Kempten: Vortrag über vegessene Geschichte des Islam

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Kempten: Vortrag über vergessene Geschichte des Islam

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Viel zu erzählen über bayerisch-islamische Kontakte hatte Nina Nowar im Kempten-Museum. © Lajos Fischer

Kempten – „Die erste signifikante Zuwanderung von Muslimen nach Bayern begann 1961 mit dem Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei. Heute leben mehr als 600.000 Muslime in unserem Bundesland“, begann Nina Nowar ihren Vortrag im Kempten-Museum über „Die vergessene Geschichte des Islam in Bayern“. Es gab vorher jedoch zahlreiche Berührungspunkte.

Einen Überblick „im Lauftempo“ versprach die in Erlangen forschende Islam- und Politikwissenschaftlerin. Für die Veranstaltung, die in Kooperation mit dem Heimatverein, dem Amt für Integration und dem Sozialdienst muslimischer Frauen durchgeführt wurde, gab es großes Interesse: Der Vortragssaal des Kempten-Museums war ausverkauft, im Live-Stream schalteten sich weitere dreißig Interessierte zu.

Nowar zeigte anhand von Bildern einzelner Objekte die wichtigsten Stationen der bayerisch-islamischen Kontakte auf, wobei sie betonte, dass sie unter „Bayern“ das heutige Territorium des Bundeslandes versteht. Als erstes Exemplar zeigte sie ein Seidentuch, das im Grab des Bischofs Gunther von Bamberg gefunden wurde. Dieser führte 1064 eine Gruppe von 7.000 Pilgern nach Jerusalem. Auf dem Rückweg starb er 1065, nach manchen Quellen in Sopron (Kemptens heutiger Partnerstadt). Beigesetzt wurde er im Bamberger Dom. Auf dem Tuch wird das Reiterbild eines byzantinischen Kaisers dargestellt. Auf den Riemen des Pferdes entdeckt man kleine Halbmonde. Das Original wird im Diözesanmuseum Bamberg aufbewahrt.

Kreuzzüge steigerten Kulturtransfer

Durch die Kreuzzüge ab 1095 steigt die Zahl der überlieferten Kulturgüter. Zu den berühmtesten gehört der Krönungsmantel der Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, den man als Teil der Reichskleinodien 1796 von Nürnberg nach Wien brachte, wo er jetzt im Kunsthistorischen Museum zu sehen ist. Der Mantel wurde im Jahre 528 nach der islamischen Zeitrechnung (1133/34) für den normannischen König Roger II. in Palermo angefertigt und seit dem 13. Jahrhundert im Reich bei Krönungen verwendet. Zwei Löwen, ein Kamel, ein Lebensbaum und arabische Schriftzeichen sind typische Motive in der islamischen Kunst.

In den zwei Jahrhunderten der Kreuzzüge gelangten viele Möbelstücke, Teppiche und andere luxuriöse Alltagsgegenstände nach Bayern. Das Schachspiel wurde schnell ein Teil der ritterlichen Tugenden. Ein Beweis des intensiven Kulturaustauschs sind auch die zahlreichen Arabismen in der deutschen Sprache: Schachmatt, Sofa, Matratze, Tarif, Baldachin, Algebra, Zenit, usw.

Den wissenschaftlichen Einfluss von Ibn Sina, im Westen bekannt als Avicenna, beweist das handschriftliche Vorlesungsmanuskript von Berthold von Blumentrost, das er 1347 in Würzburg anfertigte. „Muslimische Gelehrte waren viel weiter, weil ihre Forschungen nicht durch die Kirche eingeschränkt wurden“, betonte Nowar.

Erlebnisberichte

Die erste ethnografische Beschreibung der islamischen Welt veröffentlichte 1396 der Münchener Johannes Schiltberger. Als 16-Jähriger geriet er 1396 bei der Schlacht bei Nikopolis in osmanische Gefangenschaft, er wurde versklavt, erst 31 Jahre später konnte er in seine Heimat zurückkehren. Sein Reisebuch wurde in ganz Europa verbreitet und ist in einer Neuauflage auch heute verfügbar.

Den 19-jährigen Nürnberger Johann Wild verkaufte ein ungarischer Kalvinist 1604 als in Gefangenschaft geratenen kaiserlichen Soldat zunächst an einen Türken, er wechselte dann noch sechsmal den Besitzer. Laut Nowar war er der erste Christ (wahrscheinlich zwangskonvertiert), der nach Mekka reisen konnte. Seine Reisebeschreibung wurde 1623 in Nürnberg veröffentlicht.

„Türkenangst“ und Orient-Faszination

Nowar ging auf die wichtigsten Wendepunkte in der Geschichte des Osmanischen Reiches ein, vom Beginn der Expansion im 14. Jahrhundert über seine Stagnation ab dem 17. Jahrhundert bis zu seinem Ende 1923. Für Bayern gab es nie eine richtige Bedrohung, aber seit dem Fall Konstantinopels 1453 war die Angst vor den Muslimen, von der Kirche weitergeschürt, allgegenwärtig. Seit 1456 erinnerten die von Papst Calixt III. angeordneten „Türkenglocken“ zu Mittag die Christen daran, für den Sieg über die Muslime zu beten.

