So viele Auswanderer wie nie: Das sind die Menschen, die Deutschland verlassen
83,6 Millionen Menschen leben in Deutschland, aber wie sich diese Zahl zusammensetzt, schwankt jedes Jahr stark. Für 2024 zählte das Statistische Bundesamt etwa 1,694 Millionen Zugezogene und 1,264 Millionen Menschen, die aus Deutschland weggingen. Die meisten auf beiden Seiten der Gleichung sind Ausländer. Menschen mit einem deutschen Pass machen nur 14 Prozent der Wanderungsbewegungen aus.
Sie stellen aber die größte Gruppe der Auswanderer: 255.455 Menschen, die in Deutschland geboren wurden, verließen 2024 das Land. Es sind sogar 269.986 Menschen, wenn man die zählt, die einen deutschen Pass besitzen. Darunter fallen dann etwa auch Deutsche, die aber im Ausland geboren wurden. Das Statistische Bundesamt hält die Wanderungszahlen seit dem Jahr 2000 bereit – nur 2016 und 2019 verließen noch ein paar tausend Menschen mehr mit deutschem Pass das Land als im vergangenen Jahr.
Woher wir wissen, wie viele Deutsche jedes Jahr auswandern
Das bedeutet aber nicht, dass auch das Auswanderungssaldo ansteigt. Im Gegenzug kehren auch viele Deutsche jedes Jahr wieder nach Deutschland zurück. 2024 waren es 189.107 Menschen mit deutschem Pass. Auch das ist überdurchschnittlich viel. Im Saldo gingen also 80.879 Deutsche mehr aus Deutschland weg als hierhin zogen. Seit 2000 ist das der vierthöchste Wert, wobei zu beachten ist, dass seit 2005 jedes Jahr die Zahl der Auswanderer die der Rückkehrer übersteigt.
Gemessen werden diese Zahlen von den Einwohnermeldeämtern daran, wie viele Menschen ihren Wohnort in Deutschland an- oder abmelden. Da dabei auch der vorherige beziehungsweise künftige Wohnort angegeben werden muss, ist also klar, wer Deutschland verlässt. Doch nicht jede Abmeldung ist eine Auswanderung für die Ewigkeit. Auch Studenten, die etwa einen Bachelor oder Master im Ausland machen oder Deutsche, die für einen Job mehr als ein Jahr in ein anderes Land ziehen, fallen in die Statistik.
Die Jungen und die Alten gehen immer schneller weg
Das Statistische Bundesamt kann daher die Statistik auch nach dem Alter der jeweiligen Wanderer aufschlüsseln. So stellt die Gruppe der 18- bis 29-Jährigen den größten Anteil an allen Wanderungsbewegungen. 2024 wanderten 75.559 Personen dieser Altersgruppe aus Deutschland aus. Damit stellte sie rund 28 Prozent aller Auswanderer. Zugleich kamen aber auch 52.772 Menschen in diesem Alter nach Deutschland zurück – ebenfalls rund 28 Prozent. Zugleich sind die 18- bis 29-Jährigen die Altersgruppe, deren Wanderungsbewegungen seit 2000 am stärksten zugenommen haben. Die Zahl der Auswanderer in diesem Alter hat sich seitdem fast verdreifacht, ihr Anteil an allen Auswanderern ist um vier Prozentpunkte angestiegen.
Mit zunehmendem Alter sinken die Wanderungsaktivitäten. Das ist wenig verwunderlich, schließlich haben junge Menschen meist keine familiären Bindungen an Deutschland und sind deswegen flexibler und mobiler. Zwischen 30 und 39 Jahren wanderten zuletzt noch 59.482 Menschen aus Deutschland aus, bei den 50- bis 59-Jährigen waren es dann nur noch 26.241. In der Altersgruppe darüber steigt die Zahl wieder auf 28.619. Erstens gehören hier viel mehr Altersjahrgänge dazu, zweitens sind Senioren oft wieder mobiler. Tatsächlich ist der Anteil an ausgewanderten Senioren – obgleich mit elf Prozent der zweitkleinste aller Auswanderer – derjenige, der seit 2000 nach den jungen Erwachsenen am stärksten anstieg. Von ihnen kehren zudem die wenigsten wieder nach Deutschland zurück. Auch das ist logisch. Wer für seinen Ruhestand auswandert, der geht nicht für ein zweijähriges Projekt, sondern meist bis zum Tod.
