SCO-Gipfel: Xi und Putin arbeiten an einer neuen Weltordnung – doch Indien hat eigene Pläne

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Beim SCO-Gipfel in Tianjin skizzieren China und Russland ihre Vorstellungen einer neuen Weltordnung. Nicht alle Mitglieder der Gruppe dürften mitmachen.

Die Weltlage, sie ist „chaotisch und verschlungen“. So drückte es am Montag Chinas Staatschef Xi Jinping beim Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) im ostchinesischen Tianjin aus. Zehn Länder gehören dem Bündnis an, darunter neben China auch Russland, Indien, Pakistan, der Iran, Belarus und vier zentralasiatische Staaten. Es war der größte Gipfel der Organisation seit ihrer Gründung vor 24 Jahren, und auch die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit dürfte so groß gewesen sein wie nie zuvor. Denn von Tianjin aus wollen Xi und Russlands Präsident Wladimir Putin die bisherige Weltordnung auf den Kopf stellen – den „Geist von Shanghai“ nennt Xi Jinping das.

Wladimir Putin (li.) und Xi Jinping beim SCO-Gipfel in Tianjin
Wladimir Putin (li.) und Xi Jinping beim SCO-Gipfel in Tianjin: gemeinsam für eine neue Weltordnung. © Alexander Kazakov/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Die SCO-Länder müssten sich „gegen die Mentalität des Kalten Krieges, Blockkonfrontationen und Mobbingpraktiken aussprechen“, forderte Xi am Montag, wohl vor allem mit Blick auf die USA und Donald Trumps Zoll-Krieg gegen den Rest der Welt. Und Putin erklärte, die Zukunft gehöre einem System, „das die Interessen eines maximal großen Kreises an Ländern berücksichtigt und wahrhaftig ausbalanciert ist“.

Was nach einem berechtigten Anliegen klingen mag, wird freilich zur Farce, wenn man sich vor Augen führt, wie Russland mit seinem Krieg gegen die Ukraine die internationale Ordnung derzeit mit Füßen tritt – tatkräftig unterstützt von China, das den Krieg wirtschaftlich und mit der Lieferung etwa von Drohnen befeuert und gleichzeitig dem demokratisch regierten Taiwan mit der gewaltsamen Übernahme droht. Die Weltordnung, die Xi und Putin vorschwebt, ist eine, in der das Recht des Stärkeren zählt. Die SCO soll ein Instrument dafür sein.

SCO-Gipfel in China: Indiens Narendra Modi lobt „hervorragendes Treffen“ mit Putin

Die Organisation ist allerdings äußerst heterogen, hier sitzen Staatschefs demokratischer Länder mit autoritären Herrschern an einem Tisch. Vor allem Indien, bevölkerungsreichstes Land der Erde und zweitgrößte Volkswirtschaft innerhalb der SCO, geht seinen eigenen Weg. Zwar will auch der Subkontinent mehr Einfluss für den sogenannten Globalen Süden, Neu-Delhi strebt schon seit Jahren einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat an. Auch ist Indien in den vergangenen Jahren wirtschaftlich eng an Russland gerückt, in Tianjin kam Premierminister Narendra Modi zu einem nach eigenen Worten „hervorragenden Treffen“ mit Putin zusammen. Und dann ist da noch Trump, der mit seinen 50-Prozent-Zöllen auf indische Waren das Verhältnis der beiden Ländern wohl nachhaltig beschädigt hat.

Noch allerdings sind die USA der mit Abstand wichtigste Handelspartner Indiens, der Wert der gehandelten Waren war zuletzt etwa fünfmal so hoch wie Indiens Handelsvolumen mit China. Auch die Annäherung an Peking, die sich seit ein paar Monaten abzeichnet, steht auf tönernen Füßen. China und Indien streiten seit Jahrzehnten über den Verlauf der gemeinsamen Grenze, 2020 kamen bei Scharmützeln etwa zwei Dutzend indische und chinesische Soldaten ums Leben. Nun sollen erstmals seit Jahren wieder Direktflüge zwischen beiden Hauptstädten aufgenommen werden. Gelöst sind die Probleme damit allerdings nicht.

Interessant ist auch, von wo aus Modi nach Tianjin geflogen war: In Japan – engster Verbündeter der USA in Asien und Rivale Chinas – holte er sich Zusage, dass japanischen Konzerne ihre Investitionen in Indien in den kommenden zehn Jahren verdoppeln. Auch die Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen solle ausgebaut werden. „Indien und Japan setzen sich uneingeschränkt für einen freien, offenen und regelbasierten indopazifischen Raum ein“, sagte Modi in Tokio. Es war ein Seitenhieb in Richtung China, das in der Region immer aggressiver auftritt. Zusammen mit Japan, Australien und den USA bildet Indien die Quad, ein loses Bündnis, das Chinas Einfluss im Indopazifik zurückdrängen will. Seine Partner sucht sich Indien, dessen Wirtschaft so schnell wächst wie die keines anderen großen Landes weltweit, eben dort, wo Vorteile winken. Von Indien als einem „internen Krebsgeschwür, das die gesunde Entwicklung der SCO bedroht“, schreibt Liu Zongyi vom Shanghai Institute for International Studies.

Modi fordert im Ukraine-Krieg „die Wiederherstellung von Frieden und Stabilität“

Dazu passt auch, dass Indien derzeit zwar rund 40 Prozent seines Öls aus Russland bezieht und damit Putins Krieg mitfinanziert; vor dem Krieg waren es allerdings nur etwa drei Prozent. Indien nutzt also schlicht aus, dass Russland sein Öl aufgrund der westlichen Sanktionen derzeit zum Discount-Preis auf die Weltmärkte bringen muss. Anders als etwa Xi Jinping hat sich Modi zudem bereits mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj getroffen, vor gut einem Jahr war er in Kiew. Am Freitag sicherte er Selenskyj am Telefon seine Unterstützung für „die Wiederherstellung von Frieden und Stabilität“ aus, wie Modi bei X schrieb. Dass das Telefonat vor dem Treffen mit Putin stattfand und nicht erst danach, dürfte kaum Zufall gewesen sein.

Und dann war in Tianjin noch ein Gast, dem Modi wohl am liebsten aus dem Weg gegangen wäre: Shehbaz Sharif, Pakistans Premierminister. Im Frühjahr hatten Indien und Pakistan einen kurzen, blutigen Krieg um die seit Jahrzehnten umstrittene Region Kaschmir geführt – Pakistan unter anderem mit chinesischen Kampfjets. Aufmerksamen Beobachtern fiel nun auf, dass Sharif auf dem offiziellen SCO-Familienfoto in Tianjin näher an Xi Jinping stand als Narendra Modi.

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