Drohnenwelle der Ukraine auf Putins Raffinerien rollt: USA fürchten um den Öl-Preis – aber könnten irren
Die Ukraine fährt Schläge auf Putins Raffinerien – zum Unmut der USA. Doch einige Experten meinen: Der Öl-Preis könnte letztlich sogar sinken.
Die Ukraine hat seit Ende April zu einer neuen Serie von Drohnenschlägen auf das Herz der russischen Wirtschaft ausgeholt: Berichte über mindestens ein Dutzend Schläge auf russische Raffinerien seit dem 27. April kursieren. Der spektakulärste fand in Salawat in Russlands Teilrepublik Baschkortostan wohl sein Ziel – 1500 Kilometer hinter den Frontlinien. Und die Welle dürfte weiter rollen.
Doch was Ukrainer und Unterstützer ihres Verteidigungskrieges in Freude versetzt, sorgt ausgerechnet im Westen für Sorge: Nach einer ersten Reihe von Angriffen mahnten die Vereinigten Staaten die Ukraine zur Zurückhaltung, so berichtete es die Financial Times unter Berufung auf Insider. Der Grund scheint klar. Steigt der Öl-Preis, leidet die Weltwirtschaft. Und mutmaßlich auch Joe Bidens Wahlkampf im Autofahrerland USA. Beim Öl scheint die Freundschaft also zu enden. Doch Fachleute sind sich längst nicht einig, ob die für Wladimir Putins Russland schmerzhaften Attacken überhaupt eine Gefahr für das Preisniveau sind.
Drohnenwelle der Ukraine rollt – Russland dominiert weiter im Öl-Weltmarkt
Der Energieexperte Jörg Schindler sieht vor allem offene Fragen: Klar scheine, dass einzelne Raffinerien getroffen worden seien. Über Auswirkungen auf Russlands Produktion lasse sich aber nur spekulieren: „Es läuft ein Informationskrieg, was wirklich stimmt, ist nicht nachzuvollziehen“, sagte der Experte der „Association for the Study of Peak Oil and Gas“ auf Anfrage von IPPEN.MEDIA. Das gelte für Angaben beider Seiten.
Es gibt aber Indizien für Effekte auf Russlands Treibstoffversorgung. Reuters zufolge stoppte Russland am 1. März den Benzin-Export – zugleich stiegen bis Mitte März die Treibstoff-Importe aus Belarus massiv an. Noch im Januar habe es gar keine gegeben. Und Ende April sind die Diesel-Preise in Russland um zehn Prozent binnen einer Woche gestiegen, wie das Portal Politico unter Berufung auf offizielle Daten der russischen Regierung berichtete. Benzin sei seit Jahresbeginn um 20 Prozent teurer geworden.

Bidens Verteidigungsminister Lloyd Austin hat indes im April die Haltung der USA auch öffentlich kundgetan: Es drohe ein „Domino-Effekt“ auf den internationalen Öl-Märkten, erklärte er. Rückendeckung erhielt er von der Internationalen Energieagentur. Die internationalen Märkte seien „auf russische Exporte von Diesel, Rohbenzin und Kerosin angewiesen“, zitierte Bloomberg die IEA. Schindler bestätigt das: Russland dominiere zusammen mit den USA und Saudi-Arabien weiter den Weltmarkt für Öl, ungeachtet der westlichen Sanktionen. „Wenn einer davon schwächelt oder in einem dieser Länder die Produktion zurückgeht, dann hat das weltweite Konsequenzen.“ Aber es gibt auch Gegenstimmen – der Teufel liegt womöglich im Detail.
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USA bangen um Öl-Preis: Experten widersprechen – „Russland muss mehr Öl exportieren“
Unter dem sprechenden Titel „Warum die Ukraine weiter Russlands Öl-Raffinerien attackieren sollte“ warfen die drei Forscher Michael Liebreich, Lauri Myllyvirta und Sam Winter-Levy Bidens Regierung zuletzt ein folgenschweres Missverständnis vor. Schläge auf Raffinerien verminderten Russlands Fähigkeit, Rohöl zu verarbeiten, argumentierten sie im Magazin Foreign Affairs. Auf den Export von Rohöl hätten erfolgreiche Angriffe keinen negativen Einfluss – im Gegenteil.
