Nach Richterwahl-Debakel: SPD hat neuen Kandidaten – AfD versucht laut Experte neue Kampagne
Die ausstehende Richterwahl wird nach der Absage im Juli mit besonderer Spannung erwartet. Die AfD nimmt bereits die nächste Kandidatin ins Visier.
Berlin – Die SPD scheint bereit zu sein für einen weiteren Anlauf. Zur Wahl neuer Verfassungsrichter. Drei Stellen sind in naher Zukunft in Karlsruhe neu zu besetzen. Eigentlich sollte bereits am 11. Juli über die offenen Personalien entschieden werden, doch nach dem Streit über die von den Sozialdemokraten vorgeschlagene Frauke Brosius-Gersdorf wurde die Wahl kurzfristig abgesetzt.

Nun verriet SPD-Fraktionschef Matthias Miersch in der RTL/ntv-Sendung „Frühstart“, dass sich seine Partei auf einen neuen Kandidaten geeinigt hat. „Wir haben einen Namen, und den werde ich jetzt aber garantiert nicht nennen“, gab er sich geheimnisvoll. Das wiederum erklärte der 56-Jährige damit, dass jetzt zunächst mit der Union sowie den Grünen und den Linken zu sprechen sei, „denn wir brauchen eine Zweidrittelmehrheit“ im Bundestag.
Richterwahl im Bundestag: Wie geht es nach Aus von Brosius-Gersdorf weiter?
Ebenso wird Miersch aber auch seine Schlüsse aus den Erfahrungen des ersten Anlaufs gezogen haben. Als die Namen frühzeitig bekannt waren. Schließlich galt die Wahl von Brosius-Gersdorf, der ebenfalls von der SPD nominierten Ann-Katrin Kaufhold und dem von der Union aufgestellten Günther Spinner als Formsache. Doch dann kamen gegen erstere immer neue Vorwürfe auf.
Vor allem ihre Einstellung zu Schwangerschaftsabbrüchen, zu einer Impfpflicht während der Corona-Pandemie oder zu einem AfD-Verbotsverfahren waren Themen in den sozialen und später auch in renommierten Medien. Kurz vor dem Wahl-Termin gesellten sich Plagiatsvorwürfe hinzu. Längst ist von einer gezielten Desinformationskampagne von Rechtsaußen die Rede.
Zum Verhängnis wurde Brosius-Gersdorf und damit auch der SPD und letztlich der gesamten Regierung von Bundeskanzler Friedrich Merz, dass der Widerstand innerhalb der Union zu groß wurde, um die nötigen Stimmen im Bundestag zusammenzubekommen. Eine besonders unrühmliche Figur gab dabei Jens Spahn ab, denn der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterschätzte den Gegenwind innerhalb der Fraktion anscheinend völlig.
Droht erneutes Debakel bei Richterwahl? AfD bemüht sich wohl wieder um Kampagne gegen Kandidatin
Mittlerweile hat Brosius-Gersdorf ihre Kandidatur zurückgezogen. Doch ruhiger wird es um die Richterwahl nur auf den ersten Blick. Bereits vor einigen Wochen kamen erste Berichte über neue Kampagnen auf. Diesmal ist Kaufhold das Ziel. Vorne dabei: die AfD, die sich offensichtlich in einem Kulturkampf wähnt. Und in diesem wohl spätestens seit dem 11. Juli auf dem Erfolgsweg.
Beim BR kommt Philipp Sälhoff zum aktuellen Geschehen rund um die mögliche Verfassungsrichterin zu Wort. Der Geschäftsführer des Berliner Thinktanks „Polisphere“ ist Experte für Desinformation und zählte allein auf der Social-Media-Plattform X bis Mitte August mehr als 15.000 Tweets zu Kaufhold. Festzustellen sei, dass sowohl in der offiziellen AfD-Kommunikation als auch von vielen Abgeordneten der Partei konkrete Aufrufe erfolgt seien, den Fokus nun auf sie zu legen.
Dabei tue sich vor allem Beatrix von Storch hervor – ähnlich wie bereits bei Brosius-Gersdorf. Die stellvertretende Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion schrieb bei X, Kaufhold sei „offen demokratiefeindlich“. Und: „Wenn die an das Verfassungsgericht kommt, will sie und wird sie die Demokratie begraben.“
Neue Kampagne vor Richterwahl möglich: Kaufhold wird Ziel von AfD und alternativen Medien
Laut Sälhoff gibt es zu Kaufhold aber weder bezahlte Werbung noch massenhaft Briefe an Abgeordnete oder reichweitenstarke Online-Petitionen, wie es bei Brosius-Gersdorf der Fall war. Problem für ihre Gegner sei, dass noch kein fester Wahltermin feststehe und auch keine Klarheit darüber herrsche, wie der gesamte Wahlprozess voranschreiten werde. Beides sei aber nötig, „wenn man so eine Kampagne gut auf ein Ziel ausrichten will“.
Im selben Artikel erklärt Josef Holnburger, Geschäftsführer beim Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS), zudem, dass es schwer sei, „mit zweimal einem ähnlichen Hintergrund zu einer großen Reichweite zu kommen“. Dennoch würden sich die sogenannten „alternativen Medien“ darum bemühen, möglichst viel über Kaufhold „auszugraben“.

Dabei handele es sich um „Übertreibungen, zum Teil auch Desinformationen und Lügen“. Diese werden genutzt, „um zu überprüfen, welche Anschuldigungen auf Telegram und X besonders viel organische Reichweite erzielen, häufig geteilt werden und starke Emotionen auslösen.“ Holnburger sieht darin vor allem ein Problem, wenn Bundespolitiker darauf hereinfielen.
Neuer Anlauf bei Richterwahl: Für Union und SPD könnten Personalien zur Zerreißprobe werden
Womöglich denkt er dabei auch an Brosius-Gersdorf. Wann genau sich der Wind innerhalb der Union in diesem Fall drehte, weiß offenbar nicht einmal Fraktionschef Spahn. Da dieser das Kandidaten-Trio gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen von Grünen und SPD – also Katharina Dröge, Britta Haßelmann und Miersch – abgenickt haben soll, muss er rund einen Monat vor der letztlich abgesagten Wahl aber noch damit gerechnet haben, dass der Rückhalt groß genug wäre.
Zumindest in Teilen der Union war die Ablehnung von Brosius-Gersdorf positiv aufgenommen und ihr umgehend der Verzicht auf die Kandidatur nahegelegt worden. Womöglich war das aber nur der Anfang. Und die Richterwahl braucht noch deutlich mehr Anläufe. Miersch geht davon aus, dass die Wahl nun im September, also im ersten Monat nach der parlamentarischen Sommerpause, steigen kann.
Ob es dann wirklich gelingt, drei neue Verfassungsrichter zu entsenden, dürfte wohl auch davon abhängen, wie sehr mögliche Kampagnen gegen die Kandidaten vorher an Fahrt aufnehmen. Der Eindruck, dass diese im Bundestag durchaus auch abseits der AfD auf fruchtbaren Boden fallen können, hat sich mit der abgesagten Wahl im Juli jedenfalls verstärkt. Für Schwarz-Rot könnte die Neuauflage also mehr denn je zur Zerreißprobe werden. (mg)