Pentagon gibt zu: Irans Nuklearprogramm ist längst nicht zerstört
US-Bomber zerstörten wichtige Nuklearstandorte im Iran – doch nicht alles. Neue Einschätzungen aus dem Pentagon relativieren Trumps Siegestöne.
Washington, D.C. – Gut anderthalb Wochen nach den schweren US-Luftschlägen auf iranische Atomanlagen gibt das Pentagon eine neue, deutlich realistischere Einschätzung ab: Das iranische Nuklearprogramm wurde nicht „ausgelöscht“, wie US-Präsident Donald Trump behauptet hatte, sondern lediglich um ein bis zwei Jahre verzögert. Dies erklärte der oberste Sprecher des Verteidigungsministeriums, Sean Parnell, am Mittwoch in Washington.
Pentagon: Irans Nuklearprogramm ist längst nicht zerstört
„Wir haben ihr Programm um ein bis zwei Jahre zurückgeworfen – zumindest nach der Einschätzung unserer Nachrichtendienste im Ministerium“, sagte Parnell gemäß Reuters. Und weiter: „Ich denke, wir gehen wahrscheinlich eher von zwei Jahren aus, wir haben ihr Programm um zwei Jahre geschwächt.“
In der Nacht vom 20. auf den 21. Juni hatte das US-Militär gemeinsam mit Israel im Rahmen der Operation „Midnight Hammer“ sowie im aufschwellenden Nahostkonflikt drei zentrale iranische Nuklearanlagen in Fordo, Natanz und Isfahan bombardiert. Dabei kamen insgesamt 14 bunkerbrechende Bomben des Typs GBU-57 „Massive Ordnance Penetrator“ (30.000 Pfund) sowie mehr als zwei Dutzend Tomahawk-Marschflugkörper zum Einsatz.
An der Operation waren laut Pentagon mehr als 125 Luftfahrzeuge beteiligt, darunter B-2-Tarnkappenbomber, F-35-Kampfjets, Tankflugzeuge sowie Aufklärungs- und Überwachungsplattformen. Zusätzlich feuerte ein US-amerikanisches Atom-U-Boot eine Salve Tomahawks auf Ziele bei Isfahan ab, berichtet das Portal Stars and Stripes. In Fordo, einem tief unterirdisch angelegten Anreicherungszentrum nahe Ghom, setzten die US-Streitkräfte gezielt sechs MOP-Bomben ein, um massive Betondecken über Lüftungsschächten zu durchschlagen. In Natanz und Isfahan trafen die Angriffe weitere kritische Einrichtungen zur Uranverarbeitung und -anreicherung
Pentagon über Irans Atomanlagen: Deutliche Diskrepanz zu Trumps Siegesmeldung
Trotz dieser massiven Zerstörung räumt das Pentagon ein, dass nicht das gesamte iranische Atomprogramm zerstört wurde. Präsident Trump hatte indes unmittelbar nach dem Angriff auf Social Media erklärt, dass Irans „Hauptanlagen zur Urananreicherung vollständig und total ausgelöscht“ worden seien. Auch das Weiße Haus bekräftigte diese Lesart: Pressesprecherin Karoline Leavitt nannte die Operation jüngst einen „perfekt ausgeführten Einsatz zur Auslöschung des iranischen Atomprogramms“.
Doch laut Pentagon-Sprecher Parnell habe man vor allem „Komponenten zerstört, die sie zur Herstellung einer Bombe benötigen“. Dies seien nicht nur Zentrifugen oder angereichertes Uran, sondern auch unterstützende Technologien und Infrastruktur. Parnell sagte wörtlich: „Wenn man all diese Elemente zusammennimmt, glauben wir, dass Irans nukleare Fähigkeiten schwer beschädigt wurden – vielleicht sogar ihre Ambition, eine Bombe zu bauen.“
Uneinigkeit unter Experten zur Lage im Iran – IAEA: Produktion binnen Monaten möglich
Aber auch die neue Bewertung des Pentagon wird jedoch nicht von allen geteilt. Rafael Grossi, Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), hatte bereits zuvor davor gewarnt, dass der Iran möglicherweise „in wenigen Monaten“ wieder Uran anreichern könne. Die Schäden seien zwar „schwerwiegend“, aber keineswegs „total“.
Laut der US-Organisation Arms Control Association, die sich für Rüstungskontrolle und Abrüstung einsetzt, verlagerten iranische Behörden vermutlich bereits vor den Angriffen Teile ihrer hochangereicherten Uranvorräte aus den betroffenen Anlagen. Besonders die Anreicherungsanlage in Fordo galt als strategisch so bedeutend, dass eine Verlagerung vorab als wahrscheinlich eingestuft wurde. Eine frühzeitige Einschätzung des Pentagons, die an Medien durchgesickert war, ging daher nur von einer Verzögerung „um Monate“ aus – eine Einschätzung, die jedoch vom Weißen Haus strikt zurückgewiesen wurde.
