Was treibt eine Frau jahrelang an, Tag für Tag achtlos hingeworfenen Müll zu sammeln? Ursula Zieglmeier (89) will Blumen und Grünanlagen genießen, ohne Zigarettenschachteln und Gummibärchentüten.
Ebersberg – Je engagierter Ursula Zieglmeier ist, umso weniger sieht man. Klingt paradox, ist aber logisch. Die 89-jährige Ebersbergerin verlässt ihr Haus nicht ohne Greifzange und Mülltüte und wo sie gelaufen ist, gibt’s keinen Müll mehr. Ob sie zum Einkaufen oder einfach nur spazieren geht: Auf all ihren Wegen sammelt sie Zigarettenkippen, Gummibärchentüten, Notizzettel, Plastikbecher, Corona-Masken, Kronkorken, eben alles, was so herumliegt, entweder, weil‘s aus der Hosentasche gefallen ist oder weil's jemand achtlos weggeworfen hat. Nur an Sonn- und Feiertagen, da lässt sie die Greifzange daheim. Was motiviert diese Frau? „Es soll halt schön ausschauen“, sagt sie.
„Wegschauen“, „Schimpfen“, oder „Hinlangen.“ An diesem Dreisatz zeigt sich, wo bürgerliches Engagement beginnt. Irgendwann wollte Ursula Zieglmeier über den herumliegenden Müll nicht mehr hinwegsehen. Und über eine Sache zu schimpfen, ist nicht ihre Sache. Also hat sie angepackt.
Anpacken und nicht nur schimpfen
„Zigarettenkippen sind so klein, da meint man, die fallen nicht auf“, sagt sie, aber sie seien in dieser Menge halt doch ein Problem. An einer Stelle hat sie alles beseitigt, und nun, beim Zurücklaufen, liegt schon wieder was am Boden. Stoisch wird auch dieses Papier aufgegabelt. Da, eine Bierflasche. Für das Flaschenpfand habe sie ein Projekt, sagt sie. Das Geld wird also gespendet. Dann schlägt die 89-Jährige einen wendigen Haken, man kann kaum folgen. „Dort ist auch noch was.“ Manches ist schnell weggeräumt, manches lässt sich kaum greifen. „Am schlimmsten ist es bei Regen, da klebt alles am Boden“, sagt Ursula Zieglmeier.
Was die schmutzige Ausbeute in ihrer Sammeltüte betrifft, zeigt sich Ursula Zieglmeier meist milde. Am Bahnhof liegen mehrere Pizzaschachteln am Boden. Beim Aufsammeln fallen Pizzareste aus der Schachtel. Sie sagt nur: „Hat wahrscheinlich nicht mehr geschmeckt.“ Die Schachteln sind zu groß für ihre Tüte und müssen zu einem Container gebracht werden. An einem Punkt kommt Ursula Zieglmeiers Toleranz aber doch an Grenzen: Warum liegen in diesem Blumenkasten Plastiktüten, Joghurtbecher, Sushi-Box und Ess-Stäbchen? „Wäre doch viel schöner, die Blumen zu genießen, ohne Müll.“
Das Sammeln begann vor 15 Jahren
Vor etwa 15 Jahren hat Ursula Zieglmeier zusammen mit ihrem Mann begonnen, bei Spaziergängen Flaschen aufzusammeln. Die beiden hätten auch wegschauen oder über Müllsünder und die Stadt schimpfen können. Aber sie haben sich gebückt. Nachdem ihr Mann gestorben ist, hat sie alleine dafür gesorgt, dass es schön aussieht. Während Ursula Zieglmeiers Augen konzentriert über den Boden streifen, gibt’s von Passanten unterschiedliche Reaktionen: Verstohlen wegsehen oder neugierig hinschauen. Gelegentlich erntet sie auch ein „Danke“. Auf einer ihrer Sammeltouren, so erzählt sie, habe ihr ein Mann nachgerufen: „Dort hamms was vergessen.“ Spricht sie denn auch Menschen an, die etwas fallenlassen? Hat sie schon mal, sagt sie: Einem Mann, der die Kippe weggeworfen hat, machte sie darauf aufmerksam, dass man das nicht tun sollte. „Sie haben Recht“, habe er freundlich geantwortet.
Am schlimmsten ist es bei Regen, da klebt alles am Boden.
Als sich Ursula Ziegler nach einer OP lange Zeit nicht mehr bücken konnte, hat eine Bekannte bemerkt, dass auf Zieglers Stammstrecke nun mehr Müll liege. Dann hat sie von der Stadt Ebersberg eine Greifzange geschenkt bekommen. Nun sammelt sie wieder, muss sich aber nicht mehr bücken.
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Ursula Zieglmeier ist die Erste, aber mittlerweile nicht mehr die Einzige, die sich in Ebersberg für eine müllfreie Stadt einsetzt. Weitere 253 Müllpaten gibt es, die sich immer wieder auf den Weg machen, um Straßen, Plätze und Grünstreifen sauber zu halten, ausgerüstet mit Greifzange, Handschuhen, Warnweste und Müllsack: die Agenda21, Kindergärten, Schulklassen, Frauennotruf und Frauenunion sind mit dabei.
Rathaus koordiniert die Müllpaten
Eine Frage brennt auf den Lippen: Ist es denn nicht eigentlich die Aufgabe der Stadt, den Müll wegzuräumen? Agnes Gehrer arbeitet in der Stadtverwaltung als Abfallberaterin und koordiniert die Arbeit der Müllpaten. Sie sagt: „Prinzipiell ist schon die Stadt für die Reinhaltung der öffentlichen Straßen und Wege verantwortlich“, allerdings könne der Mitarbeiter, der dafür zuständig sei, nicht überall gleichzeitig sein. Man sei also froh über das Engagement von Frau Zieglmeier und anderer Ehrenamtlicher. „Was die meisten Menschen nicht wissen“, erklärt Agnes Gehrer: „es gibt eine Satzung, wonach jeder auf dem Gehweg vor seinem Grundstück alle zwei Wochen kehren muss.“ Das beinhalte, sagt sie, wenngleich es nicht ausdrücklich erwähnt ist, auch den Müll wegzukehren.
Wer eine Müllpatenschaft übernehmen will, kann sich auf der Stadtseite und der Karte mit dem Sammelgebiet umsehen und bei Agnes Gehrer melden (Stadt Ebersberg, Telefon: 0 80 92/82 55-92).