Gastkommentar von Gabor Steingart - Sieben Deutschland-Fakten zeigen, wie gefährlich Merz' Schulden wirklich sind

In der heutigen Debatte zu den Sondervermögen für Infrastruktur und Rüstung dürfte der Bundestag ein Festival der Polemik feiern. Die von CDU-Chef Friedrich Merz vor der Wahl versprochene Sparsamkeit und die nun geplante Zündung einer Schuldenrakete laden dazu ein. 

Merz würde in Schulden-Debatte sich selbst vorknöpfen

Unheimliche Programmvertauschung: Friedrich Merz, der Alte, wäre der Erste, der sich Merz, den Neuen, vorknöpfen würde. Glaubwürdigkeitsverluste für ihn und die CDU lassen sich bei diesem Manöver nicht verhindern. „Die SPD hat die Wahlen gewonnen“, scherzt der Kabarettist Dieter Nuhr. 

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Allerdings: Die Debatte hat neben der komischen auch eine faktische Seite. Gegner und Befürworter der neuen Schuldenprogramme blicken auf eine in Zahlen messbare Wirklichkeit, die bei der Versachlichung des Konfliktes helfen kann. Hier die sieben wichtigsten Kennziffern, die man, wenn unser Staat ein Unternehmen wäre, als Key Performance Indicators (KPIs) bezeichnen würde:

#1 Minimal steigender Risikoaufschlag für die Staatsanleihe

Die Ankündigung der Sondervermögen hat zu einem nur leichten Anstieg der Renditen deutscher Staatsanleihen geführt. Vor der Bekanntgabe lagen die Renditen für zehnjährige Bundesanleihen unter 2,5 Prozent. Nach der Ankündigung stieg die Rendite am 5. März 2025 um 30 Basispunkte auf 2,79 Prozent, was den größten Tagesanstieg seit der Wiedervereinigung 1990 darstellt. 

Das bedeutet: Das Risiko einer Staatspleite und damit eines Zahlungsausfalls steigt nach Ansicht des Kapitalmarktes – aber eben nur minimal. Deutschland bleibt der sichere Hafen in der Eurozone. Die Kapitalmärkte sind, sagt Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing, „credit positive gestimmt“.

#2 Inflationsdruck entsteht

Die Versuchung ist groß: Solange der Realzins, also der nominale Zinssatz abzüglich der Inflationsrate, niedrig bleibt, sind die geplanten Kreditprogramme günstig zu refinanzieren. Rangieren Inflationsrate und Zinssatz in gleicher Höhe, ist das Leihgeld de facto umsonst.

Andererseits entsteht durch die Injektion von Leihgeld, dem kein realer Wert gegenübersteht, Inflationsdruck. Die Geldmenge wird aufgebläht und da die Arbeits- und Gütermärkte nicht flexibel auf die neue Nachfrage reagieren – Bauarbeitermangel, Handwerkermangel, Kapazitätsengpässe in der Rüstungsproduktion –, sorgt das Geld im schlimmsten Fall für Preisschub. Preise drücken Knappheiten aus.

#3 Potenzialwachstum bleibt niedrig

Die deutsche Wirtschaft leidet unter wichtigen Strukturproblemen, die sich mit Kreditprogrammen nicht beseitigen lassen. Wuchernde Staatsbürokratie, geringe Innovationskraft, fehlende Fachkräfte und die expansiven Sozialkosten des Faktors Arbeit haben das Potenzialwachstum der Volkswirtschaft auf 0,5 Prozent gedrückt – ein All-Time-Low in der deutschen Nachkriegsgeschichte. 

#4 Kreditprogramme verhindern Strukturanpassung

Die Summen, die jetzt den Staatshaushalten und über die Haushalte auch den Firmen zugeführt werden, reduzieren den Reformdruck. Schulden wirken wie ein Narkotikum, denn die Wirklichkeit wird schmerzfreier. Die Probleme auf der Angebotsseite, siehe die Situation im Verarbeitenden Gewerbe und der tendenzielle Fall der Nachfragekurve – siehe Exportperformance –, werden leichter zu ertragen, aber nicht gelöst.

#5 Arbeiter und Angestellte steigen ab

Der Sozialstaat und die Realwirtschaft haben sich entkoppelt. Es findet seit Jahren eine durch Steuern und Sozialabgaben herbeigeführte Umverteilung aus der produktiven in die konsumtive Sphäre statt. Die Deutschen werden – wenn sich nichts ändert – bald nur noch die Hälfte des durchschnittlichen Amerikaners verdienen, prophezeit das Deutsche Bank Research Institute. Das bedeutet gegenüber den Blütejahren der Deutschland AG einen spürbaren Abstieg. Der wird durch verweigerte Reformen beschleunigt. 

#6 Kaputtgesparte Verteidigung

Die Bundeswehr soll mit dem neuen Sondervermögen von geschätzt 400 Milliarden Euro wieder kampffähig werden. Wenn man das derzeitige Nato-Ziel für Verteidigungsausgaben von zwei Prozent des BIP als Maßstab heranzieht, hat die Bundesrepublik seit 1990 mindestens eine halbe Billion Euro zu wenig in die Verteidigung investiert. Das Ergebnis ist: Deutschland im Jahr 2025 ist nicht nur bedingt, sondern gar nicht abwehrbereit. 

#7 Weltweite Kreditsucht

Wären die Banken dieser Welt ein Dealer, dann wären die Staaten ihre besten Kunden. So wie der Junkie seinen Stoff, brauchen sie ihre Kredite. Seit 1990 hat sich die Verschuldung der Industrienationen gemessen am BIP knapp verdoppelt. Mit jedem weiteren Staat, der unter die Kreditsüchtigen geht, wächst das Risiko einer Weltschuldenkrise. 

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Fazit: Verliert Merz die Abstimmung, steht seine Regierungsbildung vor dem Nichts. Gewinnt Merz die Debatte, beginnt die eigentliche Arbeit. Der neue Kanzler sollte, wenn er nicht im Strohfeuer der Schulden verglühen will, den Satz von Roman Herzog zu seinem machen: „Durch Deutschland muss ein Ruck gehen.“