Vor Abstimmung im Bundestag - Abweichler, Klagen, AfD-Grätsche: So wahrscheinlich ist der Schulden-GAU für Merz
Als sich am vergangenen Freitag eine Schulden-Einigung zwischen Union, SPD und Grünen abzeichnete, war auch CSU-Chef Markus Söder erleichtert „Geschafft!“, twitterte er und fügte optimistisch hinzu: „Damit ist Deutschland für die Zukunft gerüstet.“ Doch so weit ist es noch lange nicht, geschafft ist rein formell gar nichts.
Am Dienstag muss das Schuldenpaket von Bundestag verabschiedet werden, am Freitag vom Bundesrat. Bis die neue Schuldenbremsen-Regel und das 500 Milliarden Euro schwere Sondervermögen tatsächlich Gesetz werden, müssen CDU-Chef Friedrich Merz und seine Partner noch einige Stolpersteine übersteigen.
FOCUS online erklärt, woran es hakt und wie wahrscheinlich die einzelnen Hürden das Paket noch zum Scheitern bringen können.
Hürde 1: Neue Anträge beim Bundesverfassungsgericht
Das Bundesverfassungsgericht arbeitet dieser Tage unter Hochdruck. Zahlreiche Abgeordnete wollen in Karlsruhe erwirken, dass es erst zu gar keiner zweiten Sondersitzung des Bundestages kommt, in der das Schuldenpaket beschlossen werden könnte. Die ersten Anträge sind in der vergangenen Woche gescheitert, das hat das Gericht am Freitag mitgeteilt. Doch dabei ging es vor allem um die Einberufung des alten Bundestags.
Zu einem anderen Punkt liegen den Karlsruher Richtern nun neue Anträge vor. Dabei geht es um den Zeitplan, mit dem die Grundgesetzänderungen durch den Bundestag gebracht werden sollen. Dazu haben die drei FDP-Abgeordneten Florian Toncar, Otto Fricke und Thorsten Lieb ein Organstreitverfahren beantragt. Ihrer Ansicht nach bekommt der Bundestag zu wenig Beratungszeit.
Die FDP hält es für verfassungswidrig, dass nur drei Tage vor der endgültigen Abstimmung gravierende Änderungen vorgelegt worden seien, zum Beispiel die 100 Milliarden Euro im Sondervermögen für den Klimaschutz. „Das lässt sich in der kurzen Zeitspanne nicht seriös diskutieren und abwägen“, betont der Abgeordnete Toncar.
Zeitdruck wegen 30-Tage-Regel
Mit einer ähnlichen Begründung hatte die CDU in der vergangenen Legislaturperiode das Heizungsgesetz der Ampel vorläufig gestoppt. Doch mehrere Juristen argumentieren, dass sich die Fälle nicht vergleichen lassen: Das Heizungsgesetz sei weitaus komplexer gewesen als die Änderungsanträge zum Schuldenpaket.
Hätten die Eilanträge Erfolg, würde die Abstimmung in der Theorie zwar nur aufgeschoben, in der Praxis aber verhindert werden. Der Grund dafür ist, dass der alte Bundestag, den Merz wegen der dort einfacher zu erreichenden Zwei-Drittel-Mehrheit bemüht, nur so lange handlungsfähig ist, bis sich der neue konstituiert hat. Das darf spätestens 30 Tage nach der Bundestagswahl passieren – was bereits voll ausgereizt ist mit der geplanten Sitzung des neuen Parlaments am 25. März.
So hoch ist die Hürde: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sind schwer zu prognostizieren. Glaubt man der Mehrzahl der Juristen, dürften die Karlsruher Richter das Verfahren aber nicht stoppen. Es ist eher unwahrscheinlich, dass das Schuldenpaket daran scheitert.
Hürde 2: AfD und Linke könnten sich verbünden
In seinen Entscheidungen der vergangenen Woche hat das Bundesverfassungsgericht einen Weg angedeutet, wie die Sondersitzung theoretisch verhindert werden könnte. Manche lesen darin, dass wenn ein Drittel der Abgeordneten des neu gewählten Parlaments dessen Zusammentreten verlangen, die Bundestagspräsidentin dem neuen Bundestag gegenüber dem alten den Vorzug geben muss.
