Gazprom geht das Geld aus – Staatskonzern wird zum Problem für Putin

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Seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs fährt der Gasriesen Gazprom massive Verluste ein. Das sollte den Kreml in mehrfacher Hinsicht beunruhigen.

  • Russlands Staatsunternehmen Gazprom macht seit dem Ukraine-Krieg massive Gewinneinbußen.
  • Dadurch gefährdet der Gasriese nicht nur die Finanzwirtschaft, sondern auch den russischen Staatsetat.
  • Auch für Putins einzige Chancen, LNG und der Export an China, sieht es schlecht aus.
  • Dieser Artikel liegt erstmals in deutscher Sprache vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn am 15. Mai 2024 das Magazin Foreign Policy.

Moskau – Ende 2022 gab Dmitri Medwedew – Russlands ehemaliger Premierminister und derzeitiger stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrates – seine Prognosen für das kommende Jahr ab. Er warnte davor, dass die Europäer unter der Entscheidung Russlands, die Erdgasexporte in die Europäische Union zu drosseln, schwer leiden würden, und deutete an, dass die Gaspreise im Jahr 2023 auf 5.000 Dollar pro tausend Kubikmeter ansteigen würden – etwa das 50-fache des Vorkriegsdurchschnitts.

Wahrscheinlich ging er davon aus, dass diese himmelhohen Preise dem staatlichen russischen Energieunternehmen Gazprom zugutekommen würden, das nach wie vor mehrere europäische Länder über Pipelines beliefert, den Export von Flüssigerdgas erhöht und neue Geschäfte mit China anstrebt. Vielleicht hoffte Medwedew auch, dass die Europäer den Kreml anflehen würden, das Gas wieder fließen zu lassen.

Das Logo des Energiekonzerns Gazprom ist auf dem Internationalen Gasforum St. Petersburg 2022 zu sehen.
Infolge des Ukraine-Kriegs verlor Gazprom massenhaft Profit. © picture alliance/dpa/SOPA Images via ZUMA Press Wire | Maksim Konstantinov

Gazprom meldet massive Verluste – Russland stoppte selber Gaslieferungen nach Europa

Es stellt sich heraus, dass Medwedew seine Kristallkugel polieren sollte: Im vergangenen Jahr betrugen die europäischen Gaspreise im Durchschnitt nur ein Zehntel seiner Zahl. Und erst diesen Monat meldete Gazprom für 2023 einen massiven Verlust von 6,8 Milliarden Dollar, den ersten seit 1999. Die Verluste von Gazprom zeigen, wie sehr die Entscheidung des Kremls, Europa im Jahr 2022 den Gashahn zuzudrehen, nach hinten losgegangen ist.

Im Jahr 2023 waren die Einfuhren der Europäischen Union von russischem Gas auf dem niedrigsten Stand seit Anfang der 1970er Jahre, wobei die russischen Lieferungen nur 8 Prozent der EU-Gaseinfuhren ausmachten, gegenüber 40 Prozent im Jahr 2021. Für Gazprom bedeutet dies schwindelerregende Verluste, da die Einnahmen des Unternehmens aus dem Auslandsgeschäft im Jahr 2023 um zwei Drittel einbrechen werden.

Die Misere von Gazprom dürfte in Moskau die Alarmglocken schrillen lassen: Da das Unternehmen keine guten Möglichkeiten hat, den schwächelnden Gasabsatz wieder anzukurbeln, könnten seine Verluste die Fähigkeit Russlands beeinträchtigen, den Krieg in der Ukraine zu finanzieren. Dies ist besonders ironisch, wenn man bedenkt, dass die EU-Sanktionen nicht auf russische Gasexporte abzielen; der Schaden für den Kreml und seine Kriegsanstrengungen ist völlig selbstverschuldet.

Gazprom stockte Staatshaushalt Russlands auf – bis jetzt

Die unmittelbarste Auswirkung der Verluste von Gazprom werden die russischen Staatseinnahmen sein, ein entscheidender Maßstab für die Fähigkeit Moskaus, seinen Krieg gegen die Ukraine aufrechtzuerhalten. Ein Blick auf die jüngsten Finanzzahlen von Gazprom zeigt ein beeindruckendes Bild. Ohne Berücksichtigung der Dividenden hat Gazprom im Jahr 2022 mindestens 40 Milliarden Dollar in die russischen Staatskassen überwiesen, entweder in den allgemeinen Staatshaushalt oder in den Nationalen Wohlfahrtsfonds (NWF), Moskaus Staatsfonds.

