„Exklusiv für die Ukraine“: Neue flugzeuggestützte Rakete soll Putin das Fürchten lehren

  • Karsten-Dirk Hinzmann
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Die Weltmächte rüsten wieder um die Wette. Deutschland erhält Marschflugkörper und die Ukraine exklusiv entwickelte Raketen. Zum testen – gegen China.

Washington D.C. – „Das US-Militär ist aufgewacht. Es ist Zeit für einige Änderungen an der Spitze“, schreibt Wilson Biber. Der Politische Berater des Thinktanks Heritage Foundation behauptet, die USA bräuchten mehr Munition, um China abzuschrecken. Jetzt berichten mehrere Medien, die US-Luftwaffe hätte die Entwicklung einer neuen günstigen, aus der Luft zu startenden Langstrecken-Rakete ausgeschrieben – einer „speziell für die Ukraine bestimmten Waffe“, wie die Kiew Post jubiliert. Das Militär-Magazin The Warzone sieht das anders: Danach rüsten die USA weniger gegen Wladimir Putin, sondern munitionieren eher sich selbst auf – für einen Waffengang mit China.

Der Aufruf an die Industrie beziehe sich auf ein System namens Extended Range Attack Munition (ERAM), wie die Kiew Post schreibt. Danach soll das Projekt „ausdrücklich die ukrainischen Verteidigungsbedürfnisse durch die Bereitstellung einer effizienten und erschwinglichen, autonomen Langstreckenangriffswaffe unterstützen“, behauptet die Post. 16 Unternehmen hat die US-Luftwaffe um einen Vorschlag zur Umsetzung mit Preisvorstellungen aufgefordert; bis zum 24. Juli 2024 sollen die Interessenten antworten. Auch Warzone titelt, diese neue Langstrecken-Munition solle der Ukraine „die dringend benötigte Schlagkraft verleihen und ihr eine Reichweite von Hunderten von Kilometern ermöglichen“; allerdings bezweifelt das Medium den prioritären Charakter des Ukraine-Krieges für die Waffenproduktion des Westens.

Günstig, weitreichend, treffsicher: Neue US-Waffe gegen Diktator Putin

Laut Warzone soll die ERAM eine Reichweite von bis zu 460 Kilometern bieten und der Ukraine dadurch Abstandsschläge ermöglichen, die aktuell noch außerhalb der Reichweite westlicher Waffen in der Ukraine lägen; die Waffe an sich soll 250 Kilogramm wiegen und unter der einfachen Schallgeschwindigkeit fliegen – 740 Kilometer pro Stunde. „Die Größe des Sprengkopfes der Munition wurde nicht näher spezifiziert, außer dass es sich um einen hochexplosiven Splittertyp mit einem gewissen Grad an Durchschlagskraft und variablen Zündereinstellungen handeln soll“, schreibt die Kyiv Post. Warzone veröffentliche den Ausschreibungstext, nach dem das interne Navigationssystem der ERAM „in der Lage sein muss, in einer Umgebung mit eingeschränkter GPS-Empfindlichkeit zu funktionieren“.

„Die aktuelle Mission des US-Militärs beruht auf Abschreckung und der Lieferung von Munition an Verbündete. Dass das US-Militär in letzterer Hinsicht voraussichtlich nicht genug leistet, untergräbt in den Augen chinesischer Militärplaner sicherlich die erste Mission.“

Die Waffe müsse darüber hinaus eine „Endgenauigkeit“ von „CEP 50 w/in 10 m“ bieten – was bedeutet, dass die Waffe in mindestens 50 Prozent der Fälle innerhalb von zehn Metern vom angegebenen Aufprallpunkt aus einschlagen müsse, und zwar sowohl in Umgebungen ohne elektromagnetische Interferenz als auch in Umgebungen mit hoher elektromagnetischer Interferenz einschließlich eingeschränkter GPS-Empfindlichkeit, wie Warzone berichtet. Das Magazin Army Recognition spekuliert, dass die ungelenkte Bombe Mark 82 als Basis für die ERAM-Waffe dienen soll. Die Mark 82 sei eine 230 Kilogramm schwere Bombe, die mit 89 Kilogramm hochexplosivem TNT gefüllt sei. Ein entscheidender Parameter soll auch werden, dass das Design erlaube, innerhalb von zwei Jahren 1.000 Stück herzustellen.