Der Job ist der häufigste Auswanderungsgrund
Die Deutschen sind dabei allerdings schon länger ein wanderungsfreudiges Volk. 2021 lebten nach Angaben der OECD rund 2,6 Millionen deutsche Staatsbürger im Ausland. Das entspricht einem Anteil von rund 3,0 Prozent an der deutschen Bevölkerung. Zwar gibt es Staaten mit weit höheren Quoten, unter den Industrieländern sie wir damit aber im vorderen Drittel. Vor uns liegen etwa noch Neuseeland, Irland und die Schweiz, hinter uns die USA, Frankreich, die Niederlande, Italien und Japan.
Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung versucht seit 2018 durch Umfragen zu ermitteln, wer die Menschen sind, die aus Deutschland auswandern. 2019 wurden die ersten Ergebnisse veröffentlicht. Demnach ist der typische deutsche Auswanderer 36,6 Jahre alt – zehn Jahre unter dem Schnitt der Gesamtbevölkerung – und hat eine hohe Bildung. Mehr als drei Viertel aller Auswanderer und Rückkehrer können einen Hochschulabschluss vorweisen. Hier sind also auch diejenigen enthalten, die für ein Studium ins Ausland ziehen und mit Titel wiederkommen.
Bei den Gründen für die Auswanderung gibt es viele Antworten. „Es liegt immer ein ganzes Motivbündel zu Grunde“, sagt denn auch Marcel Erlinghagen von der Universität Duisburg-Essen, der das GERPS genannte Projekt betreut. Häufigster Bestandteil dieses Bündels ist schlicht der Job. 58 Prozent der Auswanderer gaben ihn als Grund für den Standortwechsel an. Mit 46 Prozent folgt der Lebensstil auf Platz 2. Damit ist etwa gemeint, dass diese Menschen schlicht lieber an anderen Orten der Welt wohnen wollen, weil sie gerne reisen, die Tropen oder den hohen Norden dem deutschen Klima vorziehen oder den asiatischen oder südamerikanischen Lebensstil mehr schätzen. Dritthäufigster Auswanderungsgrund mit 36 Prozent sind Familie oder Lebenspartner, bei 30 Prozent ist es eben der Job des Partners. Für Studium gehen rund 20 Prozent und nur 18 Prozent gaben an, dass sie das Land verlassen haben, weil sie in Deutschland unzufrieden waren.
"Brain Circulation" statt „Brain Drain“
Finanziell zahlt sich der Umzug für die meisten aus. Im Schnitt gaben die Auswanderer an, dass ihr Nettoverdienst danach deutlich angestiegen ist – im Schnitt um 1186 Euro pro Monat. Allerdings sind die Zeiträume dabei unklar, da jeweils der letzte Lohn in Deutschland mit dem Lohn im Ausland zum Zeitpunkt der Befragung verglichen wurde. Da Menschen mit zunehmender Berufserfahrung aber auch in Deutschland höhere Löhne bekommen würden, lässt sich nicht sagen, inwieweit sie diese Lohnzuwächse auch in Deutschland gehabt hätten. Der Verdienst steigt dabei jedenfalls unabhängig vom Geschlecht oder Bildungsstand. Für eine Auszeit ziehen nur die wenigsten ins Ausland. Temporäre Ausstiege aus dem Erwerbsleben kommen bei 23 Prozent der ausgewanderten Frauen und 11 Prozent der ausgewanderten Männer vor.
Wer noch im Erwerbsleben auswandert, der geht meist nicht für immer, sondern nur für einige Jahre. Das ergab die GERPS-Studie ebenfalls. Langfristig gesehen führen die gestiegenen Auswandererzahlen also nicht zu einem „Brain Drain“. Als solches wird es bezeichnet, wenn hochqualifizierte und intelligente Menschen in Scharen ein Land verlassen. Ein solches Phänomen geht meist mit einem wirtschaftlichen Abstieg in der Folge einher, weil eben die passenden Fachkräfte für viele Jobs fehlen.
„Vielmehr deuten die Befunde auf eine ‚brain circulation‘ hin“, sagt Andreas Ette vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. Damit ist gemeint, dass Menschen ins Ausland gehen, dort vielleicht sogar zusätzliche Qualifikationen erwerben und dann wieder zurückkommen. Am Ende bleibt die Masse an „brain“, also Intelligenz und Qualifizierung, in Deutschland gleich.