Verband schlägt Alarm: Deutsche Autoindustrie wandert zunehmend ab – größte Sorge ist nicht das E-Auto
Der Wohlstand Deutschlands hängt maßgeblich von der Autoindustrie ab. Aktuell verlagern jedoch viele Unternehmen ihre Investitionen ins Ausland. Der VDA benennt Gründe.
Berlin/München – Deutschlands Autoindustrie steht vor der Zerreißprobe. Angesichts wirtschaftspolitischer Entwicklungen der jüngeren Zeit gerät der jahrzehntelange Überflug ins Wanken. Statistiken und Stimmen von Beteiligten sowie Experten lassen daran keinen Zweifel.
Alarmstimmung verbreitet der Verband der Automobilindustrie (VDA) schon länger. Mit einer aktuellen Umfrage verdeutlicht der Branchenverband die prekäre Lage des Industriestandorts. Demnach entscheiden sich Firmen aus Deutschland immer öfter, Investitionen im Ausland statt in der Heimat zu tätigen. „Immer mehr Unternehmen des automobilen Mittelstandes planen, Investitionen ins Ausland zu verlagern“, erklärt die VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Die Ergebnisse würden ihr zufolge eine eindeutige Sprache sprechen.
Deutsche Autoindustrie leidet unter mehreren Problemen – Investitionen gestoppt oder verlagert
Nicht weniger als 82 Prozent der Unternehmen, verschieben, verlagern oder streichen geplante Investitionen in Deutschland. 37 Prozent der Befragten planen, stattdessen ins Ausland zu expandieren – hauptsächlich in andere EU-Länder, aber auch nach Asien und Nordamerika. 13 Prozent haben ihre Investitionen komplett gestrichen. Gerade mal ein Prozent der Unternehmen beabsichtigt, trotz der aktuellen Herausforderungen ihre Investitionen in Deutschland zu erhöhen, führt der VDA aus.
Was die hiesigen Unternehmen besonders bemängeln, ist die übermäßige Bürokratie: 83,3 Prozent fühlen sich aufgrund dessen stark oder sehr stark belastet. Ein weiterer Problempunkt ist den Angaben zufolge Fach- und Arbeitskräftemangel mit 68 Prozent, gefolgt von der hohen Steuer- und Abgabenlast (65 Prozent). Auch die gestiegenen Strompreise (62 Prozent) sowie die hohen Gaspreise (50 Prozent) werden kritisiert.
Schon länger warnt der VDA vor einer drohenden Deindustrialisierung in Deutschland, aufgrund der Rahmenbedingungen:
VDA sieht Handelskonflikte mit Sorge – Appell an die Bundesregierung
Mit großer Sorge blickt die Autoindustrie auf die zunehmenden Handelskonflikte in der EU. „Die EU und die Bundesregierung müssen sich entschlossener für offene Märkte einsetzen“, fordert VDA-Präsidentin Müller (56). Zunächst sorgte die Energiekrise durch den Ukraine-Krieg für Turbulenzen, mittlerweile sind auch die Spannungen zwischen der EU und China angewachsen, analog dem US-amerikanischen Protektionismus.
Meine news
Ein Beispiel für den Rückgang der Investitionsfreude ist ein Konsortium zur Herstellung von Elektroauto-Batterien: ACC hat angekündigt, Pläne für ein neues Werk in Kaiserslautern vorerst auf Eis zu legen, ebenso wie im italienischen Standort Termoli. Das Gemeinschaftsunternehmen der Großkonzerne Mercedes, Stellantis und TotalEnergies reagiert damit auf die nachlassende Nachfrage nach Elektrofahrzeugen. „ACC passt seine Strategie zur Beschaffung von Batterien an, um sein Portfolio um kostengünstigere Zellchemikalien zu erweitern“, erklärte der Vorsitzende Matthieu Hubert.
Industriestandort Deutschland in Gefahr – auch E-Autos spielen eine Rolle
Denn nicht nur die Konkurrenzfähigkeit von Deutschland und Europa stagniert, sondern auch der Verkauf von Elektroautos: Im Mai kamen rund 29.700 E-Modelle neu auf die Straßen, wie das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) mitteilte. Das bedeutet im Vergleich zum Vorjahresmonat ein Minus von 31 Prozent. „Die Nachfrage nach Elektroautos bleibt mau – trotz Preissenkungen auf breiter Front und neuer Modelle“, schildert die Unternehmensberatung EY. Privatleute und Unternehmen halten sich nach ihrer Beobachtung angesichts der schwächelnden Wirtschaft generell bei größeren Anschaffungen zurück.

Trotz der massiven Herausforderungen bewerten die Unternehmen ihre Geschäftsaussichten nicht ausschließlich negativ. Knapp mehr als die Hälfte erwartet im Jahr 2024 offenbar weder eine Verschlechterung noch Verbesserung der wirtschaftlichen Situation. Optimismus und Pessimismus halten sich die Waage: 22 Prozent erwarten bessere, 24 Prozent schlechtere Geschäfte. Auch die Vorteile vom Industriestandort Deutschland werden erörtert: vor allem das industrielle Netzwerk, das duale Ausbildungssystem, die Infrastruktur sowie politische Stabilität. Der letzte Punkt wiederum wird jedoch in einer weiteren Umfrage nicht wirklich positiv bewertet. (PF mit Material von AFP und dpa)