Das ist keine kleine Leistung. Bis zum vergangenen Jahr steuerte Gazprom allein durch Zölle, Verbrauchssteuern und Gewinnsteuern etwa 10 Prozent der Einnahmen des russischen Staatshaushalts bei. (Die Öleinnahmen machen normalerweise weitere 30 Prozent der Haushaltseinnahmen aus.)

Diese Geldflut scheint nun der Vergangenheit anzugehören. Im Jahr 2023 wurde der Beitrag des Unternehmens zum Staatshaushalt durch Zölle und Verbrauchssteuern um vier Fünftel gekürzt, und wie viele andere Unternehmen, die Geld verlieren, muss das Unternehmen eine Steuerrückerstattung aus der russischen Staatskasse erhalten.

Russlands Präsident Wladimir Putin.
Russlands Präsident Wladimir Putin. © IMAGO/Vyacheslav Prokofyev

Gazprom-Verluste reißen Loch in Russlands Budget – Hohe Militärausgaben durch Ukraine-Krieg sorgen für Defizit

Für Moskau ist dies in mehrfacher Hinsicht eine schlechte Nachricht. Aufgrund der steigenden Militärausgaben geriet die Haushaltsbilanz des Landes ins Defizit, als Moskau in die Ukraine einmarschierte. Um die Lücke zu schließen, wies der Kreml Gazprom an, bis 2025 eine monatliche Abgabe in Höhe von 500 Millionen Dollar an den Staat zu zahlen. Jetzt, da das Unternehmen Verluste schreibt, ist unklar, wie es diese Abgabe aufbringen kann.

Darüber hinaus wird der Beitrag von Gazprom zum NWF wahrscheinlich schrumpfen müssen. Für den Kreml könnte dies nicht zu einem schlechteren Zeitpunkt kommen: Die liquiden Bestände des NWF sind bereits um fast 60 Milliarden Dollar gesunken, was etwa der Hälfte der Vorkriegssumme entspricht, da Moskau seinen Fonds für Regentage zur Finanzierung des Krieges entleert.

Schließlich könnten die Probleme von Gazprom das Unternehmen dazu veranlassen, seine geplanten Investitionen in Gasfelder und Pipelines zu kürzen – eine Entscheidung, die wiederum das russische BIP-Wachstum beeinträchtigen würde.

Größtes Problem für Gazprom kommt noch – Russlands Staatsunternehmen im freien Fall

Als ob dies nicht schon genug wäre, deutet ein genauerer Blick auf die kürzlich veröffentlichten Finanzzahlen von Gazprom darauf hin, dass das Schlimmste noch bevorstehen könnte. Es gibt drei verräterische Anzeichen dafür, dass das Jahr 2024 noch schwieriger werden könnte als 2023.

Erstens befinden sich die Forderungen von Gazprom – ein Maß für die von Kunden zu zahlenden Beträge – im freien Fall, was darauf hindeutet, dass die Einnahmen des Unternehmens versiegen. Zweitens sind die Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen im Jahr 2023 um rund 50 Prozent gestiegen, was darauf hindeutet, dass Gazprom Schwierigkeiten hat, seine eigenen Rechnungen an verschiedene Lieferanten zu bezahlen. Und schließlich hat sich die kurzfristige Kreditaufnahme im vergangenen Jahr fast verdoppelt, da die russischen Staatsbanken zur Unterstützung des ehemaligen Gasriesen herangezogen wurden.

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Foreign Policy Logo © ForeignPolicy.com

Staatsbanken decken Gazprom-Verluste – Erste Zahlen deuten auf schlimmeres Schicksal im Jahr 2024

Während diese Zahlen aus den englischsprachigen Finanzberichten von Gazprom stammen, bietet die jüngste Aktualisierung des Unternehmens in russischer Sprache zwei weitere Überraschungen, die beide zeigen, dass sich die Lage des Unternehmens seit Jahresbeginn noch weiter verschlechtert hat.

Erstens hat sich die kurzfristige Kreditaufnahme in den ersten drei Monaten des Jahres 2024 gegenüber dem Vorquartal ungefähr verdoppelt. Wenn die staatlichen russischen Banken weiterhin die Verluste von Gazprom decken, könnte der russische Finanzsektor bald in Schwierigkeiten geraten.

Dies wirft eine heikle Frage auf: Wer würde angesichts der schwindenden NWF-Reserven und des verschlossenen Zugangs Moskaus zu den internationalen Kapitalmärkten die Rechnung für eine Rettung bezahlen? Zweitens waren die Verluste von Gazprom im ersten Quartal 2024 fast fünfmal so hoch wie im gleichen Zeitraum 2023, was darauf hindeutet, dass das Unternehmen in diesem Jahr einen noch größeren Verlust verbuchen könnte als im Jahr 2023.

