Waffengewalt an Polens Grenze erlaubt: Tusk-Gegner kritisieren „Lizenz zum Töten“ von Migranten
Seit Jahren sterben Migranten an Polens Grenze zu Belarus. Nun will die Tusk-Regierung an der Grenze Waffengebrauch erlauben. Scharfe Kritik vom Europarat.
Warschau – Polens Grenze zu Belarus ist eine der am schwersten befestigten EU-Außengrenzen – Bewaffnete Grenzschutzsoldaten patrouillieren in einer abgeriegelten Sperrzone. Völkerrechtswidrige Zurückweisungen sind Alltag. Aus Belarus schafft der Diktator Alexander Lukaschenko Migranten aus Schwellen- und Entwicklungsländern an die Grenze. Immer wieder werden Leichen in den Wäldern gefunden. So geht das seit Jahren. Nun geht die liberale Regierung unter Premier Donald Tusk noch weiter als ihre Vorgänger von der antiliberalen PiS: Künftig sollen die Grenzer auf Migranten schießen dürfen, wenn es nach Polens Unterhaus geht.

Polen: Tusk-Regierung will scharf gegen „Grenzverletzungen“ schießen
Die Tusk-Regierung begründet das Gesetz, mit „nationaler Sicherheit“, nachdem im Mai ein 21-jähriger Grenzsoldat durch den Zaun erstochen wurde, mutmaßlich von einem Migranten. Deswegen möchte die Regierung nun Schusswaffengebrauch bei „Grenzverletzungen“, also irregulären Grenzübertritten legalisieren.
Michael O’Flaherty, Menschenrechtskommissar des Europarates, kritisierte, nationale Sicherheit dürfe „kein Freifahrtschein werden“, um sich über geltendes Völkerrecht hinwegzusetzen. O’Flaherty schrieb daher noch vor dem Beschluss des Gesetzes Ende Juli Briefe an Tusk, den Senatsvorsitzenden und das Innenministerium. Der Senat muss das Gesetz noch bestätigen, wie auf der Parlamentswebsite nachzulesen ist.
Europarat warnt Polen vor „unverhältnismäßigen Schusswaffengebrauch“ gegen Migranten
Der Brief an Tusk liest sich beinahe wie eine Anklage gegen das bisherige Grenzregime: O’Flaherty verwies auf mehr als 7000 illegale Zurückweisungen von Migrantinnen und Migranten an der Grenze zu Belarus, bevor diese einen Asylantrag stellen konnten. Der Kommissar wies darauf hin, dass dies einen Bruch der Europäischen Menschenrechtskonvention darstelle.
Weiter betonte er, dass die Sperrzone an der Grenze eine unzulässige Beschränkung der Menschenrechte von unterversorgten Migranten sowie eine besondere Einschränkung der Presse- und Informationsfreiheit darstelle. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte folgte dieser Einschätzung bereits in einigen Fällen.
Das Gesetz betreffend, warnte der Kommissar davor, dass es Grenzposten zum „unverhältnismäßigen Schusswaffengebrauch“ ermutigen könnte. Die Formulierung von Schusswaffengebrauch gegen „Grenzverletzungen“ sei zu vage, kritisierte O’Flaherty.
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Auch in Polen formiert sich, hauptsächlich außerparlamentarischer, Widerstand gegen das Gesetz: Der Polnische Menschrechtsombudsmann Marcin Wiącek betonte bereits, dass er „große Zweifel“ an der Verfassungskonformität des Gesetzes habe. Der Schutz menschlichen Lebens sei die höchste Aufgabe des Rechtsstaates, sagte der Zeitung Gazeta Prawna. Die polnische Menschenrechtsanwältin Hanna Machinska sagte dem Radiosender TOK FM: „Nichts rechtfertigt, eine Lizenz zum Töten einzuführen“.
Polens Regierung: Wackeliges Bündnis gegen die PiS
In Polen regiert seit Ende 2023 eine breite Koalition von katholisch-konservativen bis linken Sozialdemokraten, angeführt von der liberalkonservativen Bürgerplattform von Premier Tusk. Die Regierung war bisher großteils damit beschäftigt, den autoritären Staatsumbau der antiliberalen PiS zurückzudrehen. Inzwischen zeichnen sich jedoch auch erste ideologisch bedingte Bruchlinien ab: Das Koalitionsversprechen, das enorm restriktive Abtreibungsrecht der PiS wieder zu liberalisieren, scheiterte an Abweichlern aus dem konservativen Lager. (kb)