Putins Wirtschaft könne zwar bei Ausfall der russischen Raffinerien weniger Benzin oder Kerosin herstellen, brauche aber Einnahmen: „Russland wird gezwungen sein, mehr Rohöl zu exportieren, nicht weniger, das wird die Preise senken, statt sie zu erhöhen“, schreiben die drei Forschenden. Das gelte jedenfalls, solange nicht Öl-Quellen und Export-Infrastruktur das Ziel seien – und die Ukraine habe sich zuletzt auf Raffinerien fokussiert. Auch der Ex-US-General Ben Hodges riet Kiew schon im März via BBC, die Schläge fortzusetzen.
Ukraine attackiert Russlands Raffinerien: „Niemand kann sagen, dass wir das nicht dürfen“
Ohnehin scheint sich die Ukraine von ihrem Kurs nicht abbringen lassen zu wollen. „Die Reaktion der USA darauf war nicht positiv“, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj Ende März der Washington Post über die erste Attackenwelle auf Raffinerien vom Jahresanfang. Er betonte aber, dass die USA in dieser Frage kein Veto hätten. „Wir haben unsere Drohnen benutzt. Niemand kann uns sagen, dass wir das nicht tun dürfen.“ Nach einer Pause im April legten die ukrainischen Streitkräfte Ende des Monats wieder los. Eine Auswahl der Meldungen:
Datum | Ziel | Quelle |
---|---|---|
17. Mai | Rosneft-Reffinerie in Tuapse (Region Krasnodar) | Reuters, Behörden bestätigten Feuer |
15. Mai | Öl-Lager in Proletarsk (Region Rostow) | HUR, keine offizielle Bestätigung |
11. und 12. Mai | Lukoil-Raffinerie Wolgograd | Reuters, Behörden bestätigten Feuer |
10. Mai | “First Plant”-Kleinraffinerie in der Region Kaluga | Moscow Times, Behörden bestätigten Feuer |
10. Mai | Öl-Lager in Rowenkyj (besetzte Region Luhansk) | Reuters, Besatzer bestätigten Schlag |
9. Mai | Gazprom-Raffinerie in Salawat (Teilrepublik Baschkortostan) | Telegram, Behörden bestätigten Rauchentwicklung |
9. Mai | Zwei Öl-Depots in Jurowka (Region Krasnodar) | Kyiv Independent, Behörden bestätigten Schlag |
1. Mai | Rosneft-Raffinerie in Rjasan (Region Rjasan) | Bloomberg, Behörden bestätigten Angriff |
1. Mai | JSC-Raffinerie Log (Region Woronesch) | HUR, keine offizielle Bestätigung |
29. April | Öl-Depot in Sewastopol (Krim) | AP, Behörden bestätigten Feuer |
27. April | Raffinerie Slawjansk-na-Kubani (Region Krasnodar) | Tass, Unternehmen bestätigte Feuer und Störung |
Ein Motiv: Treibstoff-Knappheit würde Russlands Militär-Logistik massiv beeinträchtigen – und die nahezu ausschließliche Quelle für Diesel und Co. waren lange Zeit die heimischen Raffinerien. Die komplexen Anlagen sind schnell ein paar Wochen außer Betrieb, wenn sie erstmal beschädigt sind. Aber das Kalkül reicht weiter. Die Öl-Einnahmen seien „das Herz der russischen Kriegswirtschaft“, erklärte das Atlantic Council einen weiteren Argumentationsstrang Kiews. Diese These bestätigte auch Experte Felix Jaitner zuletzt im Gespräch mit IPPEN.MEDIA.
Der Wissenschaftler Eugene Rumer vom Carnegie Endowment sieht auch weiche Faktoren hinter den Schlägen: „Gelegentliche tiefe Schläge auf Ziele in Russland generieren öffentliche Aufmerksamkeit und stärken die Moral“, erklärte er in einem Bericht der Denkfabrik. Und schließlich dürfte noch eine Form von Genugtuung mitschwingen: Russland attackiert seit Langem gezielt die Energieinfrastruktur in der Ukraine – womöglich, um das Land „unbewohnbar“ zu machen, wie der Kiewer Politikwissenschaftler Mykola Bielieskow unserer Redaktion sagte. Ein Gegenschlag kann da Balsam auf kriegsgeschundene Seelen sein – selbst, wenn das nur ein Nebeneffekt ist. (fn)
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