Übrigens: Dass ein paar Wochen nach der päpstlichen Anordnung die Truppen von János Hunyadi bei Nándorfehérvár (heute Belgrad) die Osmanen besiegten und für mehrere Jahrzehnte ihre Expansion stoppten, trug wahrscheinlich dazu bei, dass man an der Wirksamkeit des Läutens und der Gebete verstärkt glaubte, In den Reichsstädten Augsburg, Nürnberg und Regensburg hielt man „Türkenreichstage“ ab, eine „Türkensteuer“ zur Finanzierung der militärischen Verteidigung wurde erhoben. Die Kirche ließ Opferstöcke aufstellen und veranstaltete öffentliche Prozessionen. Die Städte Augsburg, Burghausen und Nürnberg verstärkten ihre Stadtmauern.

Die Klischees über die grausamen, blutrünstigen, teuflischen Osmanen findet man auch in vielen Publikationen. Dazu gehören die in Bayern in Form von Flugblättern intensiv verbreiteten „Türkenpredigten“. Die Referentin zitierte aus der 1493 in Nürnberg herausgegebenen Schedel’schen Weltchronik, die über „den Türken“ schreibt, „der wild die weite Erde durchreitet“ und „Konstantinopel Grässliches angetan“ habe.

Zwischen Furcht und Bewunderung

Als Beweis dafür, dass der Mythos über die unbezwingbaren Osmanen allmählich zurückging, zeigte Nowar die Radierung des Bamberger Künstlers Hanns Lautensack über die erfolglose Belagerung Wiens­ 1529. Man sieht im Hintergrund die Stadt Wien, im Vordergrund wird aber allegorisch das Heer des Assyrerkönigs Sennacherib dargestellt, der nach der biblischen Beschreibung bei der Belagerung Jerusalems dank göttlicher Unterstützung ebenfalls keinen Erfolg hatte.

Die Ambivalenz zwischen Furcht und Bewunderung zeigen zwei Bilder von Albrecht Dürer: Beim 1508 entstandenen „Die Marter der zehntausend Christen“ merkt man den Abscheu gegenüber den grausamen moslemischen Christenverfolgern, bei der auf 1526 datierten Zeichnung über Süleymann den Prächtigen die Faszination für den Porträtierten. Erst ab dem 18. Jahrhundert überwiegt die Bewunderung in den Darstellungen, stellte die Referentin fest. Als Beispiel wies sie auf den Maurischen Kiosk und das Marokkanische Haus im Garten des Schlosses Linderhof hin. Ludwig II. habe dort gelesen und sich von orientalisch gekleideten Dienern seine Datteltörtchen servieren lassen, erzählte sie.

„Beutetürken“

In der Entourage von zurückkehrenden Kreuzfahrern und im Laufe der Kriege mit dem Osmanischen Reich gelangten etliche sogenannte „Beutetürken“ nach Bayern. Den Kriegsgefangenen Ibrahim brachte 1686 nach der Rückeroberung von Buda ein Nürnberger Dragonerhauptmann nach Schloss Rückersdorf, wo er drei Jahre später getauft wurde. Einer der Gründe dürfte die Schwangerschaft der Schlossmagd Margareta gewesen sein, die der frisch Getaufte zwei Tage später im Schloss heiratete. Der 1655 in Konstantinopel geborene, 1688 vor Belgrad in Gefangenschaft geratene und 1727 getaufte Carl Osman war 47 Jahre lang Kammerdiener. Als er mit 80 Jahren in Rügland bei Ansbach starb, kamen 925 Menschen zu seiner Beerdigung, weil er von seinen Ersparnissen schlitzohrig jedem Trauergast fünf Kreuzer auszahlen ließ. Über die Geschichte zeugt bis heute sein „Türkenkreuz“ auf dem Friedhof der fränkischen Gemeinde.

Wasserburg am Inn galt als wichtiger Umschlagplatz für Waren (Kaffee, Gewürze, osmanische Mode, Sklaven) aus dem Balkan und aus dem Orient. Der bayerische Kurfürst Max Emanuel brachte nach der Rückeroberung von Buda 1686 mit einem Floß 345 orientalische Kriegsgefangene hierhin, unter ihnen viele Kinder und Jugendliche. Sie wurden im Kloster Attel zwangsgetauft. Viele mussten dann nach München weitermarschieren, wo sie als exotische Attraktion an Adelshöfe verkauft wurden. An den Nachnamen Fatima, Osman oder Aly könne man ihre heute lebenden Nachfahren erkennen, erklärte Nowar.

Besonderes Exemplar der Kriegsbeute

In dem Gespräch nach dem Vortrag berichtete Dr. Wolfgang Petz von einem „Beutetürken“, der Mitte des 18. Jahrhunderts nach Kempten gelangte. In der Anwesenheit des Bürgermeisters und der örtlichen Prominenz sei er in der St.-Mang-Kirche getauft worden. Er habe eine Schreinerlehre absolviert, sei aber danach in seine Heimat zurückgekehrt.

Ein besonderes Exemplar der Kriegsbeute stellt die „Türkenfahne“ im Augsburger Dom dar. Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden („Türkenlouis“) brachte sie 1689 nach Augsburg. In der Form einer Kaligrafie kann man darauf (heute nur noch als Kopie zugänglich) das islamische Glaubensbekenntnis lesen.

Im zweiten Teil des Vortrags beschäftigte sich die Referentin mit der Geschichte von muslimischen Soldaten in der Wehrmacht und Waffen-SS sowie mit der Entstehung der ersten Moschee in Bayern in München-Freimann.

Literaturempfehlung: Mathias Rohe: Der Islam in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme, C.H.Beck München 2016

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