, die ich so nicht unterschreiben würde.“

Die Grünen wollen darauf reagieren und dem Entwurf deshalb voraussichtlich nicht zustimmen. „Am Ende kann man niemanden zum Dienst an der Waffe zwingen“, so Dröge. Das habe auch die frühere Wehrpflicht nicht vermocht. Es gehe vielmehr darum, junge Menschen zu überzeugen. Einen Passus zur Wehrpflicht im Gesetz bezeichnete sie als „das mögliche Eingestehen eines eigenen Scheiterns schon im Gesetz. Das finde ich nicht logisch.“

Die Co-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann ergänzte gegenüber der dpa: „Der Kabinettsbeschluss zum Wehrdienst kann nicht verdecken, dass Union und SPD bei der Frage von Pflichtdienst oder Freiwilligkeit uneinig sind.“ „Zwang und Verpflichtung“ seien nicht zielführend, stattdessen müsse die Bundeswehr ein besserer Arbeitgeber werden. Der Gesetzesentwurf sei Ausdruck der „Ambitions- und Ideenlosigkeit“ der Koalition, die für die Attraktivität der Bundeswehr nichts vorgelegt habe.

Mehr Geld soll Attraktivität der Bundeswehr steigern – So funktioniert die Wehrdienst-Musterung

Die Bundeswehr strebt rund 80.000 zusätzliche aktive Soldaten an. Die Nato erwartet für Deutschland eine Truppenstärke von etwa 260.000 Männern und Frauen, um auf mögliche Bedrohungen – etwa durch Russland – reagieren zu können. Der neue Wehrdienst soll vor allem die Reserve stärken. Geplant ist, zunächst 15.000 neue Wehrdienstleistende zu gewinnen und ab 2027 eine verpflichtende Musterung einzuführen.

Junge Männer sollen per Fragebogen angeben, ob sie zum Dienst bereit und geeignet sind; Frauen können sich ebenfalls melden. Zielgruppe sind 18- bis 25-Jährige. Pistorius will den Dienst attraktiver machen, unter anderem durch eine höhere Bezahlung. Künftig sollen Wehrdienstleistende als Zeitsoldaten vergütet werden und damit mehr als 2.000 Euro netto monatlich erhalten.

Greift „immer noch zu kurz“: Bundeswehrverband-Chef will mehr als Freiwilligen-Regelung für Wehrdienst

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Oberst André Wüstner, sprach vor der Kabinettssitzung von Mängeln. Der Entwurf sei zwar eine Verbesserung, greife aber „immer noch zu kurz“ angesichts der Schwierigkeiten bei der Personalgewinnung, sagte er der dpa. Wüstner verwies zudem auf die stagnierende Zahl von Zeit- und Berufssoldaten: Zum Jahreswechsel zählte die Bundeswehr 170.800 „Profis“, am 1. Juli waren es 171.650.

Für Wüstner sei „das reine Setzen auf Freiwilligkeit eine fahrlässige Wette auf die Zukunft“, wie er der Bild sagte. Aktuell halte er es mit Freiwilligkeit für unwahrscheinlich, die Nato-Planungsziele zu erreichen. „Wladimir Putin wird sich jedenfalls sicher nicht von angeblichen Grenzen der Machbarkeit beeindrucken lassen, [US-Präsident, Anm. d. Red.] Donald Trump mit Blick auf mögliche Sicherheitsgarantien wahrscheinlich auch nicht.“ Wüstner forderte, „Grenzen der Machbarkeit“ – wie sie Kanzler Friedrich Merz (CDU) benannt habe – müssten überwunden werden.

Streit bei Regierungsparteien: Union fordert verbindliche Zielvorgaben bei Wehrdienst-Regelung – Pistorius irritiert

Auch zwischen den Regierungsparteien schien man sich zunächst nicht einig. Die Union drängt auf gesetzlich verankerte jährliche Zielvorgaben für die Gewinnung von Freiwilligen. Beim Nichterreichen solle eine Wehrpflicht greifen. Pistorius zeigte sich irritiert über den Einspruch von CDU-Politiker Johann Wadephul, der den Entwurf zwischenzeitlich mit einem Ministervorbehalt blockiert hatte: Er habe „kein Verständnis dafür, dass man aus dem Parlament heraus einen Gesetzentwurf der Regierung schon vorher versucht aufzuhalten über ein Ministerium“, sagte Pistorius im Deutschlandfunk. Die SPD setzt hingegen weiterhin auf Freiwilligkeit.

Der Bundeskanzler Friedrich Merz hielt nach der Kabinettssitzung gegen Kritik am Gesetzesentwurf: „Ich bin jedenfalls aus heutiger Sicht zuversichtlich, dass wir zunächst jedenfalls die Zahlen, die wir brauchen, erreichen“. Er verwies auf die bereits im Gesetzesentwurf vorgesehene Möglichkeit der Verpflichtung, sollte Freiwilligkeit nicht ausreichen. Pistorius machte deutlich, dass er Änderungen im weiteren Verfahren erwartet: „Kein Gesetz verlässt den Bundestag in der Regel so, wie es hineingegangen ist. Das wird hier so oder ähnlich auch sein.“

Die Kabinettssitzung fand erstmals seit über 30 Jahren im Verteidigungsministerium statt. Als Gast war auch der Oberbefehlshaber der Nato-Truppen in Europa, US-General Alexus Grynkewich, anwesend. (lismah/dpa)

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