„Dann streichen wir das einfach“: Baerbock zitiert Lindner – was das Fass zum Überlaufen brachte

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24 Stunden nach dem Bruch der Ampel-Koalition sprach Annalena Baerbock bei „Maischberger“. Ihre Aussagen zum entlassenen Finanzminister Lindner lassen tief blicken.

München – Emotionale Stunden liegen hinter Annalena Baerbock. Besuch in der Ukraine, die Wahl von Donald Trump und am Abend schaltete sich die Ampel selbst ab. Der Mittwochabend hat ein beispielloses politisches Chaos hinterlassen. Am Donnerstag saß sie bei Sandra Maischberger in der Sondersendung der ARD.

Wer ist schuld, wer hat wen provoziert? „Ich bin nicht die Schiedsrichterin“, sagt die Außenministerin und Grünen-Politikerin, die im entscheidenden Koalitionsausschuss am Mittwochabend dabei war, in der Kanzler Olaf Scholz (SPD) seinen Finanzminister Christian Lindner (FDP) entließ.

Baerbock war im entscheidenden Ampel-Ausschuss dabei – schwere Vorwürfe gegen Lindner

Was bekannt ist: Als Scholz von Lindner verlangte, sich von der Schuldenbremse zu lösen und mit dem Kniff der Notlage neue Milliarden für den Haushalt freizumachen, lehnte Lindner ab. Im Gegenzug schlug er Scholz und den Grünen vor, einen geordneten Übergang in eine neue Regierung anzustreben, den Haushalt jedoch noch zu beschließen. Das allerdings wollte Scholz so nicht mehr und zog seinerseits einen Schlussstrich.

Wirft FDP-Chef Christian Lindner vor, sein Versprechen gebrochen zu haben: Annalena Baerbock (Grünen) bei Sandra Maischberger in der ARD. © Screenshot ARD

Baerbock war da dabei: „Jeder trägt sein Päckchen. Einer wollte seine Verantwortung nicht mehr wahrnehmen und das war Christian Lindner. Man rennt vor Verantwortung nicht weg”, gibt es die erste Schelte für Lindner.

Mit der Aussage, sie wolle nicht nachtreten, passte das wenig zusammen. Die Spuren, die die letzten Tage, Wochen und Monate in der schwierigen Koalition hinterlassen hatten, merkte man ihr immer wieder deutlich an. Auch als sie über den Knackpunkt der Beziehung in der Ampel sprach. Dafür machte Baerbock das Urteil des Verfassungsgerichts vor fast exakt einem Jahr verantwortlich, das die Bedingungen für eine weitere Notlage nicht mehr erfüllt.

Die Ampel habe dadurch bei Bildung und Soziales abknapsen müssen und konnte das Land nicht wie erhofft mit Milliarden modernisieren, klagt Baerbock.

Baerbock macht offenbar gebrochenes Lindner-Versprechen publik

Dann spricht sie über ein spektakuläres Versprechen des Finanzministers und FDP-Chefs: „Letztes Jahr im Dezember hat uns Christian Lindner versprochen: Nein, ich mache es anders mit euch. Wenn nach der Wahl in den USA klar ist, die Unterstützung bricht anderweitig weg, dann können wir nochmal über die Notlage neu reden.“ Ob es dieses Versprechen wirklich so gab, ist von der FDP nicht bestätigt.

Im Laufe des Jahres sei jedoch klar geworden, Lindner setze nicht auf innere, äußere und soziale Sicherheit gleichermaßen. „Seine Vorschläge gestern Abend waren immer: Dann streichen wir beim Sozialen, das finden wir sowieso nicht wichtig. Dann gehen wir bei den Fossilen weiter mit rein.“ Das aber mache die Preise teurer, so Baerbock. „Da war der Punkt gekommen. Wir wollten die Bevölkerung nicht noch mehr belasten“, erklärt sie bei Maischberger weiter. „Damit wäre der Frieden gegen die soziale Sicherheit gestellt worden und da wollten zwei Parteien nicht mitmachen.

Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Bundeshaushalt im November 2023

Damals hatte das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass der Bund zur Bekämpfung der Corona-Krise gedachte Gelder nicht für den Klimaschutz nutzen darf. Die Änderung des Nachtragshaushalts 2021 sei verfassungswidrig, verkündete das höchste Gericht Deutschlands. Laut der Vorsitzenden Richterin Doris König ging es damals auch um die Wirksamkeit der Schuldenbremse. Sie sah die Bedingungen für eine weitere Notlage nicht mehr erfüllt. Für den Haushalt 2024 fehlten dadurch mehrere Milliarden Euro.

Ökonom rechnet mit Lindner ab

Allerdings wolle sie Lindner nicht alleine die Schuld geben. Jeder habe eine Rolle gespielt. Lindner hatte noch in der vergangenen Woche in einem wirtschaftspolitischen Grundsatzpapier – dem sogenannten Scheidungspapier – eine „Wirtschaftswende“ gefordert. Gerade für prestigeträchtige Grünen- und SPD-Themen wie Rente oder Bürgergeld sah der Plan einschneidende Veränderungen vor.

Ökonom Sebastian Dullien kreidet Lindner das an. Der Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) spricht bei IPPEN.MEDIA sogar von einer „zunehmenden Radikalisierung seit dem Urteil des Verfassungsgerichtes im vergangenen Jahr“. Der Finanzminister lege die Verfassung strenger aus, als es das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil getan habe. Lindner habe sich auf die Verfassungstreue versteift, „um Sozialkürzungen durchzudrücken, für die es sonst keine Mehrheit gegeben hätte“, so Dullien.

Wie geht es weiter? Trotz aller Kritik aus der Opposition hält Scholz an seinem Plan fest, erst Anfang Januar die Vertrauensfrage zu stellen. Im März könnte es dann Neuwahlen geben. „Es gilt das Grundgesetz. Der Kanzler entscheidet das auch aufgrund unserer Geschichte alleine für sich“, stellt Baerbock klar. (mke)

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