Kapazität für Abstandsschläge: Die neue Waffe soll die F-16 besser bewaffnen können

Die Kyiv Post sieht für die ukrainische Luftwaffe bisher ungeahnte Möglichkeiten, sollte die Waffe sowohl mit den westlichen F-16 kompatibel sein, als auch tragfähig für ihre MiG- und Suchoi-Maschinen. Dabei scheinen sowohl die USA als auch die Ukraine davon auszugehen, dass die Waffe so schnell serienreif würde, dass in der Ukraine noch Krieg herrsche beziehungsweise, dass die ukrainische Luftwaffe dann noch über Maschinen aus der Sowjetzeit verfüge. Insofern darf als vollmundig angesehen werden, dass die USA ausschließlich für einen technologischen Fortschritt der Ukraine produzierten.

Die Suche nach Möglichkeiten, die Kapazität für Abstandsschläge schnell zu erweitern und die entsprechenden Vorräte deutlich zu vergrößern, ist für das US-Militär von großem Interesse, insbesondere im Hinblick auf die Planungen für einen möglichen zukünftigen hochkarätigen Konflikt mit China“, schreibt Warzone. Die Ukraine biete demnach eher einen Lackmustest für die schnelle Entwicklung und Ausweitung der Produktion relativ komplexer Waffensysteme. „Vor diesem Hintergrund bietet ERAM die Möglichkeit, den gesamten Zyklus von der schnellen Prototypisierung bis zur Inbetriebnahme eines Waffensystems zu durchlaufen, das dann in einem echten Konflikt sofort in den operativen Einsatz übergehen könnte“, heißt es weiter von Warzone.

Die USA als Weltpolizist: Auf vier Konfliktherden deutlich überfordert

Was dringend geboten wäre – jedenfalls nach Meinung von Wilson Biber und Jim Fein: „Neben den bisherigen Versäumnissen des Pentagons bei der Munitionsplanung dürften seine zukünftigen Pläne noch besorgniserregender sein. Kriegsspiele haben wiederholt gezeigt, dass den USA in einem hochintensiven Konflikt mit China um Taiwan bereits acht Tage nach Beginn des Konflikts die entscheidenden Waffen ausgehen werden“, schreiben die beiden Analysten des Thinktank Heritage Foundation. Ihrer Behauptung aus dem Dezember vergangenen Jahres nach würden sich die USA gerade an ihrer Rolle als Weltpolizist verheben.

Die Ukraine, der Gaza-Streifen, der Indo-Pazifik und der schwelende Konflikt zwischen Nord- und Südkorea – vier aktuell beziehungsweise drohende Kriegsschauplätze würden das Arsenal an gelagerter Munition in den USA sprengen. Die Stationierung von Tomahawk-Raketen in Deutschland würde die Situation nochmals verschärfen. „Angesichts der neuen Bedrohungslage geht es um die Frage: Wie schrecken wir effektiv ab?“, sagte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gegenüber der Tagesschau – er betrachtet die Stationierung von Tomahawk-Raketen von 2026 an als Deckung der „Fähigkeitslücke“. Möglicherweise reisst das aber eine Fähigkeitslücke in den USA auf.

Tatsächlich können diese see- wie landgestützten Raketen sowohl atomar als auch konventionell bestückt werden und gelten als Erstschlagwaffen beziehungsweise als Ersatz bemannter Bomber. Sollten die USA beziehungsweise ihre Verbündeten dem Bedarf hinterher produzieren, bekämen nach Meinung von Biber und Fein die Fundamente der Nato bedenkliche Risse beziehungsweise schmälerte das die Rolle der USA als wehrhafte Weltmacht: „Die aktuelle Mission des US-Militärs beruht auf Abschreckung und der Lieferung von Munition an Verbündete. Dass das US-Militär in letzterer Hinsicht voraussichtlich nicht genug leistet, untergräbt in den Augen chinesischer Militärplaner sicherlich die erste Mission“, schreiben die Analysten.

Tomahawks und Ukraine-Rakete: Biden-Regierung heizt neues Wettrüsten an

Jetzt seien die Vereinigten Staaten in ein neues Wettrüsten verwickelt, mutmaßt das US-Online-Magazin NPR. Manche bezeichneten die gegenwärtige „Ära potenzieller Konflikte zwischen Großmächten“ als einen zweiten Kalten Krieg, sagt Julia Gledhill. Die Analystin der Nichtregierungsorganisation Project On Government Oversight sieht darin das Fundament einer „neuen Ära exzessiver Militärausgaben“, wie sie sagt.

