Yogalehrerin und Altenpflegerin rät: Genießt das Leben, es ist endlich

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Die Sonnenseiten des Lebens suchen und sich ab und zu zur Sonne recken wie diese Sonnenblumen bei Weilheim, das sorgt für mehr Lebensfreude. © gronau

Was kommt nach dem Tod? Diese Frage beschäftigt Menschen aller Kulturen und Religionen seit jeher. In der Serie „Hinter dem Horizont“ kommen Menschen zu Wort, die im Leben öfter mit dem Tod konfrontiert wurden – wie die Yogalehrerin Maria Rubensdörffer, die viele Jahre als Altenpflegerin gearbeitet hat.

Bis Maria Rubensdörffer Mitte 20 war, sah es so aus, als ob ihr Leben ganz anders verlaufen würde. Die Pfarrerstochter, die 1949 geboren wurde, ist mit vier Geschwistern in einer schwäbischen Kleinstadt in einem christlichen Umfeld aufgewachsen und hat nach dem Abitur ein Studium absolviert. Sie wollte Lehrerin werden und hat Kunst und Französisch studiert. Kurz vor Ende des Referendariats hat sie sich umentschlossen: „Ich wollte noch etwas anderes sehen und erleben. Ich wollte einen Schnitt.“

Sie ist mit ihrem Freund im Mercedes-Bus nach Indien aufgebrochen. Auf dem Landweg. Es zog sie in das Land, in dem Yoga und Meditation ihren Ursprung haben. Dafür hat sie sich schon als junge Frau interessiert.

Es kam anders als geplant

Doch dann kam es wieder anders als geplant: „In Pakistan hab‘ ich Hepatitis bekommen und bin schwanger geworden“, erzählt Maria Rubensdörffer. Damals hätten ihr viele davon abgeraten, das Kind zur Welt zu bringen. Keiner hätte so richtig sagen können, ob es durch die Hepatitis geschädigt sein würde. Entgegen aller Ratschläge hat sie sich entschlossen, ihr Kind auszutragen: „Mein Gefühl war, das Kind wird nicht abgetrieben.“  Das Paar setzte seine Reise gen Indien fort und die Tochter kam schließlich in Goa am Strand zur Welt – und war gesund. Etwas mehr als zwei Jahre blieb die junge Familie in Indien, dann zog es sie wieder nach Deutschland. „So paradiesisch das damals einerseits in Goa war, es war andererseits auch gefährlich mit den ganzen Junkies und Drogen,“ erzählt Maria Rubensdörffer. Das sei kein Umfeld gewesen, in dem ihre Tochter aufwachsen sollte. „Ich hab‘ auch gemerkt, Indien ist nicht auf Dauer meine Heimat.“

Diese fand die junge Frau in Oberbayern im Großraum München. Maria Rubensdörffer und ihr Freund haben als Kunsthandwerker gearbeitet und so die Familie ernährt. Nach zehn Jahren in Deutschland hat Maria Rubensdörffer einen weiteren Schnitt gemacht: Sie hat sich vom Vater ihrer Tochter getrennt, das Kunsthandwerk aufgegeben und eine Ausbildung als Altenpflegerin begonnen. Seitdem hat sie regelmäßig mit Sterben und Tod zu tun.

Betreuung Sterbender in Pflegeheimen verbessern
Sterbende zu begleiten, war ein wichtiger Teil der Arbeit im Pflegeheim. © Sebastian Kahnert

„Anfang der 90er Jahre habe ich in einem Pflegeheim ein Praktikum gemacht und mitgekriegt, wie sie mit Sterbenden umgehen. Das war furchtbar. Es war würdelos“, erzählt die heute 75-Jährige. Die Menschen seien in ihren letzten Lebenstagen und -stunden teilweise ihrem Schicksal überlassen worden, und wenn sie dann tot waren, habe man ihnen ein Leintuch übergeworfen – „und ab in den Keller“, erzählt die Altenpflegerin: „Ich wusste, so will ich nicht arbeiten.“

Sterbende wurden allein gelassen

Sie fand ein kleines Pflegeheim mit anthroposophischer Leitung, in dem das vollkommen anders war: „Die Art und Weise, wie dort mit Sterben und Tod umgegangen wurde, war sehr gut; ich habe viel gelernt.“ Generell habe sie als Pflegekraft in diesem Heim noch Zeit für die Menschen gehabt, die dort lebten: „Ich konnte mich zu den Bewohnern aufs Bett setzen und eine Weile mit ihnen reden, wenn etwas war, oder auch einfach so.“ Das sei heutzutage in der Regel leider anders.

1994 hat Maria Rubensdörffer angefangen, als Nachtwache in dem anthroposophischen Heim zu arbeiten und ist, bis sie im Jahr 2016 in Ruhestand gegangen ist, dort geblieben. „Da siehst Du viele Menschen sterben“, erzählt sie – „auf sehr unterschiedliche Weise.“

Maria Rubensdoerffer ist Yogalehrerin und Altenpflegerin.
Maria Rubensdörffer ist Yogalehrerin und Altenpflegerin. © privat

Manche seien einfach eingeschlafen – teilweise in Begleitung ihrer Angehörigen, andere hätten sich schwer getan. Insbesondere, wenn diejenigen, die sich langsam vom Leben Richtung Tod aufmachten, noch Dinge offen hatten: mit Angehörigen zerstritten waren oder Angelegenheiten noch nicht geklärt hatten. „Diese Menschen haben oft Angst vor dem Sterben. Und die, die Angst vor dem Sterben haben, können oft nicht gut schlafen“, erzählt die Altenpflegerin. Sie erinnere sich an eine Bewohnerin, die mit einigen ihrer Angehörigen im Streit lag und am Ende ihres Lebens angekommen war.

