Zweieinhalb Jahre Straflager: Russischer Menschenrechtler Orlow verurteilt
Der Aktivist Oleg Orlow kommt wegen seiner Kritik am Ukraine-Krieg in Haft. Die Opposition in Russland schrumpft. Das Muster ist deutlich.
Moskau – Oleg Orlow erschien schon mit Handschellen im Gerichtssaal. Für seine Kritik am Krieg Russlands in der Ukraine bekam der renommierte Menschenrechtler dann die ganze Härte des Staates zu spüren: Orlow wurde wegen seiner Kritik an den Handlungen im Ukraine-Krieg zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt.
Der ehemalige Co-Vorsitzende der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Organisation Memorial, die mittlerweile in Russland verboten ist, gilt international als politisch Verfolgter und ist einer der wenigen Oppositionellen, die auch nach Kriegsbeginn in Russland geblieben sind. An der Urteilsverkündung im Gericht des Moskauer Stadtbezirks Golowinski nahmen so auch mehrere westliche Diplomaten teil.
Eigentlich hatte der Menschenrechtler im Oktober 2023 bereits eine relativ verhältnismäßige Geldstrafe von 150.000 Rubel (etwa 1505 Euro) wegen „Diskreditierung“ der russischen Armee bekommen, doch im Dezember hob eine Richterin das Urteil wieder auf – der Prozess begann erneut. Schon damals befürchteten Unterstützer des Aktivisten eine Haftstrafe.
Kritischer Artikel zu Ukraine-Krieg bildet Basis für Verfahren in Russland – Orlow bleibt optimistisch
Das Verfahren gegen Orlow lief mehrere Monate, angestoßen von einem Artikel aus dem November 2022 mit dem Titel „Sie wollten den Faschismus, sie haben ihn bekommen“. Der Text weist unter anderem auf das Leid der ukrainischen Bevölkerung hin. Der Ukraine-Krieg versetze auch „der Zukunft Russlands einen schweren Schlag“, so der Artikel. Unter anderem wurde der Aktivist auch für einen Ein-Mann-Protest in Moskau inhaftiert. Dabei demonstrierte er mit einem Plakat, auf dem laut Moscow Times die folgenden Worte standen: „Unser Unwille, die Wahrheit zu erfahren, und unser Schweigen machen uns zu Komplizen dieses Verbrechens.“
Orlow erzählte der Moscow Times vor seiner Urteilsverkündung, die Haftstrafe sei „eine Forderung von oben“. Er verglich vor einiger Zeit das Verhalten gegenüber Regime-Kritikern heute mit dem der Sowjetunion. Trotzdem blieb der Menschenrechtler optimistisch bezüglich eines Wandels in Russland: „Ich glaube an eine bessere Zukunft. Vor uns liegt eine wahre Zukunft, und dahinter steckt nichts als die Vergangenheit.“

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Bei dieser zweiten Urteilsverkündung behaupten die Staatsanwälte „ein Motiv der Feindschaft und des Hasses gegenüber Militärangehörigen“. Orlow erklärte in einer Anhörung in diesem Monat laut Moscow Times: „Ich bekenne mich nicht schuldig und der Vorwurf ist mir nicht klar.“ Orlow bezeichnete den Gerichtsprozess an einer Stelle als „Möglichkeit, meine Ideen und Überzeugungen in die Öffentlichkeit zu tragen“.
UN fordert Russland auf, Urteil gegen Orlow zurückzunehmen: „Paradebeispiel für ein repressives System“
Die UN-Spezialreporterin für die Menschenrechtssituation in Russland, Mariana Katzarowa, forderte russische Behörden auf, das Urteil sofort zurückzunehmen. „Der Prozess gegen Orlow ist nicht nur ein Angriff auf den Einzelnen, sondern ein orchestrierter Versuch, die Stimmen von Menschenrechtsverteidigern in Russland und jegliche Kritik am Krieg gegen die Ukraine zum Schweigen zu bringen“, erklärte Katzarowa. „Es ist ein Paradebeispiel für ein repressives System, in dem Strafverfolgungsbehörden und Justiz für politische Zwecke instrumentalisiert werden.“
Etwa 200 Menschen versammelten sich der Nachrichtenagentur AFP zufolge vor dem Gerichtsaal, um Orlow zu verabschieden. Der Menschenrechtler hatte einen Großteil seines Lebens damit verbracht, Rechtsverletzungen im Rahmen der Memorial-Gruppe zu dokumentieren, bis diese 2021 von russischen Behörden aufgelöst wurde. Ein Jahr später, im Jahr 2022, erhielt die 1989 gegründete Organisation dann den Friedensnobelpreis.
Die Verurteilung steht im Kontext der generellen Verfolgung russischer Oppositionellen, die kurz vor der Russland-Wahl neue Dimensionen anzunehmen scheint. Vor etwas mehr als einer Woche starb der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny in einer abgeschotteten Strafkolonie in der Arktis. Der Oppositionspolitiker Boris Nadeschdin kämpft währenddessen für eine Präsidentschaftskandidatur gegen die Justiz, nachdem einige der benötigten Unterschriften für ungültig erklärt wurden. Nun hat sich auch das Schicksal von Orlow verhärtet.(dpa/lismah)