Diese Auffassung vertritt auch BSW-Chefin Sahra Wagenknecht. Weil ihre eigene Partei nicht im neuen Bundestag vertreten ist, forderte sie beim „Redaktionsnetzwerk Deutschland“, dass sich AfD und Linke verbünden und die Einberufung des neuen Bundestags verlangen sollen. Die beiden Fraktionen zusammen kommen auf über ein Drittel der Abgeordneten.
Linke sperrt sich, Juristen zweifeln
Bei der AfD stößt die Idee auf Sympathien. Zu gerne würde die in Teilen rechtsextreme Partei damit Chaos stiften. Genau deshalb weist die Linke dieses Vorgehen aber harsch zurück. Deren Vertreter erklären, man sei zwar gegen das Schuldenpaket in dieser Form, werde sich aber nicht auf Tricks einlassen.
Aber selbst wenn sich AfD und Linke zusammentun würden, würde das einen neuen Rechtsstreit provozieren. Manche Juristen gehen davon aus, dass nicht ein Drittel der Abgeordneten, sondern die Hälfte nötig ist, um die Konstituierung des neuen Bundestags zu verlangen.
So hoch ist die Hürde: Eine Zusammenarbeit der Linken mit der AfD ist so gut wie ausgeschlossen. Wagenknecht, die das Szenario forcieren will, hat zudem keinen Einfluss darauf. Daran wird das Schuldenpaket nicht scheitern.
Hürde 3: Viele Abweichler bei Union, SPD und Grünen
Im Fall, dass alle Versuche scheitern, die Sondersitzung am Dienstag zu verhindern, könnten ausgerechnet die eigenen Reihen von Union, SPD und Grünen zum Problem werden. Denn in allen drei Fraktionen gibt es Abgeordnete, die aus verschiedenen Gründen gegen das Schuldenpaket stimmen könnten.
Bei CDU und CSU haben viele ein Grundsatzproblem mit der neuen Schuldenpolitik des wahrscheinlich künftigen Kanzlers Merz. Viele Abgeordnete haben im Wahlkampf eine Reform der Schuldenbremse ausgeschlossen, größtenteils aus tiefer Überzeugung. Den plötzlichen Schwenk müssten sie ihren Wählern erklären. Zudem gibt es auch Abgeordnete, die das hastige Vorgehen im alten Bundestag für problematisch halten.
Der prominenteste Skeptiker ist ausgerechnet der frühere Generalsekretär von Merz, Mario Czaja. „Ich habe meiner Fraktion gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass ich dieser Grundgesetzänderung nicht zustimmen kann“, sagte er „The Pioneer“. Diese sei „nicht generationengerecht, und die Begründungen, die dafür herangezogen werden, sind nicht redlich“.

Bei der SPD könnte es Abweichler geben, die eine Aufrüstung mit unbegrenzt viel Geld kritisch sehen. Zudem gibt es Abgeordnete, die grundsätzlich ein Problem mit Merz als Person haben und ihm mit einem Nein bei der Abstimmung schaden wollen. Ein ähnliches Motiv dürfte es bei einigen Grünen geben, die im Wahlkampf zahlreiche Schmähungen von Merz und Söder ertragen mussten.
Union, SPD und Grüne haben nur 32 Stimmen als Puffer
In allen drei Fraktionen dürften es vor allem scheidende Abgeordnete sein, die gegen das Schuldenpaket stimmen werden. Auch Czaja fällt darunter. Gegen Politiker wie ihn haben die Fraktionsführungen kaum Druckmittel – wie der künftige Ausschluss von wichtigen Posten – in der Hand.
