Trumps Feldzug gegen Europas Pharma-Industrie
Normalerweise fordern Staats- und Regierungschefs ihre Amtskollegen nicht zu Preiserhöhungen auf. Donald Trump ist auch da anders. Er drängt die Europäer seit Monaten, Medikamente und andere Pharmazeutika teurer auf den Markt zu bringen. Und wenn sie das nicht tun?
Dann droht wieder der Zoll-Hammer. „Wir werden zunächst einen kleinen Zoll auf Arzneimittel erheben, aber in einem Jahr – höchstens eineinhalb Jahren – wird dieser auf 150 Prozent steigen und dann auf 250 Prozent“, sagte der amerikanische Präsident unlängst im Interview mit CNBC.
Fast nirgends sind Medikamente so teuer wie in den USA
Das bedeutet Gefahr für die Staaten mit den größten Pharmaproduktionen in der Welt. Dort stehen auf Platz 1 die USA – und nach China folgen Deutschland, Schweiz und Indien.
Trumps Problem: Nahezu nirgends auf der Welt sind Medikamente so teuer wie in den USA. Im Vergleich zu anderen Industrieländern sind die Preise für verschreibungspflichtige Pharmazeutika mitunter zwei- bis viermal so hoch, stellte 2024 eine Studie der Denkfabrik RAND fest.
Bei markenlosen Generika sind die Preisunterschiede geringer. Aber unterm Strich werden in den USA pro Kopf der Bevölkerung jährlich rund 1126 Dollar für verschreibungspflichtige Medikamente ausgegeben, während es in vergleichbaren OECD-Ländern 552 Dollar sind – also nicht einmal halb so viel.
Jeder dritte Amerikaner kann sich verschriebene Medikamente nicht leisten
31 Prozent der Amerikaner geben nach einer Umfrage von KFF an, ihre Medikamente aufgrund hoher Preise nicht wie verschrieben eingenommen zu haben. Schätzungen zufolge könnten allein über 1,1 Millionen Patienten im Medicare-System, der öffentlichen Krankenkasse für Senioren und Menschen mit Behinderungen, im nächsten Jahrzehnt sterben, weil sie sich die verschriebenen Medikamente nicht leisten können.
Das hohe Preisniveau für Medikamente in den USA liegt vor allem am weitgehenden Verzicht auf Regulierungen. In anderen Ländern entscheidet oft eine einzige Behörde über Preise, während in Deutschland das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) im Zusammenwirken mit dem GKV-Spitzenverband der Krankenkassen entsprechende Kontrollrechte wahrnimmt.
Kosten-Nutzen-Analysen vergleichen neue Medikamente mit anderen auf dem Markt. Ergeben diese Studien, dass die Kosten zu hoch sind oder der gesundheitliche Nutzen zu gering, wird der Zulassungsantrag abgelehnt. In den USA sind die Strukturen komplizierter: An Preisverhandlungen sind kleinere staatliche Programme und Tausende einzelne Krankenversicherungen beteiligt, was die Verhandlungsmacht verringert.
Pharmaunternehmen argumentieren hingegen, dass hohe Preise die Forschungs- und Entwicklungskosten widerspiegeln. Ohne höhere Verbraucherpreise zum Ausgleich der Forschungsinvestitionen, so die Unternehmen, würden keine neuen Medikamente entdeckt oder auf den Markt gebracht.
Subventionieren die Amerikaner die globale Gesundheitsversorgung?
Dieses Argument hat sich Trump inzwischen zu eigen gemacht. Nach Ansicht des Präsidenten subventionieren US-Patienten die Gesundheitsversorgung weltweit, indem sie die Kassen der Pharmaunternehmen füllen, damit diese in Innovationen investieren können.
Während die USA nur 4,2 Prozent der Weltbevölkerung stellen, finanzieren sie etwa 75 Prozent der Einnahmen der Pharmaunternehmen, argumentiert das Weiße Haus. „Wir subventionieren die Gesundheitsversorgung anderer, die nur einen Bruchteil dessen zahlen, was wir zahlen“, sagte der Präsident unlängst bei einer Pressekonferenz an der Seite seiner Gesundheitsministers Robert F. Kennedy. „Das ist nicht gut.“
Seine Rechnung: Werden Pharma-Produkte, auch solche der weltweiten Branchenführer aus den USA, überall teurer, können Firmen wie Johnson & Johnson oder Pfizer daheim weniger fordern und hätten immer noch genügend Geld für Forschung und Neuentwicklungen.