Zudem wurde bekannt, dass unterirdische Komplexe bei Natanz, in denen möglicherweise neue Zentrifugen installiert werden sollten, offenbar unversehrt blieben, heißt es auf armscontrol.org.
Ziel der US-Angriffe: Irans zentrale Atomanlagen im Überblick
Standort | Funktion der Anlage | Status vor dem Angriff (IAEA) | Angriffsmittel | Bewertung der Schäden (Stand Juli 2025) |
---|---|---|---|---|
Fordo | Tief verbunkerte Urananreicherung (IR-1 & IR-6) | In Betrieb, 16 Kaskaden aktiv | 6× GBU-57 Bunkerbrecher | Erhebliche strukturelle Schäden, aber keine unabhängige Bestätigung für Totalschaden |
Natanz | Oberirdische Pilotanlage (PFEP) & unterirdische Fuel Enrichment Plant (FEP) | >100 aktive Kaskaden, darunter IR-1, IR-2, IR-4, IR-6 | Bunkerbrecher und Cruise Missiles | PFEP laut IAEA zerstört; Schäden an der FEP möglich, aber unklar |
Isfahan | Uranverarbeitung, Metallumwandlung, Forschung | Mehrere Labore und Konversionsanlagen aktiv | Tomahawks von U-Boot + Luftschläge | 4 bis 18 Gebäude beschädigt oder zerstört, u. a. chemisches Labor, Konversions- und Metallanlagen |
Hinweis zu dieser Tabelle: Die Schadensbewertungen basieren auf Pentagon-Aussagen, Satellitenauswertungen und IAEA-Analysen. Eine endgültige Bewertung ist derzeit nicht möglich, da Inspektionen vor Ort ausgesetzt sind.
Zerstörte Labore, beschädigte Uranverarbeitung – aber keine völlige Stilllegung des iranischen Atomprogramms
Die Schäden an den drei Hauptanlagen sind dennoch erheblich. In Esfahan wurden laut IAEA 18 Gebäude schwer beschädigt oder zerstört, darunter das zentrale chemische Labor, das Uran-Metall-Verarbeitungszentrum sowie ein Brennstoffherstellungslabor für den Forschungsreaktor in Teheran. Auch in Natanz wurden Teile der Versuchsanlage zur Urananreicherung offenbar vollständig zerstört, wobei es zu einem Austritt von Uranhexafluorid kam. Die IAEA meldete jedoch keine radiologischen Gefahren außerhalb der Anlage, so armscontrol.org.
An der besonders geschützten Anlage in Fordo sei laut Satellitenbildern von Maxar Technologies erheblicher Schaden entstanden. Die USA hatten sechs GBU-57 eingesetzt, um auch tief liegende Infrastruktur zu zerstören. Ob dies vollständig gelang, bleibt unklar. Die Einschätzung des israelischen Atomenergiekomitees geht davon aus, dass Fordo „unbrauchbar“ gemacht wurde.
US-Attacke auf den Iran: Psychologische Wirkung und diplomatische Spannungen
Neben der physischen Zerstörung betonten offizielle US-Vertreter auch die psychologische Wirkung der Mission. „Wir glauben, dass der Einsatz von Langstreckenbombern, die über 36 Stunden flogen, ohne dass ein einziger Schuss auf sie abgegeben wurde, einen starken psychologischen Eindruck bei der iranischen Führung hinterlassen hat“, sagte etwa Parnell gemäß Stars and Stripes.
International führten die Angriffe zu gemischten Reaktionen. Während US-Verbündete laut Pentagon „fast einhellig“ die Operation lobten, verschärfte der Iran seine Rhetorik. Außenminister Abbas Araghtschi erklärte in einem Interview, so CBS News, die Schäden in Fordo seien „schwer und massiv“. Am 23. Juni verabschiedete das iranische Parlament ein Gesetz zur Aussetzung der Zusammenarbeit mit der IAEA – ein drastischer Schritt mit weitreichenden diplomatischen Folgen.
Nach Pentagon-Einschätzung zu US-Schlag auf den Iran: Kein Sieg, sondern ein Aufschub
Die neue Pentagon-Einschätzung markiert einen Rückzug von den anfänglich triumphalen Aussagen der Trump-Regierung. Zwar sind die Schäden an Irans Nuklearanlagen signifikant, doch die Hoffnung auf eine dauerhafte Zerstörung des Programms hat sich nicht erfüllt. Die technischen Fähigkeiten sind geschwächt – aber nicht vernichtet. Das Programm ist verzögert – aber nicht gestoppt.
Die Realität ist ernüchternd: „Unsere Einschätzung des iranischen Nuklearprogramms bleibt unverändert“, sagte Parnell abschließend. „Wir glauben, dass wir durch diesen Einsatz die nukleare Fähigkeit des Iran schwer beschädigt haben – vielleicht sogar seinen Willen, eine Bombe zu bauen.“ Doch endgültige Gewissheit wird wohl erst in den kommenden Monaten oder Jahren möglich sein.