Umfragen zur Bundestagswahl 2025: Wahlforscher sieht „enormes Potenzial“ unter AfD-Wählern für Merz
Kein Knick, kein Sprung: Die Umfragen für die Union sind stabil nach all der Asyl-Aufregung im Bundestag. Es gibt Anzeichen, dass AfD-Wähler für CDU/CSU jetzt besser erreichbar sind.
Berlin/München – Die AfD sah recht fröhlich aus in den Sekunden nach der gewonnenen Abstimmung. Parteichefin Alice Weidel schüttelte unzählige Hände, die Abgeordneten grinsten in ein Handy-Selfie. „Jetzt und hier beginnt eine neue Epoche“, rief einer. Der Asyl-Antrag der Union von letzter Woche, dem unter anderem 75 AfD-Stimmen zur Mehrheit verhalfen, sollte der Durchstarter für die Partei sein. Jetzt, mit einer guten Woche Abstand, ist die Euphorie dort gedämpft. Stattdessen hofft die Union: War das der Start einer Wähler-Rückhol-Aktion?
Merz versucht Wähler zu gewinnen: Ob die Rechnung aufgeht, ist noch offen
Der erste Blick auf die Umfragen zeigt: alles betoniert. Die Union steigt leicht, auch gestern im ZDF-Politbarometer, die AfD bewegt sich hier und da ein Pünktchen, die meisten Parteiwerte bleiben gleich. Aus den Detail-Resultaten schöpft die CDU allerdings Hoffnung. Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat vergangene Woche seine Beliebtheit unter AfD-Wählern stark gesteigert, im ARD-Deutschlandtrend in dieser Gruppe von 12 auf 30 Prozent. Wird er für nach rechts verlorene Konservative doch wieder wählbar?
Schon seit Monaten heißt es bei Union und FDP, man müsse stärker um die AfD-Wähler kämpfen, sie zurückholen. Vor allem die CDU, die (ohne CSU) seit Monaten unter 30 Prozent festhängt, sieht da die einzige Chance. Experten schätzen, dass mindestens die Hälfte der AfD-Wähler aus Unzufriedenheit dort gelandet ist. „Da haben wir ein enormes Wählerpotenzial vor uns, das sich nicht mit extremistischen Ideologien identifiziert“, sagte der Passauer Politologe Heinrich Oberreuter dem Focus. „Würde die Union das einfach ignorieren, wäre das fatal.“
Die SPD, die auch viele Wähler nach rechts verlor, wird hier bisher kaum aktiv. Merz‘ Strategie, stark beeinflusst von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, setzt da an. Dass auch er inzwischen (mit gelegentlichem Schwanken) bei einem Nein zu Schwarz-Grün angelangt ist, ist auch eine Botschaft an AfD-Wähler, die im Parteienspektrum am allerweitesten von den Grünen entfernt sind. Zweiter Faktor: Glaubwürdigkeit.
Migrationspolitik als Wagnis: Merz riskiert CDU-Spagat zwischen AfD und Merkel-Kritik
An der Union klebt seit 2015 aus Sicht rechtskonservativer Wähler der Malus, mit der Merkel-Asylpolitik die Probleme verursacht und seither nie gelöst zu haben. Der offenkundige Bruch zwischen Merz und Altkanzlerin Angela Merkel letzte Woche, ihre zweimal öffentlich scharf geäußerte Kritik, kann dem CDU-Kanzlerkandidaten in diesem Milieu helfen. Er hofft, dass aus letzter Woche mit der Androhung eines Machtworts an Tag 1 als Kanzler und mit dem Abstimmungs-Ärger eine Botschaft hängen bleibt: Ihm ist bitterernst bei der Migration.
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„Ich halte es für sinnvoll, der Wählerschaft aufzuzeigen, dass es möglich ist, für eine restriktive Flüchtlingspolitik zu stimmen, ohne die AfD wählen zu müssen“, sagt Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing, unserer Zeitung. „Ob diese Rechnung aber tatsächlich aufgeht, ist noch offen.“ Die Politik-Professorin sieht ein Restrisiko: „Wenn es aus Sicht der Union blöd läuft, dann wird die CDU eingeklemmt zwischen einerseits den Kräften links der politischen Mitte, die mit starken Worten und viel Gefühl den ,Tabubruch‘ und die Gefahr der Zusammenarbeit mit der AfD an die Wand malen – und andererseits der AfD, die zu Unrecht von sich behauptet, in der Flüchtlingspolitik ,das Original‘ zu sein, was faktisch falsch ist.“
CDU im Spagat: Migration im Fokus, Wirtschaft droht ins Hintertreffen zu geraten
Münch hält den Themenschwenk unmittelbar nach den Morden in Aschaffenburg für „unvermeidlich“. Sie warnt jetzt aber davor, sich auf Dauer zu sehr auf Migration zu verengen. Dann drohe, „dass der CDU und Friedrich Merz womöglich das Thema verloren geht, für das ihr viel Kompetenz zugeschrieben wird – die Wirtschaftspolitik“.
Tatsächlich belegt das aktuelle ZDF-Politbarometer, dass die Migration nicht das glaubwürdigste Thema der Merz-CDU ist. 29 Prozent sprechen der Union auf diesem Politikfeld die größte Kompetenz zu, 16 Prozent der AfD. Bei Wirtschaft ist das Verhältnis 37:8. Das sind laut den Daten gleichzeitig die beiden wichtigsten Themen für die Bürger, jeweils rund 40 Prozent nennen dies, nur 15 Prozent Klima/Energie. Merz‘ Rede am Samstag beim CSU-Parteitag in Nürnberg dürfte sich genau daran orientieren.
Nach den Neuwahlen: Bas will (nur) Präsidentin bleiben
Bärbel Bas (57, SPD) stünde für eine zweite Amtszeit als Bundestagspräsidentin bereit – den Vize-Posten will sie allerdings nicht. „Wenn ich die Chance habe, würde ich es nochmal machen“, sagte Bas der Rheinischen Post. Ihr Nein zum Vize-Amt begründete sie: „Man sitzt ja in gemeinsamen Gremien – für die Nachfolgerin oder den Nachfolger wäre es vermutlich nicht schön, wenn ich mitrede, während möglicherweise Dinge geändert werden, die ich einmal durchgesetzt habe.“
Traditionell stellt die Fraktion mit den meisten Stimmen im Bundestag den Präsidenten. Allen Umfragen zufolge dürfte das Amt damit der Union zufallen. Unter anderem der frühere Kanzlerkandidat Armin Laschet aus Nordrhein-Westfalen wurde für den Posten schon mal gehandelt.