Was Berger hinter sich hat, sieht man ihr nicht an – bis der Ball kommt

Ann-Kathrin Berger hat keine Pose. Kein Pathos. Keine großen Gesten. Und doch war sie in dieser Nacht die größte auf dem Platz. Zwei gehaltene Elfmeter, ein verwandelter. Und eine Ausstrahlung, die Deutschland durch dieses Viertelfinale gegen Frankreich trug. In Unterzahl. Mit allem, was es braucht.

Der Moment, in dem alles verloren scheint

12. Minute: Kathrin Hendrich lässt sich kurz hinreißen. Ein Griff an den Zopf – dann die Rote Karte. Deutschland in Unterzahl. Der Traum vom Halbfinale? Früh erschüttert, fast schon zerknittert. Doch 108 Minuten später lebt er noch. Elfmeterschießen. Frankreich gegen Berger. Amel Majri läuft an – Berger pariert. Alice Sombath folgt – Berger hält erneut.

Als sie den entscheidenden Ball aus der Luft pflückt, bleibt sie stehen. Kein Sprint, kein Schrei, kein riesiger Jubel. Nur dieser kurze Moment der Stille. Dann stürzt sich das Team auf sie. Berger bleibt ruhig. Eigentlich wie immer. Es war genau diese Ruhe, die Deutschland brauchte, um in dieses Halbfinale einzuziehen.

"Wir haben schon die ganze Zeit auf den Moment gewartet, dass sie ihn hält. Anne ist überragend. Wir können uns auf sie verlassen, beim Elfmeterschießen noch mehr. Mega, wirklich“, sagte Kapitänin Janina Minge.

"Ihr Lebensweg hat sie dahin gebracht"

Schon in der regulären Spielzeit hatte Berger einen Ball von der Linie gekratzt, den fast alle im Stadion längst im Netz gesehen hatten – ein Reflex, der inzwischen auf internationalen Portalen als "Save of the Tournament" gehandelt wird. Aber es waren nicht nur die Paraden. Es war ihr Dasein. Diese stille Versicherung: Ich bin hier. "Ihr Lebensweg hat sie, glaube ich, dahin gebracht, so ruhig kritische Situationen zu bewältigen. Und diese Ruhe und Sicherheit, die sie ausstrahlt, ist für das Teamgefüge unheimlich wichtig", urteilte Bundestrainer Christian Wück.

Und genau das war sie: ein Ruhepol. Man sah es in den Gesichtern ihrer Mitspielerinnen. In ihren Blicken, die sich immer wieder nach hinten richteten. Berger ging voran - mit dem Blick aufs Wesentliche. Diese Klarheit, sie kommt nicht von ungefähr.

Das Spiel war groß, ihre Geschichte ist größer

Ann-Kathrin Berger hat längst ganz andere Gegner bezwungen. Gegner, die man nicht tackeln kann. Zweimal wurde bei ihr Schilddrüsenkrebs diagnostiziert. 2017. Und wieder 2022. Sie wurde operiert, musste sich einer Radiojodtherapie unterziehen, verpasste Trainings und Spiele. Vieles hat ihr die Krankheit genommen – nur nicht die Haltung, mit der sie durch all das gegangen ist.

"All we have is now." Ein Satz, den sie nicht nur lebt – sondern auch auf der Haut trägt. Heute prangt er als auffälliges Tattoo an ihrem Hals – nicht unbedingt als Schmuckstück, sondern als Schutzschild. "Ich hatte Probleme mit den Narben, die ich von der Krebsoperation hatte. Sie haben mich gestört. Ich habe sie dann überstechen lassen, damit sie keiner sieht", erzählte sie einmal in einem Gespräch mit der "Bild".
Und fügte hinzu: "So fragt mich jetzt nämlich jeder nach dem Tattoo und nicht mehr nach den Narben." 

Berger: "Ich versuche, im Jetzt zu leben"

Ein weiteres Tattoo liegt versteckter, aber vielleicht noch bedeutungsvoller: "Am Arm habe ich jetzt einen Baum, der ist das Neueste. Den habe ich bei meiner zweiten Erkrankung machen lassen. Die Wurzeln eines Baumes sind wichtiger als das schöne Drumherum", sagt Berger. "Ich versuche, im Jetzt zu leben. Ich habe gelernt, nicht mehr so viel zu planen. Und vor allem: Dankbar zu sein", sagte sie im Interview mit "Bunte".

All das sieht man ihr nicht an – bis der Ball kommt. Dann wird spürbar, was vorher verborgen lag: ihre Ruhe. Ihre Klarheit. Ihre ganze Geschichte.

"Mit ihr kann man immer über alles Mögliche sprechen. Sie hat natürlich unglaublich viel Lebenserfahrung mit dem, was sie durchgemacht hat", sagt Klara Bühl.

Das Spiel war groß. Ihre Geschichte ist größer. Ann-Kathrin Berger braucht diesen Abend nicht als Beweis für das, was sie kann. Aber vielleicht braucht dieser Abend sie, um zu zeigen, was eine Sportlerin wirklich ausmacht. Zwei gehaltene Elfmeter. Einer verwandelt. Und eine Geschichte, die sich nicht ins Rampenlicht drängt. Aber genau dorthin gehört.