Zahlen sind umstritten
Die Zahlen sind allerdings umstritten. Eine Studie des auf medizinische Themen spezialisierten Thinktanks BMJ aus dem Jahr 2023 ergab, dass die 15 weltweit größten Biopharmaunternehmen, darunter etliche US-Konzerne, zwischen 1999 und 2018 mehr für Vertrieb und administrative Tätigkeiten, nicht zuletzt PR und Marketing ausgaben als für Forschung und Entwicklung.

Laut dieser Studie boten zudem die meisten in diesem Zeitraum entwickelten neuen Medikamente gegenüber bestehenden Behandlungen kaum oder gar keinen klinischen Nutzen.
Doch Pascal Soriot, CEO von AstraZeneca, lobt die USA dafür, dass sie 0,8 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für pharmazeutische Innovationen investieren, und forderte Europa und Großbritannien auf, die derzeitigen Ausgaben von 0,3 Prozent des BIP zu erhöhen.
In seiner ersten Amtszeit stoppten Trump die Gerichte
In seiner ersten Amtszeit setzte Trump auf eine Meistbegünstigungsregelung („most-favored nation“) für Medikamente, dessen Ziel es war, die amerikanischen Arzneimittelpreise an die niedrigsten Sätze in vergleichbaren Industrieländern anzugleichen. Die Hersteller wollte er verpflichten, anderen Industrieländern für neue Medikamente keine besseren Preise anzubieten als den USA.
Mittels Exekutivmaßnahme wollte der Präsident diese Preisangleichung ohne Gesetze des Kongresses durchsetzen. Doch ein Bundesrichter blockierte diese Regelung im Dezember 2020 mit der Begründung, dass die Regierung nicht über die für solche Verfügungen erforderliche Kompetenz verfüge.
Nach dieser Erfahrung sieht Trump als letzten Weg zur Senkung der Arzneimittelpreise in den USA ohne Schmälerung der Gewinne der Pharmaunternehmen oder Verzicht auf Innovationen Preiserhöhungen in anderen Ländern, insbesondere in Europa. Aber das ist recht illusorisch: Die Regierungen können Preise ebenso wenig erhöhen wie die Konzerne selbst, und die zuständigen Behörden werden dem Drängen aus Washington ebenfalls kaum nachgeben.
Wenn Heroin preiswerter ist als Medikamente oder Zigaretten
Ändert sich an den Preisen nichts, kann das die Chancen für die Republikaner bei den Zwischenwahlen im November 2026 verringern. Denn Trump hatte seinen Wählern deutliche Reduzierungen versprochen. Dabei trugen die teuren Arzneimittel ironischerweise 2016 wesentlich zu Trumps erstem Wahlsieg bei.
Damals gab es im Mittleren Westen die „Opioid-Krise“, als starke Schmerzmittel, die von vielen Arbeitern genommen wurden, zu massenhaften Abhängigkeiten führten. Weil Ärzte diese Opioide nur kurzzeitig verschreiben durften, boten Drogenhändler den bereits Abhängigen Alternativen an – vor allem Heroin, das etwa in Pennsylvania nahezu zum gleichen Preis gehandelt wurde wie eine Packung Zigaretten und deutlich billiger war als Schmerzmittel auf dem Schwarzmarkt.
Hunderttausende Menschen starben an Heroin. Mit der Warnung vor „Drogenhändlern“, die neben anderen Kriminellen über die Grenze im Süden in die USA kämen, versprach Trump den Bau einer Mauer zu Mexiko – und begründete damit seinen Wahlsieg.
Inzwischen gilt die Opioid-Krise als ausgestanden. Aber die teuren Medikamente verdüstern gerade Amerikanern mit geringeren Einkommen den Alltag, und unter ihnen gibt es die meisten Trump-Wähler.
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Von unserem Autor Ansgar Graw erschien unlängst das Buch: „Die Ära Trump. Chancen und Risiken für Amerika und die Welt“
Dieser Beitrag stammt von The European.