China als einzige Chance für Russland-Unternehmen Gazprom – doch ohne Interesse

Das Jahr 2025 wird für Gazprom ein besonders schwieriges Jahr werden. Das Transitabkommen für Gaslieferungen durch die Ukraine über eine Pipeline nach Österreich, Ungarn und in die Slowakei wird wahrscheinlich Ende dieses Jahres auslaufen, was die verbleibenden Exporte von Gazprom nach Europa weiter einschränken wird. Ein kurzer Blick auf die Landkarte macht deutlich, dass China nun die einzige verbleibende Option für russisches Pipelinegas ist.

Doch Peking ist daran nicht sonderlich interessiert: Im vergangenen Jahr kaufte es nur 23 Milliarden Kubikmeter russisches Gas, ein Bruchteil der 180 Milliarden Kubikmeter, die Moskau früher nach Europa lieferte. Die Verhandlungen über den Bau der Pipeline Power of Siberia 2, die die Gaslieferungen nach China erhöhen würde, sind ins Stocken geraten.

Und in Wahrheit ist China kein gleichwertiger Ersatz für die verlorenen europäischen Kunden von Gazprom. Peking zahlt 20 Prozent weniger für russisches Gas als die übrigen EU-Kunden, und der Abstand wird sich bis 2027 voraussichtlich auf 28 Prozent vergrößern.

Russland muss wahrscheinlich auf LNG umsteigen – Sanktionen und Exportkontrollen erschweren Verkauf

Ohne Pipelines bleibt Moskau nur die Möglichkeit, den Export von Flüssiggas (LNG) zu erhöhen. Allerdings ist dies aufgrund der westlichen Politik leichter gesagt als getan. Westliche Exportkontrollen erschweren Russland den Zugang zu den komplexen Anlagen, die für die Entwicklung von LNG-Terminals benötigt werden, wie z. B. Geräte zum Abkühlen des Gases auf minus 160 Grad Celsius, damit es auf Spezialschiffen verschifft werden kann.

Und Washington hat vor kurzem Sanktionen gegen ein in Singapur ansässiges Unternehmen und zwei Schiffe verhängt, die an einem russischen LNG-Projekt arbeiten, und damit signalisiert, dass es in ähnlicher Weise gegen jedes Unternehmen vorgehen wird, das in diesem Sektor arbeiten möchte. Schließlich erschweren die US-Sanktionen den russischen Unternehmen die Finanzierung der Entwicklung neuer Verflüssigungsanlagen und des Gasfeldes, das sie versorgen soll.

Im Dezember gab das japanische Unternehmen Mitsui bekannt, dass es seine Mitarbeiter abzieht und die Optionen für seine Beteiligung an Russlands Vorzeigeprojekt Arctic LNG 2 prüft. Infolgedessen gab der russische Betreiber letzten Monat bekannt, dass er den Betrieb des Projekts, das ursprünglich Anfang dieses Jahres mit LNG-Lieferungen beginnen sollte, einstellt.

„Träume werden wahr“ – aber nicht mehr mit Gazprom

Der kitschige Firmenslogan von Gazprom – „Träume werden wahr“ – klingt nicht mehr so wahr, da Moskaus einstige Cash Cow zu einem Verlustbringer wird. Daten der Internationalen Energieagentur bestätigen das Ausmaß der Fehlkalkulation des Kremls, als er den Gashahn nach Europa zudrehte: Die Agentur sagt voraus, dass Russlands Anteil an den weltweiten Gasexporten bis 2030 auf 15 Prozent sinken wird – von 30 Prozent vor Moskaus Einmarsch in der Ukraine.

Dies war wahrscheinlich vorhersehbar. Es ist schwer vorstellbar, wie ein Gasexporteur, der auf die Belieferung europäischer Kunden ausgerichtet und auf westliche Technologie angewiesen ist, florieren kann, wenn er sich weigert, seinen Hauptkunden zu beliefern – und damit jedem anderen potenziellen Kunden, einschließlich China, signalisiert, dass er ein unzuverlässiger Lieferant ist. Unternehmensimperien neigen dazu, aufzusteigen und zu fallen, und es sieht so aus, als ob Gazprom keine Ausnahme von dieser Regel sein wird.

Zur Autorin

Agathe Demarais ist Kolumnistin bei Foreign Policy, Senior Policy Fellow für Geo-Ökonomie beim European Council on Foreign Relations und Autorin von Backfire: How Sanctions Reshape the World Against U.S. Interests. Twitter (X): @AgatheDemarais

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Dieser Artikel war zuerst am 15. Mai 2024 in englischer Sprache im Magazin „ForeignPolicy.com“ erschienen – im Zuge einer Kooperation steht er nun in Übersetzung auch den Lesern der IPPEN.MEDIA-Portale zur Verfügung.

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