Union, SPD und Grüne verfügen im alten Bundestag über 32 Mandate mehr, als Stimmen für die Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich sind. Wie viele Abweichler es geben wird, lässt sich erst nach den Fraktionssitzungen am Montagnachmittag klarer sagen. Es kursieren aber Gerüchte, wonach es in jeder Fraktion jeweils rund sieben Abweichler geben könnte. Zieht man diese 21 von den 32 ab, würde der Puffer auf nur noch 11 Abgeordnete schrumpfen. Fallen davon einige zum Beispiel krankheitsbedingt aus, wird es extrem knapp.
So hoch ist die Hürde: Die Fraktionsführungen werden am Montag auf ihre Abgeordneten einreden. Vor allem bei der Union wird die Zahl der Abweichler vermutlich eher schrumpfen als wachsen, um den Kanzler in spe nicht zu beschädigen. Es ist eher wahrscheinlich, dass die Zwei-Drittel-Mehrheit steht, als dass das Schuldenpaket in der Bundestagsabstimmung scheitert.
Hürde 4: Aiwanger droht mit Blockade im Bundesrat
Passieren die Gesetzesänderungen den Bundestag, müssen sie ebenfalls mit Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundesrat abgenickt werden. Über die Länder, in denen ausschließlich CDU, SPD und Grüne alleine oder zusammen regieren, kommen 41 Stimmen zusammen – die nötige Mehrheit liegt aber bei 46.
Um diese Schwelle zu überschreiten, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Die am meisten diskutierte ist die Zustimmung von Bayern. CSU-Ministerpräsident Söder würde auch gerne für das Paket stimmen, allerdings ziert sich sein Koalitionspartner bislang. Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger pocht auf die Einhaltung der Schuldenbremse und hat das sogar im Koalitionsvertrag in Bayern notiert. Besteht keine Einigkeit, muss sich ein Bundesland im Bundesrat der Stimme enthalten.
Verschiedene Interessen bei Freien Wählern
Allerdings gibt es derzeit verschiedene Kräfte, die auf die Freien Wähler einwirken: Zum einen setzen die Landräte der Partei Aiwanger unter Druck. Denn sie würden von den Milliarden aus Berlin profitieren. Zum anderen wird in München darüber spekuliert, dass Söder im Zweifel die Freien Wähler einfach aus der Koalition werfen und durch die SPD ersetzen könnte.
Wie der Streit zwischen Söder und Aiwanger ausgeht, könnte im Koalitionsausschuss am Montagnachmittag geklärt werden. Eine denkbare Lösung wäre es, dass die CSU verspricht, einen Teil der Bayern zustehenden Milliarden für Lieblingsprojekte der Freien Wähler einzusetzen.
Offenbar gibt Aiwanger seinen Widerstand langsam auf, wie Sätze aus einer Rede am Wochenende zeigen. Man habe „eh keine Chance“, das Schuldenpaket endgültig aufzuhalten, räumte der Chef der Freien Wähler ein. „Auch wenn das völliger Wahnsinn ist: Die CSU kann auch ohne uns im Bundesrat zustimmen.“ Die „Augsburger Allgemeine“ zitiert Aiwanger so von einem Auftritt bei einem Starkbierfest.
Sollte sich Aiwanger dennoch querstellen, gäbe es theoretisch noch weitere Wege, um im Bundesrat auf eine Zwei-Drittel-Mehrheit zu kommen. Dann müssten mindestens zwei Länder zustimmen, in denen FDP, Linke oder BSW an der Regierung beteiligt sind. Denkbar wäre zum Beispiel, dass die eher pragmatische Linke in Mecklenburg-Vorpommern anders als die Bundespartei zustimmt. Zumindest diskutiert wird auch, ob die FDP in Rheinland-Pfalz zustimmen könnte.
So hoch ist die Hürde: In München rechnen zwar viele damit, dass eine Einigung Söders mit Aiwanger gelingt – letzterer gilt aber auch als unberechenbar, selbst nach seinen Sätzen vom Wochenende. So oder so dürfte Söder einen Weg finden, im Bundesrat zustimmen zu können. Die Blöße, dass das Schuldenpaket an ihm scheitert, will er sich auf keinen Fall geben. Es ist daher ziemlich unwahrscheinlich, dass der Bundesrat blockiert.