Österreich in Gazproms Würgegriff – Ministerin will Abhängigkeit beim Gas beenden
Kaum ein Land ist so abhängig von russischem Gas wie Österreich. Das soll sich nun ändern. Die Energieministerin will das „Marktversagen“ beheben.
Wien – 98 Prozent. So hoch soll der Anteil von russischem Gas an den Gas-Importen Österreichs sein. Hier in Deutschland waren es im März 2022, also nur kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, etwa 55 Prozent gewesen. Für eine ausgiebige Abhängigkeitsdebatte hatte das ausgereicht. Jetzt toppt Österreich diese Zahl, was die Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) auf den Plan gerufen hat. Sie will die Abhängigkeit beenden.
Anteil des russischen Gases an Österreichs Gasimporten | 98 Prozent (Dezember 2023) |
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Vertragslaufzeit der Gasverträge zwischen Gazprom und OMV | Bis 2040 |
Anteil nicht-russischen Gases an Heizsaison 23/34 bei Wien Energie | 30 Prozent |
98 Prozent Gasimporte aus Russland – Ministerin will Abhängigkeit bekämpfen
Grund für Gewesslers Vorpreschen war die Meldung, dass Österreich im Dezember 98 Prozent seiner Gasimporte aus Russland bezogen hatte. Laut der Ministerin sei dies ein Höchststand seit dem russischen Angriff im Jahr 2022 gewesen. „Wir sehen hier aktuell ein klares Marktversagen“, zitierte die Deutsche Presseagentur (dpa) die Ministerin. „Es gibt genug nicht-russisches Erdgas – aber die Energieunternehmen kaufen dieses nicht.“ Eine Gesetzesänderung soll Abhilfe schaffen. Das Problem dabei: Die Ministerin braucht dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament.

Bei der österreichischen Gasversorgung gibt es ein größeres Problem. Das teilstaatliche Energieunternehmen OMV hatte im Jahr 2018 einen Knebelvertrag unterschrieben, der die Ergaslieferungen zwischen Russland und Österreich bis 2040 festlegte. Bei der Vertragsunterzeichnung waren neben Alexey Miller, damals Chairman von Gazprom Management Committee, und dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von OMV, Rainer Seele, auch die beiden Politiker Sebastian Kurz und Wladimir Putin anwesend.
OMV setzt Untersuchung an – „Mögliches Fehlverhalten“ beim Vorstandsvorsitzendem
Nur wenige Monate später unterzeichnete Rainer Seele einen Vertrag, der das Liefervolumen an Gas zusätzlich erhöhte. „Europas Gasbedarf wird vor allem durch den sukzessiven Ersatz von Kohle durch Gaskraftwerke und der zeitgleich abnehmenden Produktion in Europa steigen“, begründete Seele diesen Schritt.
Besonders pikant an der Sache: Offenbar handelte Seele bei beiden Gaslieferverträgen bis zu einem gewissen Maß abweichend von Unternehmensangaben. Dem OMV Aufsichtsrat reichte das aus, um eine Sonderprüfung im Zusammenhang mit „einem möglichen Fehlverhalten“ anzustoßen. Weitere Punkte, bei denen mögliche Pflichtverletzungen vorlagen, waren außerdem der Abschluss einer Nebenvereinbarung mit einer OMV Führungskraft und der Abschluss eines Sportsponsoringvertrages mit dem Fußballverein Zenit St. Petersburg. Der Untersuchungsausschuss fand „Prozessabweichungen in allen drei Teiluntersuchungen“. Die Konsequenz: Eine Entlassung Seeles durch den Aufsichtsrat.
Österreich braucht neue Sicherheitsstrategie
Aktuell sucht das Unternehmen OMV rechtliche Möglichkeiten, um aus diesen Verträgen wieder herauszukommen. Ein Merkmal des Vertrags sei die fixe Abnahmeverpflichtung. Demzufolge müsste OMV auch dann zahlen, wenn es kein russisches Gas abnehmen würde. Gewessler plädiert außerdem für eine neue Sicherheitsstrategie. Eine unabhängige Energieversorgung soll darin einen höheren Stellenwert bekommen.
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Das Ziel sei es – ganz wie von der EU beschlossen – innerhalb der nächsten Jahre ohne russisches Gas zu arbeiten. Insgesamt gehe die Alpenrepublik dabei in die richtige Richtung. Seit 2021, als Österreich 100,3 Terawattstunden des Gasverbrauchs aus Russland bezogen hatte, sank die Menge auf nunmehr 75,6 Terawattstunden im Jahr 2023. „Die OMV treibt die Diversifizierung ihrer Gasbezugsquellen tatkräftig voran, welche das Gas aus Eigenproduktion und Zukäufen aus Norwegen sowie weitere LNG-Volumina beinhaltet“, erklärte Alfred Stern, CEO und Vorstandsvorsitzender der OMV, in einer Unternehmensmeldung. „Somit leisten wir unverändert einen signifikanten Beitrag zur Gasversorgung in Österreich.“
Energieunternehmen suchen Russland-Alternativen – und finden sie in Norwegen
OMV ist also nicht der einzige Energiekonzern, der sich nach neuen Gas-Partnern umschaut. Die Energie AG aus Oberösterreich teilte in einem Konzernbericht mit, dass von ihrer Seite aus „keine direkten Verträge mit russischen Partnern“ bestünden. Sie bezieht ihr Gas entweder an der Börse oder von „bilateralen Partnern in der Schweiz und in Frankreich“. Wien Energie, nach eigenen Angaben Österreichs größter Energieversorger, bezieht zwar durchaus Gas aus Russland, sucht aber ebenfalls nach Alternativen.
„Wien Energie unternimmt massive Anstrengungen, um die Abhängigkeit von russischem Erdgas weiter zu reduzieren“, sagte Peter Hanke, Stadtrat für Wirtschaft und Wiener Stadtwerke, dazu. „Ich begrüße es sehr, dass es uns gelungen ist, für diese Heizsaison 30 Prozent der benötigten Mengen aus nicht-russischen Quellen aufzustellen.“ Dies mache die Fernwärme in Wien unabhängiger. Konkret geht es hier um 2,5 Terawattstunden, die Wien Energie größtenteils aus Norwegen bezogen hatte.
Mit Material von dpa