Fleisch ohne Tierleid: Revolution in Weihenstephan mit Laborfleisch

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Vorreiter in der Forschung: Prof. Dr. Marius Henkel leitet am TUM-Campus eine der weltweit ersten Professuren für „Cellular Agriculture“. © Lehmann

Klimafreundlich und tierlieb - das ist das Ziel der Fleischproduktion der Zukunft. Prof. Dr. Henkel und sein Team sind auf einer wissenschaftlichen Mission. Fleisch aus dem Labor könnte das nächste große Ding sein.

Freising – Fleisch essen, ohne dass Tiere dafür sterben müssen: Klingt seltsam, könnte aber bald Realität werden. Seit vergangenem Jahr forscht Prof. Dr. Marius Henkel am TUM-Campus Weihenstephan zu „Cellular Agriculture“, sprich zu der Frage, wie sich landwirtschaftliche Erzeugnisse auf der Basis von biotechnologischen Verfahren im Labor herstellen lassen. Neben Eiern und Milchprodukten arbeitet Henkel mit seinem Team auch an kultiviertem Fleisch. Wie das funktioniert, auf welche Hürden er dabei stößt und was die Landwirtschaft dazu sagt, wenn Fleisch nicht mehr vom Bauernhof, sondern aus dem Labor kommt, erklärt der 38-Jährige im Interview.

Herr Prof. Dr. Henkel, was ist kultiviertes Fleisch genau?

Bei kultiviertem Fleisch geht es darum, echtes tierisches Fleisch durch biotechnologische Verfahren sehr genau nachzubilden. Kultiviertes Fleisch besteht nicht aus künstlich erzeugten Tierzellen, das ist mir wichtig zu betonen. Im Gegenteil: Wir entnehmen lebenden Rindern Muskel- oder Fettzellen – das Tier stirbt dabei nicht. Die entnommene Gewebeprobe, sprich diese Zellen, werden im Labor vermehrt.

Ist das Ergebnis dann ein Steak aus der Petrischale?

So einfach ist es nicht. Die Zellmasse, die wir durch die Vermehrung der Zellen bekommen, hat noch keinerlei Struktur. Damit wirklich Fleisch entsteht, bedarf es eines Strukturierungsprozesses. Das heißt, wir müssen dafür sorgen, dass die einzelnen Fett-, Bindegewebs- und Muskelzellen nicht nur einfach wachsen, sondern sich auch richtig anordnen. Das ist aber gar nicht so einfach.

Was sind die Schwierigkeiten?

Zuerst sind die Zellen eines Tiers, etwa einer Kuh, nicht unbegrenzt teilungsfähig. Man muss also immer wieder Tieren Gewebeproben entnehmen. Dann sind die Nährstoffe, die wir zugeben müssen, damit die Zellen weiter wachsen, wahnsinnig teuer. Außerdem arbeiten wir gerade daran, herauszufinden, wie man das kultivierte Fleisch optimal mit Nährstoffen versorgen kann. Lebewesen haben ja Adern und andere Gefäße, die das Gewebe versorgen. Ein ähnliches System braucht es auch für kultiviertes Fleisch. Und nicht zuletzt treibt uns auch die Frage um, wie man das alles in größerem Maßstab machen kann – denn die Fleischstücke, mit denen wir aktuell arbeiten, sind so groß wie ein Stück Würfelzucker.

Abgesehen von den biologischen und technischen Herausforderungen: Wie gesund ist gezüchtetes Fleisch?

Natürlich ist der Gesundheitsaspekt ein großer, der genau überprüft werden muss. Aber einer der Beweggründe, an kultiviertem Fleisch zu forschen, ist, dass man es gesünder machen kann als konventionelles Fleisch. Zum Beispiel, weil es frei von Antibiotika oder anderen belastenden Stoffen ist.

Der Gesundheitsaspekt ist aber nur einer von mehreren.

Die drei Hauptgründe für die Forschung an kultiviertem Fleisch sind Umweltschutz, Tierschutz und das zunehmende Bevölkerungswachstum. Abgesehen vom Tierwohl ist längst bekannt, dass hoher Fleischkonsum schädlich für die Umwelt ist. Gleichzeitig müssen wir uns fragen, wie wir es auch in der Zukunft schaffen, immer mehr Menschen auf der Welt zu ernähren. Kultiviertes Fleisch kann eine von vielen Antworten auf diese Fragestellungen sein.

Welche Folgen hat es für die Landwirtschaft, wenn Fleisch künftig aus dem Labor kommt?

Kultiviertes Fleisch funktioniert nicht ohne Landwirtschaft. Die Zellen benötigen ja nach wie vor Nährstoffe. Die kommen aus Rohstoffen aus der Landwirtschaft, der Zucker zum Beispiel aus Mais oder Zuckerrüben. Ohnehin will niemand die komplette Viehzucht abschaffen. Das ist leider ein Gerücht, das in dieser Diskussion oft kursiert, aber es ist schlicht falsch. Ich bin überzeugt davon, dass kultiviertes Fleisch konventionelles nicht ersetzen wird. Beide Formen werden nebeneinander existieren und es wird hybride Produkte geben, wie beispielsweise hybride Formen aus pflanzlichen und tierischen Produkten. Ein mögliches Beispiel sind Burger-Patties aus Soja, die mit Rinderfett versetzt sind.

Wie schätzen Sie die Akzeptanz gegenüber kultiviertem Fleisch in der Landwirtschaft ein?

Um Neues zu etablieren, ist es immer wichtig, alle Beteiligten mitzunehmen. Ich bin viel in Kontakt mit Bauernverbänden und anderen Vereinigungen und sehe mich oft auch als Bindeglied zwischen Landwirtschaft und Wissenschaft. Worüber ich mich besonders freue, ist, dass ich viele Landwirte als sehr offen und interessiert gegenüber diesem Thema erlebe. Wichtig ist, dass wir gemeinsam einen Weg finden, wie wir diesen Transformationsprozess begleiten. Das betrifft nicht nur Landwirte, sondern natürlich auch die Konsumenten.

Und sind die bereit dafür?

Das schwankt von neugierig und sehr positiv eingestimmt bis hin zu zurückhaltend oder ablehnend, je nachdem, in welcher Bevölkerungsgruppe man sich umschaut. Es ist aber auch schwierig, da dieses Thema noch sehr neu und noch nicht richtig greifbar ist. Umso wichtiger ist eine breite Aufklärung – die aber nicht nur die Wissenschaft leisten sollte, sondern auch die Politik und die Stellen, die darüber entscheiden, wie und unter welchen Umständen kultiviertes Fleisch einmal für den Konsumenten in Deutschland verfügbar sein könnte.

Wann könnte das so weit sein?

Es ist noch sehr viel Grundlagenforschung nötig, wir stehen noch vor vielen Herausforderungen. Daher möchte ich dazu keine Einschätzung geben – allein schon, um kein Versprechen zu geben, das dann nicht gehalten wird. Was ich aber sagen kann: Es wird ja nicht nur an kultiviertem Fleisch geforscht, sondern zum Beispiel auch an kultivierten Milchprodukten. Da ist es ein wenig einfacher als bei Fleisch, daher werden diese Dinge auf jeden Fall eher auf den Markt kommen.

Interview: Magdalena Höcherl

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