Russland reagiert auf Trump-Attentat: Kreml attackiert Bidens „selbstmörderischen Liberalismus“

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Von Angst getrieben: Donald Trump will seinen Wahlkampf auch nach dem Attentat fortsetzen. Russland sieht die wahren Täter in der Regierung um Joe Biden. © Gene J. Puskar/AP/dpa

Donald Trump sieht sich als Opfer von Faschismus im eigenen Land und der Kreml prophezeit den USA, dass sie die Gewalt im Innern selbst gesät hätten.

Moskau – „Es ist eine Art von Kommunismus, von Faschismus“, hat Donald Trump gesagt. Das Zitat des Spiegel war Anfang des Jahres gefallen, bei Fox News, als der Republikaner zum Tod von Kreml-Kritiker Alexander Nawalny Stellung beziehen sollte und zu seinem Lieblingsthema umschwenkte: sich selbst – und seiner Verurteilung zu einer Millionen-Dollar-Strafe in einem Betrugsprozess.

Das Attentat reizte jetzt auch Moskau zu einer Stellungnahme, genauer: zu einem Angriff gegen die aktuelle US-Regierung. Wladimir Putin glaubt, den Täter zu kennen: den amtierenden US-Präsidenten Joe Biden. Der Diktator sieht den Republikaner Trump ebenfalls von so etwas wie Faschismus umzingelt. Wie sich selbst. Der Diktator und sein Spiegelbild sind von Angst getrieben.

„Wir wissen von wiederholten Fällen von Verletzungen, sogar Morden, von Präsidenten der Vereinigten Staaten“, schreibt Kreml-Sprecher Dimitri Beskow, wie die russische Nachrichtenagentur Tass berichtet. „Wir denken überhaupt nicht und glauben auch nicht, dass der Versuch, den Präsidentschaftskandidaten Trump auszuschalten, von der aktuellen Regierung organisiert wurde, aber die Atmosphäre, die diese Regierung während des politischen Kampfes geschaffen hat, die Atmosphäre um den Kandidaten Trump, hat etwas provoziert.“

„Der paranoide Stil in der amerikanischen Politik ist zurück“

„Der paranoide Stil in der amerikanischen Politik ist zurück“, hatte 2016 Thomas B. Edsall geschrieben, während Trump mit der Präsidentengattin Hillary Clinton die Präsidentschaft ausgefochten hatte. Die Umfragen hatten Clinton vorn gesehen und damit die Paranoia im Trump-Lager aufgestachelt. „Tatsächlich hätte die Vorstellung des paranoiden Stils als politische Kraft wenig zeitgenössische Relevanz oder historischen Wert, wenn sie nur auf Menschen mit zutiefst gestörtem Verstand angewendet würde. Es ist die Verwendung paranoider Ausdrucksformen durch mehr oder weniger normale Menschen, die das Phänomen bedeutsam macht“, schreibt der New York-Times-Kolumnist in den Worten des US-Historikers Richard Hofstadter.

„In Fred Trumps düsterer Vision war das ganze Leben ein Dschungel, in dem die Starken überleben und gedeihen und die Schwachen abfallen. Die Mörder nehmen sich, was sie wollen, wie auch immer sie es sich nehmen müssen. Regeln? Normen? Gesetze? Institutionen? Die sind für Trottel. Die einzige unverzeihliche Sünde in Trumps Welt ist das Versäumnis, im eigenen Interesse zu handeln.“

„Provokation“ ist die Lieblings-Vokabel der beiden Potentaten Trump und Putin; was sie in ihrer Aggression gegenüber Präsident Joe Biden zusammenschweißt. Laut der Tass erklärte der Kreml-Sprecher, die amerikanische Regierung habe „ihre Arbeitsmethoden freiwillig oder unabsichtlich auf die Innenpolitik übertragen“. „Der Stil gewaltsamer Entscheidungen ist auch im heimischen Bereich aufgetaucht“, schrieb Peskow. Externen Beobachtern, so Peskow, sei klar geworden, „dass sein Leben in Gefahr war“, nachdem versucht worden war, den Präsidentschaftskandidaten „aus der politischen Arena zu eliminieren, zunächst mit rechtlichen Mitteln, Gerichten, Staatsanwälten und Versuchen, den Kandidaten politisch zu diskreditieren“.

Trump und Putin leben vermutlich in einer binären Welt

Trump und Putin leben vermutlich in einer binären Welt, wie Stephan Herpertz im vergangenen Jahr vermutet hat. Der Psychotherapeut hält den russischen Diktator weder für einen Verrückten noch für einen Wahnsinnigen. In seinem Aufsatz für die Zeitschrift Die Psychotherapie beschreibt er ihn eher als „Mensch, der zu den Glaubenssätzen seiner Kindheit auf den Hinterhof in Leningrad zurückkehrt, um aus Konflikten als Sieger hervorzugehen. Zu unterliegen bedeutet Unheil in Form von Demütigung und Erniedrigung.“ Herbertz zufolge existiere für Putin nur die Dichotomie zwischen „Sieger oder Verlierer beziehungsweise Freund oder Verräter“.

Auch wenn Trump bereits vier Jahre als US-Präsident im Amt war und unternehmerisch zum Establishment gehört, „präsentiert er sich weiterhin als politischer Außenseiter, der die Interessen der Durchschnittsamerikaner vertritt“, schreibt Christian Lammert 
für die Bundeszentrale für politische Bildung. Anders als Wladimir Putin wuchs Trump allerdings in einem vermögenden Elternhaus auf, stieg in das Immobilienunternehmen seines Vaters Fred ein, erbte mehrere Hundert Millionen Dollar, expandierte damit und machte daraus Milliarden.

