Alle wollen Bio, aber keiner will’s bezahlen: „Kaufverhalten lässt sich nicht aufzwingen“

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Nachhaltig Einkaufen hat nicht nur auf dem Wochenmarkt hat seinen Preis. Nicht jeder kann sich das leisten. © Montage

In Umfragen geben viele Menschen an, auf Nachhaltigkeit zu achten. Tatsächlich tun das deutlich weniger Verbraucher. Das liegt nicht nur am Preis.

Würden Sie nachhaltige, umwelt- beziehungsweise tierwohlschonende und/oder Bio-Produkte kaufen? Antworten auf diese Frage fallen meistens positiv aus. In der Theorie sind sich viele Konsumenten einig: Klar kaufe ich Öko, ich gehöre ja schließlich zu den Guten. An der Supermarktkasse sieht das Ganze aber schon anders aus, wie mehrere Studien wissenschaftlich belegen.

Bio-Lücke an der Kasse: Drei Viertel ist Nachhaltigkeit wichtig – aber nur ein Viertel kauft auch so ein

Das Phänomen hat sogar einen Namen, „Mind-Behaviour-Gap”: Die grundsätzlichen Einstellungen (Mind) weichen stark vom tatsächlichen Kaufverhalten (Behaviour) ab. Dabei ist Nachhaltigkeit in den vergangenen Jahren wichtiger geworden. „Gut drei Viertel (77 Prozent) räumen der Nachhaltigkeit von Lebensmitteln einen großen Stellenwert ein“, heißt es in einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse aus dem Jahr 2023. In den Jahren zuvor lagen die Werte noch bei 50 bis 60 Prozent.

Aber: Die Zahlungsbereitschaft für diese teureren Produkte ist begrenzt. Denn Bio hat seinen Preis, wie das Institut für Wirtschaft erklärt: „Konsumenten müssen für Bio-Lebensmittel in der Regel tiefer in die Tasche greifen als für konventionell hergestellte Lebensmittel.“ Bio-Produkte seien zwar preisstabiler, aber teurer. Den größten Unterschied gibt es laut einer Auswertung von 3,75 Millionen Kassenbons bei Geflügel-Salami (+220 Prozent), Salatgurken (+102 Prozent), Hackfleisch (+50 Prozent) und Joghurt (+40 Prozent). Nicht jeder will oder kann sich das leisten.

Bio-Lebensmittel sind teuer: „Zunehmend eine Frage des Einkommens“

Laut einer repräsentativen Civey-Umfrage des Lebensmittelverbands Deutschland aus dem Jahr 2022 kaufen nur 24 Prozent der Verbraucher unter dem Aspekt „Nachhaltigkeit“ ein. Das Marktforschungsinstitut GfK kam Ende 2023 auf einen Wert von 26 Prozent. Heißt: Drei Viertel ist Nachhaltigkeit wichtig, aber nur ein Viertel kauft auch so ein.

Der finanzielle Faktor ist entscheidend, gerade mit Blick auf die Inflation. „Die aktuelle Situation zeigt, dass nachhaltiger Konsum zunehmend eine Frage des Einkommens wird“, konstatierte Petra Süptitz, Nachhaltigkeitsexpertin bei GfK. „Es sind vor allem Menschen mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen von 4.000 Euro und mehr, die bereit sind, unter Nachhaltigkeitsaspekten einzukaufen.“

Öko-Landwirtschaft: „Im Supermarkt findet eine Abstimmung statt“

Der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) sind diese Studien gut bekannt. „Häufig antworten Befragte das, von dem sie glauben, dass es gesellschaftlich erwartet wird“, erklärt BVE-Geschäftsführerin Stefanie Sabet auf Anfrage von IPPEN.MEDIA. Für die Unternehmen scheinen diese Erhebungen deshalb zweitrangig. Die Entscheidung über ihr Angebot erfolgt an der Kasse. „Im Supermarkt findet eine Abstimmung darüber statt, was gekauft und damit weiter produziert wird und was nicht“, sagt Sabet.

Die Realität sieht so aus: Der Anteil an Bio-Produkten im gesamten Lebensmittelmarkt beträgt 2023 sieben Prozent, wie das Institut für Wirtschaft erklärt. Bei Bio handle es sich daher um eine „Marktnische“. Dirk Köckler vom Agrarunternehmen Agravis meint im Gespräch mit unserer Redaktion: „Der politische Anspruch wird den Realitäten nicht gerecht.“ Agravis ist eine der führenden landwirtschaftlichen Hauptgenossenschaften und Agrarhändler in Deutschland.

Diesen Anspruch hat sich die Bundesregierung selbst in den Koalitionsvertrag geschrieben: „Wir wollen 30 Prozent Ökolandbau bis zum Jahr 2030 erreichen.“ Laut Zahlen des Statistischen Bundesamts sind es bislang nur 11,2 Prozent. Das liegt über dem EU-Schnitt (9,1). Andere Länder wie Österreich (25,7 Prozent), Estland (22,4) oder Schweden (20,3) rangieren aber deutlich über Deutschland. „Das Kaufverhalten der Konsumenten lässt sich nicht politisch aufzwingen“, sagt Köckler. (as)

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