Panzer, Drohnen, Luftabwehr: Waffen für die Ukraine

Die Bundeswehr nutzt den Kampfpanzer Leopard in verschiedenen Varianten seit 1979. Bewaffnet mit einer 120-Millimeter-Kanone lassen sich in den jüngeren Modellen von vier Soldaten an Bord Ziele in einer Entfernung bis zu 5000 Metern bekämpfen. Die Ukraine erhält Panzer des Typs Leopard 2 A6. Das 62,5 Tonnen-Gefährt war bei seiner Einführung im Jahr 2001 als verbesserte Variante des A5 etwa mit neuer Hauptwaffe versehen worden. Das Modell A6M verfügt zudem über einen erhöhten Minenschutz.
Der US-Kampfpanzer M1 Abrams gleicht dem Leopard 2 in weiten Teilen. Den M1 Abrams gibt es seit 1980 in mittlerweile drei Hauptvarianten. Seit dem Modell M1A1 ist eine 120-Millimeter-Kanone an Bord. Die vier Insassen werden von einer Stahl-Panzerung vor Angriffen geschützt. Mit 1500 PS kommt der je nach Modell bis zu 74 Tonnen schwere Abrams auf eine Höchstgeschwindigkeit von knapp 68 Kilometern pro Stunde. Anders als der Leopard 2 wird der M1 Abrams über eine Gasturbine mit Kerosin angetrieben.
Die Hauptwaffe der US-amerikanischen Bradley-Schützenpanzer besteht aus einer 25-Millimeter-Maschinenkanone M242 Bushmaster, die zwischen 100 und 200 Schuss pro Minute verschießen kann. Zudem sind die gepanzerten Kettenfahrzeuge, die nach General Omar N. Bardley benannt sind, mit Maschinengewehren des Typs M240 sowie panzerbrechende Raketen ausgestattet. Die Besatzung umfasst bis zu zehn Soldaten: Fahrer, Kommandant, Richtschütze sowie bis zu sieben Soldaten als Infanterietrupp. Der Panzer wurde dafür konzipiert, im Verbund mit Panzerartillerie und Kampfhelikoptern zu operieren.
Beim AMX-10 RC aus Frankreich handelt es sich um einen amphibischen Spähpanzer. Der Panzer wird aufgrund seiner schwereren Panzerung und Bewaffnung hauptsächlich bei der Aufklärung eingesetzt. Ausgestattet ist er mit einer 105-Millimeter-Kanone, wodurch er auch als Panzerjäger verwendet werden kann. Die Besatzung besteht aus mindestens vier Soldaten. Bei einer Gefechtsmasse von 14,2 Tonnen ist der Panzer mit 85 km/h extrem mobil.
Panzer, Drohnen, Luftabwehr: Waffen für die Ukraine

Tatsächlich wird sich die Rüstungsspirale durch die Ankündigung der Ausschreibung neuer Raketen „exklusiv für die Ukraine“ schneller zu drehen beginnen, wie das Magazin Voice of America aufgrund einer Äußerung von Dmitri Peskow nahe legt: Der Kremlsprecher habe gesagt, die aktuell abgegebenen Erklärungen der Nato-Mitglieder über einen möglichen Einsatz von Langstrecken-Waffensystemen in der Ukraine kämen einer „gefährlichen Eskalation“ gleich. Auch Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte gegenüber dem russischen Magazin Lenta behauptet, die Lieferung von F-16 würde den Boden bereiten für eine nukleare Bedrohung Russlands.

Ob die neu zu entwickelnden Langstrecken-Waffen auch in einer atomaren Version kommen könnten, bliebe abzuwarten. Während des Nato-Gipfels in Washington D.C. hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gefordert, endlich Grünes Licht für den Beschuss des russischen Kernlandes mit westlichen Waffen zu erhalten – die Entwicklung einer luftgestützten Langstrecken-Bombe für die Ukraine würde ohne die Aufhebung der Beschränkung tatsächlich wenig Sinn ergeben. Nach Angaben von VOA behauptete Peskow, dass bereits Langstreckenraketen auf Gebiete wie Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja abgefeuert würden – Teile der Ostukraine, die seiner Aussage nach russisches Territorium seien.