Trumps einzige Sünde: das eigene Interesse zu vernachlässigen

Die Kritik an Trumps Psyche fällt mitunter geharnischt aus: „In Fred Trumps düsterer Vision war das ganze Leben ein Dschungel, in dem die Starken überleben und gedeihen und die Schwachen abfallen. Die Killer nehmen sich, was sie wollen, wie auch immer sie es sich nehmen müssen. Regeln? Normen? Gesetze? Institutionen? Die sind für Trottel. Die einzige unverzeihliche Sünde in Trumps Welt ist das Versäumnis, im eigenen Interesse zu handeln“, schreibt beispielsweise David Axelrod im Magazin The Atlantic. Axelrod war Politikberater des ehemaligen demokratischen Präsidenten Barack Obama.

Laut dem Psychotherapeuten Herpertz ist Wladimir Putin Fürst eines abgewirtschafteten Reiches; geschrumpft in regionaler Größe sowie wirtschaftlicher Bedeutung. Das macht ihm Angst. Angst vor Menschen. Auch die USA hat nurmehr wenig von der einstigen Supermacht. Europa sieht aus den USA einen Finanzschock heraufziehen, wie Anfang Juni der französische Le Monde glaubte, feststellen zu müssen: Die US-Wirtschaft kranke noch immer an „schleichenden Giften“: hoher Inflation und hohen Zinsen. „Finanzblasen, latente Kapitalverluste, undurchsichtige Märkte und ein katastrophales öffentliches Defizit“, wie Le Monde schreibt, seien die Folgen.

Kreml-Sprecher Peskow bezeichnet die Gewalt in den USA als hausgemacht

Ein Spielfeld, auf dem Donald Trump vermutlich mehr Kompetenz zugeschrieben wird als dem Amtsinhaber. Und weltpolitisch erinnert er die Nato-Partner an ihre seit Jahren unverzinst offenen Salden in der gemeinsamen Rüstung – auch das macht Stimmung. Moskau bietet sich damit ein idealer Nährboden für das Säen eines Spaltpilzes – Kreml-Sprecher Peskow lässt via Tass verlauten, der Arbeitsstil der derzeitigen Regierung sei so, „dass sie es vorzieht, alle Probleme aus einer Position der Stärke heraus zu lösen, auch und vor allem in der Weltpolitik“.

Die Strafprozesse gegen Donald Trump werden von seinen Anhängern als politische Hexenjagden gegeißelt, und auch die Regierung um Präsident Wladimir Putin fühlt sich in ihrer Opferrolle mis- bis unverstanden. Von den Regierungen der westlichen Welt, vor allem von der um den amtierenden Präsidenten – in der Note zum Attentat wird Dimitri Peskow deutlich: „Niemand versucht jemals, nach Kompromissen zu suchen, dazu gehören wirtschaftlicher Druck, diese Sanktionen, die von der [US-]Regierung so geliebt werden, oder politischer Druck oder die direkte Anwendung von Gewalt, militärischer Gewalt“, erklärte der Pressesprecher des russischen Potentaten via Tass.

Ihm zufolge hätten die derzeitigen US-Behörden „eine Atmosphäre der Gewalt geschaffen“, der Anschlag auf einen legitimen Teilnehmer eines demokratischen Prozesses sei dessen Folge gewesen, argumentiert Peskow. Tatsächlich hatte Joe Biden beispielsweise für den Tod des Kreml-Gegners Nawalny Putin direkt verantwortlich gemacht und scharfe Worte gefunden, wie der Spiegel berichtete: „Wir haben bereits Sanktionen verhängt, aber wir erwägen zusätzliche Sanktionen“, wie er gesagt hatte.

Moskau bezeichnet westlichen Liberalismus als selbstmörderisch

Trump hatte in der Heimkehr des Regime-Kritikers und seine anschließende Verurteilung eine Blaupause seiner eigenen Situation und insofern eine argumentative Projektionsfläche für seine Argumentation gefunden, wie ihn der Spiegel zitiert: „,Es ist schrecklich, aber es passiert in unserem Land auch.‘ Er sei in vier Fällen angeklagt worden, so Trump. „Und das nur, weil ich in die Politik gegangen bin.“

Diese Sichtweise passt den Russen perfekt ins Bild eines ans Faschistische grenzenden Westens: „Die Bedrohung liegt im Inneren und nicht im Äußeren. Ich möchte nur klarstellen, dass es sich hierbei um die amerikanische Demokratie handelt, die durch den Liberalismus in einen selbstmörderischen Zustand getrieben wurde“, urteilt beispielsweise Marija Sacharowa auf ihrem Telegram-Kanal. Die Pressesprecherin des russischen Außenministeriums fabuliert an gleicher Stelle von der „jahrhundertealten amerikanischen Tradition der Ermordung amerikanischer Präsidenten“, wie in der Übersetzung ihres Tweets zu lesen ist.

Auch für Sprecher Peskow habe der Westen mit dem Attentat auf Trump sein wahres Gesicht gezeigt, wie ihn die Tass zitiert: „Jetzt ist die Gewalt im Wesentlichen nach innen verlagert worden.“ (KaHin)

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