„Die Frau saß eines Morgens plötzlich tot am Frühstückstisch“, erzählt Maria Rubensdörffer. Sie sei aufrecht am Tisch sitzend gestorben: „Die Psyche war noch nicht so weit, aber der Körper hat sich verabschiedet.“ Eine andere sei im Grunde schon längst bereit gewesen zu sterben, das hätten alle gewusst, doch ein in Australien lebender Enkel habe sich noch von ihr verabschieden wollen.

Gewartet, bis der Enkel da war

Das habe man der Frau gesagt, dass der Enkel noch kommen wolle. „Kaum war der Enkel da, ist sie gestorben“, erzählt die Altenpflegerin. Obwohl dieses Erlebnis Jahre zurückliegt, berührt es sie heute noch. Wenn während ihres Dienstes jemand im Sterben gelegen sei und alleine war, dann habe sie sich immer die Zeit genommen, denjenigen zu begleiten. „Notfalls habe ich Überstunden gemacht.“ Es sei ihr wichtig gewesen, den sterbenden Bewohnern beizustehen, selbst, wenn sie dadurch später Feierabend machen konnte. „Als Ausgleich bin ich mit einem guten Gefühl nach Hause gefahren“, erzählt die Altenpflegerin.

Nachdem in dem Pflegeheim jemand verstorben war, „hatte ich als Altenpflegerin einiges zu tun: Ich musste ein Ambiente schaffen, in dem sich die Angehörigen gut von ihrem Verwandten verabschieden konnten.“ Das erfolgte nach den Regeln der Anthroposophen für diesen Fall.

Zunächst habe sie ein Fenster geöffnet, „damit die Seele entweichen kann.“ Alle Spiegel wurden zugehängt, die Möbel – soweit möglich – mit Leintüchern abgedeckt. „Es ist alles weiß. Damit die Seele an nichts mehr haftet.“ Der Verstorbene liegt auf einem Leintuch, das an den Seiten herunterhängt, links und rechts neben ihm brennt eine weiße Kerze. Seine Hände sind gefaltet und liegen auf einem weißen Spitzentuch, und Maria Rubensdörffer hat immer eine Rose besorgt oder besorgen lassen, die der Tote in die Hände bekam. „Die Atmosphäre war hell und klar“, erzählt die Altenpflegerin. Auf dem Tisch liege ein aufgeschlagenes Johannesevangelium.

Es herrscht eine besondere Stimmung im Raum

Überhaupt herrsche nach dem Tod eines Menschen eine besondere Stimmung in dem Raum, in dem dieser gestorben sei. „Der Geist des Verstorbenen lebt vielleicht noch im Zimmer.“ Bei den Anthroposophen sei es üblich, die Toten noch zwei bis drei Tage aufgebahrt zu lassen. „Sie sind überzeugt davon, dass der Seele Ruhe gegönnt werden muss, damit sie sich entfernen kann.“ Die Familie kann sich so in Ruhe verabschieden. „Ideal wäre natürlich in jedem Heim und Krankenhaus ein spezieller Aufbewahrungsraum.“

Weil die Arbeit als Altenpflegerin im Pflegeheim im Laufe der Zeit körperlich immer anstrengender wurde, und es ihr zu schaffen machte, schwer zu heben, hat Maria Rubensdörffer ihre Tätigkeit dort immer weiter reduziert und in gleichem Maße mehr Yoga gelehrt. Vor etwa acht Jahren hat sie im Altersheim aufgehört, ist dem Metier aber insofern treu geblieben, als sie weiter alte Menschen betreut. Sie gibt immer noch Yoga-Kurse – unter anderem für den „Kneipp-Verein Weilheim-Pfaffenwinkel“.

Ihrer Beobachtung nach hat die Art, wie die Menschen sterben, oft mit deren Leben zu tun. Menschen, die mit sich und ihrer Umwelt nicht im Reinen sind, tun sich nach der Erfahrung von Maria Rubensdörffer schwerer, dieses Leben zu verlassen als andere, die ihre Angelegenheiten geregelt haben und im Großen und Ganzen im Frieden mit sich und ihrem Umfeld sind. „Zu einem gelingenden Sterben gehört eigentlich nicht viel“, sagt die Altenpflegerin. Es bedeute vor allem, im Angesicht des Todes zu leben. Oft, wenn das Sterben schnell und friedlich gehe, dann sei es für denjenigen auch stimmig gewesen, das Leben zu diesem Zeitpunkt zu verlassen und dazu gehörten geregelte Verhältnisse. Deswegen sei es wichtig, bewusst zu leben und auch das Schöne im Leben zu genießen, solange man noch kann. „Wir sind schon auch selbst verantwortlich für unser Leben und Sterben.“

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