„Wie in der Todeszone“: Ukrainische Reisebüros bieten Kriegsführungen für Touristen an

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Der Ukraine-Krieg hautnah – das versprechen spezielle Militärführungen, die ukrainische Agenturen mittlerweile für Touristen anbieten.

Kiew – „Vor Reisen in die Ukraine wird gewarnt. Deutsche Staatsangehörige sind dringend aufgefordert, das Land zu verlassen. In der Ukraine finden Kampfhandlungen, Raketen- und Luftangriffe statt.“

So steht es auf der Seite des Auswärtigen Amts zur Ukraine. Und dennoch: Es gibt Touristen, die es trotz aller Gefahren an Kriegsschauplätze in der Ukraine zieht. Sie besuchen Gebäude, die nach russischen Bombenangriffen nur noch als Skelette dastehen, betrachten Kriegsruinen, sehen Rauch von der Front aufsteigen und fahren an erbeuteten russischen Panzern vorbei.

Ruinen in Kiew, ein Autofriedhof in der nahen Stadt Irpin: Zeichen der russischen Besatzung in der Ukraine, die bei einer Militärtour zum Programm gehören. © Imago (Montage)

Touristen im Ukraine-Krieg: Mehrere Reisebüros bieten Militärführungen an

In Kiew gibt es mindestens zwei Reiseagenturen, die nach Beginn des Ukraine-Kriegs umgesattelt haben auf Militärtouren. Auch in Charkiw, noch viel näher an der Front, bietet die Agentur „War Tours“ Führungen für Ausländer an. Militärtourismus oder auch Dunkeltourismus wird diese Form des Tourismus genannt.

Erste Anfragen für Kriegsführungen seien etwa ein Jahr nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs eingegangen, berichtet der Reiseführer Swetozar Moissew vom Reisebüro „Capital Tours“ der ukrainischen Nachrichtenseite Hromadeske. Das Reisebüro, dessen Geschäft mit Kriegsbeginn völlig eingebrochen war, erarbeitete daraufhin eine Tour mit dem Thema „Die Schrecken der russischen Besatzung“.

Vor allem die Gräueltaten in Butscha stößt bei Ausländern in der Ukraine auf Interesse

Sechs Stunden lang führt die Tour durch Vororte in Kiew, wo der Krieg besonders wütete, nachdem nach dem 24. Februar 2022 russische Truppen Richtung Kiew marschiert waren. Wochenlang gab hier schwere Kämpfe und erbitterten Widerstand der Ukrainer, bis die russischen Soldaten am 2. April 2022 wieder abzogen.

Reiseführer Moissew führt die Touristen in seinem Auto zum Beispiel nach Butscha, wo das Massaker an Zivilisten zum Symbol der russischen Kriegsverbrechen im Ukraine-Krieg wurde. Auf einem Tablet zeigt er den Ausländern, wie die Straßen in den Kiewer Vororten direkt nach dem Abzug der Russen nach der Besatzung aussahen.

Auch das Reisebüro „Kiewtrip“ bietet militärische Touren an. Ausländer würden vor allem danach fragen, Butscha zu sehen, erklärt Reisebüro-Chef Vitaly Senyakow gegenüber Hromadeske. „Sie wollten sehen, wo es passiert ist, um zu verstehen, wie das passieren konnte“, sagt er. Seitdem habe er rund 30 Mal Führungen zum Ukraine-Krieg durch Kiew angeboten.

Touristen im Ukraine-Krieg: Bei Führungen in Charkiw ist Rauch von der Front zu sehen

Auch in Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine im Nordosten des Landes, werden Touren zu Kriegsschauplätzen angeboten. Die Agentur „War Tours“, gegründet 2022 nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs, hat sich darauf spezialisiert.

„Beweise der russischen Aggression mit eigenen Augen“ – so wird auf der Homepage von War Tours für Militärführungen geworben. Und weiter: „Wir wollen der Welt zeigen, warum es so wichtig ist, die Ukraine zu unterstützen. Wir wollen zeigen, was Krieg in der modernen Welt wirklich ist.“ Über ein Anfrageformular können Touren in Kiew, in der Region Kiew oder in Charkiw gebucht werden.

Bei der Führung durch Charkiw könne man von einem Hochhaus aus teils Rauch von der nahen Front aufsteigen sehen, heißt es im Bericht von Hromadeske. Touristen würden die am stärksten zerstörten Gebiete von Charkiw besichtigen, außerdem von den Russen erbeutete Kriegstrophäen wie zerstörte Panzer.

Tourismus im Ukraine-Krieg: Vor allem Männer gegen das Risiko ein

80 Prozent der Touristen, die an so einer Militärführung teilnehmen, seien Männer, berichtet Hromadeske. Sie seien zwischen 18 und 70 Jahre alt und stammten aus aller Herren Länder: aus Europa, den USA, Japan oder Australien.

„Männer reisen häufiger, weil es als Risiko angesehen wird“, wird Reiseführer Moissew von „Capital Tours“ zitiert. „Für sie ist es wie in der Todeszone im Everest-Hochland, aus der nicht jeder zurückkehrt.“ Extra für eine Militärführung aus dem Ausland in die Ukraine reisen würden ihre Kunden jedoch nicht, schildern alle von Hromadeske befragten Guides. Es seien meistens Geschäftsleute oder Menschen, die Verwandte in der Ukraine besuchen, die sich für eine Führung zum Ukraine-Krieg entscheiden.

Touristen im Ukraine-Krieg: „Streben nicht nach Adrenalin, sondern Verständnis“

Auch über Sensationslust klagen die Reiseführer nicht. Die Touristen seien sensibel, ließen sich nicht vor Kriegsruinen fotografieren, filmten höchstens unauffällig. „Sie streben nicht nach Adrenalin, sondern nach Verständnis“, sagt der Guide Moissew. Viele würden nach der Tour für Kriegsopfer oder für die ukrainische Armee spenden. „Manchmal verschenken sie Powerbanks an Einheimische oder Geld an Besitzer kaputter Häuser.“

Auch die meisten Ukrainer würden positiv auf die Touristen reagieren und sich über ihre Neugier freuen, versichern die von Hromadeske befragten Guides. Den Einheimischen sei es wichtig, dass ihr Schicksal und der Krieg in der Ukraine nicht vergessen wird.

Touristen im Ukraine-Krieg: Führungen an der Front für 3500 Dollar?

Allerdings: Auf Bewertungsportalen wie Tripadvisor finden sich dann zu den Militärführungen von „Capital Tours“ in Kiew Fotos von Touristen, die zum Beispiel vor einem Autofriedhof im Kiewer Vorort Irpin posieren, den die russischen Besatzer hinterlassen haben. Ein Tourist schreibt in seiner Rezension: „Die Invasion Russlands hat einen dunklen und kalten Schatten hinterlassen, der einem während bestimmter Teile der Butscha-Tour noch immer einen Schauer über den Rücken laufen lässt.“

Und offenbar gibt es auch nicht nur verantwortungsvolle Anbieter von Militärführungen, sondern auch Reiseagenturen, die mit Kriegstourismus ein großes Geschäft machen wollen: Der britische Telegraph berichtet über Führungen an die Front im Osten oder Süden der Ukraine, die bis zu 3500 Euro kosten. Bei seriösen Agenturen kostet eine Führung offenbar 150 bis 250 Euro, ein Teil dafür wird an das ukrainische Militär gespendet. (smu)

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