Es klingt zunächst absurd, fast zu einfach, um wahr zu sein: Halten Sie bitte einen Bleistift quer zwischen die Zähne und Sie werden möglicherweise ein wenig fröhlicher.
Kein Scherz, sondern Psychologie. Und zwar eine, die unser Verständnis von Emotionen nachhaltig beeinflusst hat.
Joern Kettler ist Wirtschaftspsychologe, Mimik-Analyst und Bestsellerautor. Als Körpersprachen- und Lügenexperte begeistert er seit über 25 Jahren mit präzisen Analysen und klaren Botschaften. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.
Die Idee: Emotion ist keine Einbahnstraße
Lange Zeit galt die Annahme, dass Gefühle ausschließlich im Kopf entstehen. Wir erleben etwas, bewerten es und empfinden daraufhin Freude, Ärger oder Angst.
Das sogenannte Bleistift-Experiment von Fritz Strack, Leonard Martin und Sabine Stepper stellte diese Sichtweise infrage. Die Forscher wollten wissen, ob nicht auch der Körper Einfluss auf unsere emotionale Wahrnehmung nimmt. Ihre Hypothese: Wenn wir lächeln, selbst ohne bewussten Anlass, sendet das Gehirn ein Rücksignal: „Es scheint Ihnen gut zu gehen.“
Das Experiment
Die Teilnehmenden erhielten die Aufgabe, Cartoons zu bewerten. Eine Gruppe hielt dabei einen Bleistift quer zwischen den Zähnen. Dadurch werden automatisch dieselben Gesichtsmuskeln aktiviert wie beim Lächeln. Die zweite Gruppe hielt den Bleistift mit den Lippen, was diese Muskeln blockiert.
Das Ergebnis war bemerkenswert. Die „Lächel-Gruppe“ bewertete die Cartoons als signifikant lustiger als die „Schmoll-Gruppe“. Die Schlussfolgerung: Bereits das rein körperliche Aktivieren von Lachmuskeln kann die eigene Stimmung positiv beeinflussen. In der Psychologie spricht man hierbei vom Facial-Feedback-Effekt, dem Rückkopplungseffekt zwischen Mimik und emotionalem Erleben.
Die Debatte um den Effekt
Fast 30 Jahre später, im Jahr 2016, versuchte ein internationales Forscherteam um E.-J. Wagenmakers das Experiment zu replizieren. Der Aufwand war enorm: 17 Labore, mehrere hundert Probanden, streng kontrollierte Bedingungen. Das Ergebnis: kein signifikanter Effekt. Die mediale Schlussfolgerung lautete schnell: „Das Bleistift-Lächeln funktioniert nicht.“ Doch damit war die Diskussion nicht beendet.
Neuere Studien, unter anderem von Noah, Schul und Mayo (2018), zeigten einen entscheidenden Unterschied: Wenn Teilnehmende wissen, dass ihre Mimik beobachtet wird, verschwindet der Effekt nahezu vollständig. Das bedeutet: Bewusstsein kann Spontaneität zerstören.
Versucht ein Mensch bewusst, glücklich zu „wirken“, erkennt das Gehirn diesen Versuch. Fokussiert sich der Mensch jedoch unbewusst oder spielerisch auf seinen Körper, kann dieser sehr wohl Einfluss auf die emotionale Lage nehmen. Die Wahrheit liegt somit zwischen den Extremen. Nicht jede Muskelbewegung macht glücklich. Aber, der Körper spielt eine deutlich größere Rolle für unsere Emotionen, als lange angenommen wurde.
Der Mechanismus dahinter
Emotionen entstehen nicht isoliert im Gehirn, sondern im Zusammenspiel mit dem gesamten Körper. Herzschlag, Atmung, Haltung, Mimik und Gestik liefern kontinuierlich Signale, die das Gehirn interpretiert. Beim Lächeln wird unter anderem die Amygdala, das emotionale Steuerzentrum, anders aktiviert. Stresshormone werden reduziert, gleichzeitig kann die Serotoninproduktion steigen.
