Deutschland verliert „immer mehr an Boden“ – Investoren misstrauen Wirtschaftsstandort
Deutschland verliert als Wirtschaftsstandort offenbar vor allem im Ausland weiter an Attraktivität. Das alarmiert auch die Bundesregierung.
Berlin – Deutschland wird für ausländische Investoren offenbar immer unattraktiver. „Bei hohen Kosten, zermürbender Bürokratie und kaputter Infrastruktur überlegen es sich ausländische Unternehmen zweimal, bevor sie einen Euro in Deutschland investieren“, sagte der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, gegenüber dem Handelsblatt. „Deutschland verliert im Standortwettbewerb immer mehr an Boden.“
Investoren misstrauen Standort Deutschland – Lindner schlägt Alarm
Neue Zahlen des IW, die dem Handelsblatt vorliegen, liefern ebenfalls düstere Prognosen über die Investitionen. Demnach gehen die Direktinvestitionen in Deutschland mit hoher Geschwindigkeit zurück. Der Nettoabfluss schwächte im Jahr 2023 ab, nachdem er 2021 und 2022 auf Rekordhöhe angeschwollen war. Paradoxerweise bauen deutsche Unternehmen ihr Geschäft in Nachbarstaaten aus, während seit 2020 die Direktinvestitionen aus dem Ausland Jahr für Jahr zurückgehen. So gering wie im vergangenen Jahr waren die Zuflüsse seit 2014 nicht mehr.

Im internationalen Vergleich fällt Deutschland damit weiter zurück. Das versetzt auch die Bundesregierung in Sorge. „Es gibt keinen Mangel an privatem Kapital. Trotzdem wird zu wenig in den Standort Deutschland investiert“, sagte Finanzminister Christian Lindner (FDP) dem Handelsblatt. Aber: Die Standortattraktivität sei „in der Vergangenheit vernachlässigt“ worden.
Immer mehr Investoren ziehen sich aus Deutschland zurück – Automobilbranche betroffen
Ausländische Unternehmen nehmen Deutschland mittlerweile als wirtschaftlich und politisch wenig robust wahr. Nur noch 58 Prozent der Finanzchefs von Tochterunternehmen ausländischer Konzerne zählen Deutschland noch zu den fünf stabilsten europäischen Ländern. Das geht aus einer Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG vor, deren Ergebnisse das Handelsblatt zuerst veröffentlicht hat. Vor zwei Jahren zählten noch 80 Prozent der Befragten Deutschland zu den stabilsten Ländern in der Europäischen Union (EU).
Eine Rolle könnte der Ukraine-Krieg spielen sowie die schwache konjunkturelle Lage, die sich auch in den Prognosen eines geringen Wirtschaftswachstums spiegelt. Während den Corona-Zeiten existierte ein anderes Bild, „wegen seiner verlässlichen politischen Führung und schneller Umsetzung der beschlossenen Coronamaßnahmen“, sagte KPMG-Bereichsvorstand und Studienautor Andreas Glunz dem Handelsblatt.
Deutschland bei Investoren unattraktiver – welche Branchen besonders hart betroffen sind
Einige Branchen trifft die Entwicklung am Standort Deutschland besonders hart. Es sind vor allem die Automobilindustrie und die Chemiebranche, die vor dem Hintergrund immer unabhängiger vom Standort Deutschland werden und ihre Geschäfte verlagern könnten. So investiert der Technologiekonzern und deutsche Autozulieferer ZF investiert massiv in den USA. Das Unternehmen baut sein Getriebewerk in Gray Court, South Carolina, für 500 Millionen US-Dollar (rund 460 Millionen Euro) aus.
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Die Chemiebranche leidet wiederum, weil ihre wichtigsten Abnehmer ebenfalls in der Krise stecken: „Die wichtigsten Abnehmer für chemische Produkte sind die Autoindustrie und der Bau – und damit Branchen, die selbst unter erheblichem Druck stehen“, sagte BCG-Chemieexperte Marcus Morawietz der Wirtschaftswoche. Die Gefahr sei groß, dass Chemieunternehmen abwandern, oder ihre Geschäfte in Deutschland herunterfahren.
Deutschland verliert als Standort an Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit
Neben sinkender Attraktivität als Wirtschaftsstandort verliert Deutschland auch an Wettbewerbsfähigkeit. Zuletzt belegte Deutschland im neuen „Länderindex Familienunternehmen“ den 18. Platz unter den 21 Ländern (Stand 2023). Im Jahr 2020 hatte Deutschland noch auf dem 14. Rang gelegen. Die Aussichten für die deutsche Wirtschaft sind also weiterhin wenig optimistisch. Der Ansicht ist zumindest Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Die Forschenden rechnen für 2024 mit Stagnation.
Die Forscher merken zudem an, „dass die Stimmung in Deutschland extrem schlecht ist“, sagte Fratzscher der Wirtschaftswoche. Er hebt dabei vor allem Unternehmen hervor, aber auch private Konsumenten. Das Stimmungsbild wirke sich auch auf die Konjunktur aus. „Ein Teil dieser Schwäche hat sicherlich etwas mit Psychologie zu tun, mit der Stimmung, die in Deutschland deutlich schlechter ist als in vielen anderen Volkswirtschaften.“ (bohy)