Untersuchung zu Kipppunkten: Ist das Klima robuster als gedacht? Deutsche Studie macht jetzt neue Hoffnung

In einer neuen Studie untersuchten Forscher des Exzellenzclusters „Climate, Climatic Change, and Society" (CLICCS) der Universität Hamburg die Gefahr durch sogenannte Klima-Kipppunkte. Diese markieren Schwellenwerte, ab denen sich Ökosysteme und Klima unaufhaltsam verändern. Die Wissenschaftler berechneten die Wahrscheinlichkeiten, mit denen verschiedene Kipppunkte bei unterschiedlichen Klimaszenarien erreicht werden.

Klimapolitik kann entscheidenden Unterschied machen

Die Forscher verglichen in ihren Simulationen die Folgen der derzeitigen Klimapolitik mit einem Szenario drastisch reduzierter Treibhausgasemissionen. Das Ergebnis: Ambitionierter Klimaschutz kann die Risiken deutlich senken. „Stärkerer Klimaschutz verringert das Risiko einer unumkehrbaren Entwicklung deutlich", fasst Studienautor Jakob Deutloff zusammen.

Bei Fortsetzung der aktuellen Klimapolitik ist die Wahrscheinlichkeit dagegen hoch, dass gleich mehrere Kipppunkte überschritten werden. Selbst nach der konservativsten Schätzung der Wissenschaftler würden neun von 16 untersuchten Kippelementen mit einer Wahrscheinlichkeit von über 50 Prozent kippen. Besonders bedroht sind Korallenriffe, das grönländische Eisschild und der westantarktische Eisschild.

HANDOUT - Eine Taucherin schnorchelt über ausgebleichten Korallen. Teile des Great Barrier Reef vor Australiens Nordostküste sind wegen wärmerer Meerestemperaturen erneut von einer massiven Korallenbleiche heimgesucht worden - der dritten binnen fünf Jahren. (zu dpa «Great Barrier Reef erleidet dritte Korallenbleiche binnen fünf Jahren») +++ dpa-Bildfunk +++
HANDOUT - Eine Taucherin schnorchelt über ausgebleichten Korallen. Teile des Great Barrier Reef vor Australiens Nordostküste sind wegen wärmerer Meerestemperaturen erneut von einer massiven Korallenbleiche heimgesucht worden - der dritten binnen fünf Jahren. (zu dpa «Great Barrier Reef erleidet dritte Korallenbleiche binnen fünf Jahren») +++ dpa-Bildfunk +++ picture alliance/dpa/Greenpeace Australia Pacific

Was sind eigentlich Kipppunkte?

Der Begriff "Kipppunkte" bezieht sich darauf, an welchem Punkt wichtige Elemente in unserem Klimasystem kippen können. Bei diesen Elementen handelt es sich um große Teilsysteme unseres Planeten, deren Zustand sich durch Störungen signifikant verändern kann und die damit auch Einfluss auf andere Teilsysteme haben. Bekannte Beispiele sind das Abschmelzen des arktischen Meereises, die auftauenden Permafrostregionen oder das Absterben des Amazonas-Regenwaldes.

Wenn ein solches Element den Kipppunkt überschreitet, verändert es sich unaufhaltsam und für lange Zeit irreversibel. Das Kippen kann globale Auswirkungen nach sich ziehen - wie zum Beispiel ein verstärkter Meeresspiegelanstieg oder ein zunehmender Temperaturanstieg.

Amazonas und Permafrost als Kohlenstoffbomben?

Zwei der untersuchten Kippelemente – der Amazonas-Regenwald und der arktische Permafrostboden – bergen riesige Mengen an Kohlenstoff. Überschreiten sie ihre Schwellenwerte, könnte dies zusätzliche Treibhausgase freisetzen und die Erwärmung weiter verstärken.

Die Forscher haben diesen Rückkopplungseffekt in ihren Modellen berücksichtigt. Das Ergebnis gibt jedoch eine gewisse Entwarnung: Der zusätzliche Temperaturanstieg durch die Emissionen aus Amazonas und Permafrost fiele vergleichsweise gering aus – verglichen mit der vom Menschen verursachten Erwärmung. „Ein solcher Domino-Effekt ist von diesen Kohlenstoff-Kippelementen nicht zu erwarten", erklärt Deutloff.

Uralte Pathogene aus dem Permafrost sind reale Gefahr
Uralte Pathogene aus dem Permafrost sind reale Gefahr Ukususha / Getty Images / iStock

Mehrere Kipppunkte gleichzeitig möglich

Bislang wurde meist die Gefahr einzelner Kipppunkte betrachtet. Die Studie zeigt jedoch, dass bei ungebremstem Klimawandel gleich mehrere kritische Schwellenwerte überschritten werden könnten. Laut den Berechnungen ist dies bereits bei einer globalen Erwärmung um 1,5 Grad wahrscheinlich - dem Ziel des Pariser Klimaabkommens. Bei zwei Grad wären sogar vier oder mehr Kipppunkte betroffen. Die Gefahr steigt weiter, je höher die Temperaturen klettern.

Die Ergebnisse verdeutlichen einmal mehr die Dringlichkeit konsequenter Klimaschutzmaßnahmen. Nur wenn es gelingt, die Treibhausgase schnell und drastisch zu reduzieren, lässt sich das Risiko unumkehrbarer Veränderungen begrenzen. „Letztendlich liegt es in unserer Hand, welche Kipppunkte ausgelöst werden und ob es zu einer Situation kommt, die wir nicht mehr kontrollieren können", betont Wissenschaftler Jakob Deutloff.