Orbán nur „Trumps Schachfigur“? EU-Staaten schmieden bei Nato-Gipfel heiklen Ungarn-Plan

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Nach seinem Alleingang bei Putin und in China ist Orbán der EU ein Dorn im Auge. Offenbar werden beim Gipfel in Washington Strafmaßnahmen diskutiert.

Washington – Viktor Orbán hat seit zehn Tagen die EU-Ratspräsidentschaft inne und hat seitdem innerhalb der EU schon für ordentlich zerschlagenes Porzellan gesorgt. Nach einem Besuch bei Wolodymyr Selenskyj in Kiew reiste der ungarische Präsident sogleich weiter zum russischen Kriegsführer Wladimir Putin.

Am Montag machte er sich dann auf nach China und lobte Chinas Rolle im Ukraine-Krieg – obwohl Xi Jinping unverändert zu Russland hält. Mit seiner unabgestimmten „Friedensmission“, wie Orbán selbst es nennt, hat er den Rest der EU verprellt. Alle Verantwortlichen betonten schnell, dass Orbán trotz seines laufenden EU-Ratsvorsitzes nicht im Auftrag der EU unterwegs sei.

Reisen zu Putin und Xi: Orbán ist bei Nato-Gipfel in Washington unter EU-Vertretern der Aufreger

Beim Nato-Gipfel in Washington ist Orbáns Alleingang neben vielen anderen Themen ein Aufreger. Hinter den Kulissen diskutieren die europäischen Staats- und Regierungschef laut einem Bericht der italienischen Tageszeitung La Republicca bereits über Konsequenzen für Orbán.

Einig ist man sich offenbar, dass Viktor Orbán schnell Folgen seines Handelns spüren soll. Deshalb haben sich die Staats- und Regierungschef der EU schon beim derzeit laufenden Nato-Gipfel zu informellen Gesprächen zusammengefunden, heißt es.

Viktor Orbán bei einer Pressekonferenz nach seinem Treffen mit Putin.
Viktor Orbán bei einer Pressekonferenz nach seinem Treffen mit Putin. © IMAGO/Alexei Maishev

Orbán verstößt gegen EU-Linie – Entzug des EU-Ratsvorsitzes wird auf Nato-Gipfel diskutiert

Offenbar habe man sich dabei schon auf eine erste Linie verständigt als Reaktion auf Orbáns Besuche bei Putin und Xi: Man wolle die ungarische Ratspräsidentschaft faktisch „boykottieren“, indem man beispielsweise zu Ministertreffen unter der Leitung von Ungarn nur Beamte anstatt Minister sende. „Niemand will sich auf Orbáns Manöver einlassen“, schreibt das italienische Blatt.

Einige EU-Länder würden sogar erwägen, Orbán die Ratspräsidentschaft wieder zu entziehen, heißt es. Ungarn hat den Ratsvorsitz turnusmäßig am 1. Juli übernommen, die Amtszeit beträgt sechs Monate. Bis Dezember also bliebe Viktor Orbán noch Zeit, um Initiativen anzustoßen, die wie zuletzt völlig entgegen der offiziellen EU-Haltung laufen. Ungarische Regierungsvertreter übernehmen bis dahin auch die Leitung von vielen Ministertreffen und sollen bei Streit zwischen den EU-Staaten vermitteln.

Doch wie könnte Orbán der EU-Ratsvorsitz vorzeitig entzogen werden? Dies legt der Experte für internationale Beziehungen beim „German Marshall Fund“, Daniel Hegedus, auf der Plattform X dar. Die EU-Mitgliedsländer könnten Ungarns Ratspräsidentschaft demnach per mehrheitlichem Beschluss verkürzen. Dafür wäre die Zustimmung von 20 von 27 Mitgliedstaaten notwendig, die zusammen mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren.

EU-Vertreter diskutieren über Orbáns Ratspräsidentschaft auf Nato-Gipfel in Washington

Außerdem könne die EU laut dem Politikexperten Artikel 7 der Europäischen Verfassung aktivieren. Damit kann einem Land auf Vorschlag eines Drittels der Mitgliedstaaten das Stimmrecht entzogen werden. Zustimmen müsse dem eine Mehrheit von vier Fünfteln der Mitglieder. Es gelte festzustellen, dass die „Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung von Grundrechten durch einen Mitgliedsstaat besteht“, heißt es auf der Homepage der Europäischen Union.

Dass man Orbán dies vorwerfen kann, ist für den Politikexperten Hegedus klar. Auf X schreibt er: „Orbán nutzt und missbraucht Ungarns rotierende EU-Ratspräsidentschaft aktiv, um seine politische Autonomie zu demonstrieren, gemeinsame EU-Positionen zu untergraben, Kandidaten zu unterstützen und letztendlich die EU zu trollen.“

Orbán eine Schachfigur von Trump? Treffen mit Putin und China-Reise werfen Fragen auf

Es steht sogar die Vermutung im Raum, dass Orbán letztlich sogar im Auftrag von Donald Trump handelt, der sich bei den US-Wahlen im November das Amt des Präsidenten zurückholen will. „Orbán ist Trumps Schachfigur“, urteilt beispielsweise La Republicca.

Das Blatt bezieht sich unter anderem auf einen Bericht der russischen Zeitung Iswestija, in dem es heißt, dass Orbán nach seinen Reisen in die Ukraine, nach Russland und China Trump eine Zusammenfassung der Positionen Putins und Xis übermittelt habe. Erst vor wenigen Wochen hatte Orbán betont, dass er für eine Beendigung des Ukraine-Kriegs auf Trump setze und er zu „101 Prozent“ von dem potenziellen neuen US-Präsidenten überzeugt sei.

Für Gespräche sorgen Orbáns Alleingänge in Russland und China auch in Brüssel. Die EU-Botschafter treffen sich dort am Mittwoch (10. Juli) und setzten den Fall Orbán unter dem Punkt „Sonstige Angelegenheiten“ auf die Tagesordnung, berichten unter anderem der Tagesspiegel und La Republicca.

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