Die Folge: Das emotionale Erleben verändert sich messbar. Die Wissenschaft spricht hier von Embodiment, dem Prinzip, dass Körper und Geist untrennbar miteinander verbunden sind.
Was das für den Alltag bedeutet
Emotionen lassen sich nicht direkt steuern. Sie lassen sich jedoch indirekt beeinflussen, indem Sie Ihren Körper bewusst einbeziehen. Im Folgenden finden Sie alltagstaugliche Impulse gegen schlechte Laune oder negative emotionale Zustände, abgeleitet aus dem Bleistift-Experiment und der Embodiment-Forschung.
1. Machen Sie Ihr Gesicht zu Ihrem Verbündeten
Halten Sie für etwa 60 Sekunden einen Stift quer zwischen die Zähne. Oder lächeln Sie bewusst, auch wenn Ihnen nicht danach ist. Ihr Gehirn beginnt nach kurzer Zeit, passende emotionale Zustände zu „liefern“. Nicht aus Selbsttäuschung, sondern weil Ihr Körper das emotionale Programm anstößt.
2. Verändern Sie Ihren Körperzustand – sofort
Wenn Sie sich schlecht fühlen, bleiben Sie nicht sitzen. Stehen Sie auf, gehen Sie kurz nach draußen, bewegen Sie sich und atmen Sie tief durch. Bewegung unterbricht emotionale Muster. Schon eine Minute aufrechter Stand mit zurückgenommenen Schultern kann den Hormonhaushalt beeinflussen.
3. Aktivieren Sie Ihr Nervensystem gezielt
Hören Sie Musik, die Ihnen Energie gibt. Singen Sie mit, klopfen Sie im Takt oder bewegen Sie sich rhythmisch.
Das Gehirn reagiert stark auf Muster und Rhythmus, positive neuronale Schaltkreise werden aktiviert, selbst an schwierigen Tagen.
4. Verwenden Sie Ihre Sprache bewusst
Vermeiden Sie Aussagen wie: „Ich habe schlechte Laune.“ Formulieren Sie stattdessen: „Ich befinde mich gerade in einer niedrigen Energiephase.“ Sprache erzeugt Realität. Ihre Wortwahl beeinflusst, wie Sie sich selbst erleben.
Ein hilfreicher Grundsatz: Sprechen Sie innerlich mit sich so, wie Sie mit einem guten Freund sprechen würden, wertschätzend, klar und motivierend.
5. Nutzen Sie Ihre Umgebung als Verstärker
Umgeben Sie sich mit Licht, Bewegung und Menschen, die Ihnen Energie geben. Verlassen Sie Räume und Situationen, in denen Sie sich klein oder eingeengt fühlen. Das Gehirn reagiert sensibel auf Reize. Dunkelheit, Monotonie und Lärm fördern emotionalen Rückzug.
Manchmal ist das effektivste „Stimmungs-Update“ ganz einfach, Fenster öffnen, Tageslicht hereinlassen, den Körper in Bewegung bringen.
Fazit: Der Körper lügt selten
Das Bleistift-Experiment mag in seiner ursprünglichen Form umstritten sein. Seine zentrale Botschaft ist jedoch aktueller denn je. Ihr Körper ist kein passiver Empfänger Ihrer Gefühle, sondern ein aktiver Mitspieler. Wer den Körper ignoriert, verliert emotionale Steuerungsmacht.
Wer ihn bewusst nutzt, gewinnt. Wenn Sie also das nächste Mal in einem Meeting sitzen, im Stau stehen oder einen herausfordernden Tag erleben, greifen Sie ruhig zum Bleistift.
Und erinnern Sie sich daran: Ihr Lächeln kann der Anfang einer besseren Stimmung sein.
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Bildquelle: Joern Kettler
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