„Sonst ist die Koalition am Ende“ – SPD stellt Merz-Regierung nach Brosius-Gersdorf-Rückzug infrage
Die Bundesregierung unter Kanzler Merz gerät nach dem Richter-Chaos um Brosius-Gersdorf ins Wanken. Bei der SPD kommen erste Koalitions-Zweifel auf.
Berlin – Schon wieder so ein Beben. Dabei wollten sie es doch anders machen, als die Ampel: keine Zankerei mehr, zum Wohl des Landes. Das hatten die Koalitionsspitzen von Schwarz-Rot versprochen. Doch seit dem Start knirscht es immer wieder. Union und SPD, beide schossen mehrfach quer. Mit dem jüngsten Eklat um den Rückzug von Frauke Brosius-Gersdorf ist der Geduldsfaden beim Koalitionspartner SPD kurz vorm Reißen – und die Koalition im Wanken.
SPD nach Rückzug von Brosius-Gersdorf empört über CDU
„Das Verhalten im Rahmen der Richterinnenwahl, angefacht auch durch rechtspopulistische Kreise, muss ein einmaliger und letzter Ausrutscher gewesen sein. Sonst steht diese Koalition vor Problemen, die Deutschland nicht noch ‚on top‘ gebrauchen kann“, so formuliert es der SPD-Abgeordnete und Chef des Geschäftsordnungsausschusses Macit Karaahmetoğlu im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA.
Der Union fehle es „einseitig an Koalitionsdisziplin“, so der Politiker, der von einem „schwarzen Tag für die Koalition“ spricht. „Mir persönlich fiel es zum Beispiel sehr schwer, für die Aussetzung des Familiennachzuges zu stimmen. Ich war als Kind lange von meinen Eltern getrennt, die bereits in Deutschland waren. Eine solche politische Entscheidung widerspricht daher meinem politisch-moralischen Kompass.“ Und doch habe er die Entscheidung mitgetragen. „Unser Wort als Partei und Fraktion muss in diesen schweren Zeiten etwas zählen. Es ist schlicht entmutigend, wenn das Gefühl aufkommt, beim Koalitionspartner ist das anders“, so Karaahmetoğlu.
„Katastrophale“ Stimmung bei der SPD – liegt die Schuld bei Jens Spahn?
Insgesamt herrscht bei der SPD Fassungslosigkeit. „Die Stimmung in der gesamten Fraktion, aber auch den Menschen bei mir im Wahlkreis ist katastrophal“, sagt der Dortmunder SPD-Bundestagsabgeordnete Jens Peick im Gespräch mit dieser Redaktion. Es sei „ein großes Stück politischer Kultur“ zerstört worden. Peick nimmt auch explizit Kanzler und CDU-Chef Friedrich Merz in die Pflicht: „Der Kanzler hat noch vor der abgesetzten Wahl im Bundestag erklärt, dass alle Kandidaten auch gewählt werden. Nun wurde klar: Merz fehlt die Mehrheit seiner eigenen Koalition.“ Das sei „ein schockierender Vorgang“, so Peick, der mit Sorge auf die weitere Zusammenarbeit in der Koalition blickt: „Ich frage mich, wie wir in Zukunft überhaupt noch Mehrheiten generieren wollen. Auf Absprachen mit der Union können wir uns nicht mehr verlassen.“
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Eigentlich gilt die Wahl von Richterinnen und Richtern zum Bundesverfassungsgericht als Formsache, die Mitte-Parteien einigen sich vorab auf geeignete Kandidatinnen und Kandidaten. Auch für die jüngst angesetzte Wahl von drei Bewerberinnen und Bewerbern gaben Union, SPD und Grüne ihren Daumen hoch; bis sich plötzlich Unionsleute gegen Brosius-Gersdorf aussprachen. Zuvor hatten es Kritik in rechten Medien an der Juristin gegeben, unter anderem wegen ihrer liberalen Haltung zum Schwangerschaftsabbruch. Beobachter witterten eine Kampagne aus dem rechtsextremen Lager. CDU und CSU seien auf ein rechtes Narrativ hereingefallen, sagt der SPD-Abgeordnete Peick. Das sei ein eindeutiges Versagen von Jens Spahn, der seine Fraktion offensichtlich nicht auf Linie bringen kann. „Wenn die SPD immer der Depp ist, kann die Koalition nicht funktionieren. Nochmal darf so etwas nicht passieren, sonst ist die Koalition am Ende.“
Jusos fordern Spahns Rücktritt
Karaahmetoğlu glaubt, dass interne Befindlichkeiten bei der Union die Koalition hemmen würden. „Die Union hatte nach dem Ende der Ära Merkel eine Findungsphase durchzustehen, inklusive aller Macht- und Grabenkämpfe. Dafür hatte und habe ich Verständnis. Aber spätestens mit der Übernahme des Bundeskanzleramtes sollte man von CDU und CSU erwarten können, dass sie wieder ein Verantwortungsbewusstsein für unser Land entwickelt.“
Auch bei den Jusos geht man hart mit der Union ins Gericht. „Eine von rechten Influencern aufgehetzte Unionsfraktion richtet massiven Schaden am Bundesverfassungsgericht und damit unserer Demokratie an. Friedrich Merz und Jens Spahn haben offensichtlich weniger Kontrolle über ihre eigene Fraktion als dubiose rechtsradikale Internetseiten“, so Juso-Vorsitzender Philipp Türmer. Er fordert eine Entschuldigung Spahns bei Brosius-Gersdorf und die Absetzung des Fraktionsvorsitzenden.