Ampel-Aus lange vorbereitet? FDP soll auf ihren „D-Day“ hingearbeitet haben – Empörung in SPD

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Die FDP ist nicht länger Teil der Regierung. Ihren Bruch mit den Ampel-Partnern sollen die Liberalen wochenlang geplant haben. SPD-Politiker sind empört.

Berlin – Wirklich überraschend kam der Bruch der Ampel-Koalition nicht. Dafür waren die Differenzen zwischen den Parteien offenkundig zu groß, was letztlich in der Entlassung von Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner durch SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz gipfelte.

Bislang war in der Öffentlichkeit vor allem darüber spekuliert worden, inwiefern der Vorsitzende der Liberalen durch sein 18 Punkte umfassendes Wirtschaftspapier seinen Rauswurf und damit den Rückzug seiner Partei provoziert hatte. Offenbar war das Dokument aber nur ein kleiner Teil eines großen Plans, wie Recherchen von Zeit und Süddeutscher Zeitung (SZ) ergeben.

Ampel-Bruch: FDP soll Aus seit Ende September geplant haben

Den Berichten zufolge arbeitete die FDP wochenlang auf ihren Abschied aus der Regierung hin, ehe Scholz überraschend das Heft des Handelns in die Hand nahm. Der Anfang vom Ampel-Ende war demnach der 29. September – eine Woche nach der Landtagswahl in Brandenburg, die mit einer weiteren schallenden Wähler-Ohrfeige für den kleinsten Koalitionspartner endete.

Die Zeit sprach nach eigenen Angaben mit rund einem halben Dutzend Personen, die mit den Vorgängen vertraut sind und sah Dokumente ein, die in den Wochen seither entstanden sind. Bereits bei jenem Treffen in der Potsdamer Truman-Villa soll faktisch eine Entscheidung herbeigeführt worden sein, die Koalition zu verlassen – so haben es laut SZ einige Teilnehmer geschildert.

Erklärt das Ampel-Aus der FDP: Christian Lindner soll wochenlang auf diesen Moment hingearbeitet haben. ©  IMAGO / IPON

FDP verlässt die Bundesregierung: Lindner & Co. sollen auf ihren D-Day hingearbeitet haben

Anwesend waren neben Lindner auch Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, der Fraktionsvorsitzende Christian Dürr, Johannes Vogel als Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, die Minister Bettina Stark-Watzinger, Marco Buschmann und Volker Wissing sowie ein kleiner Kreis von Mitarbeitern und Vertrauten. Alles in allem zwölf Personen, intern das F-Kabinett genannt. Es trifft sich in der Regel wöchentlich in Berlin.

Zu den drei damals in den Raum gestellten Szenarien gehörte auch jenes, das als D-Day bezeichnet wurde. So nannten die US-Amerikaner den 6. Juni 1944, als ihre Truppen in der Normandie an Land gingen und den Kampf gegen Nazi-Deutschland aufnahmen, um Europa von Adolf Hitler zu befreien.

Im Falle der FDP ging es beim D-Day den Berichten zufolge darum, den Bruch mit SPD und Grünen zu provozieren, indem Scholz die Minister der Liberalen hinauswirft. Innerhalb des F-Kabinetts soll schnell klar geworden sein, dass Lindner dieses Szenario bevorzugt.

Lindner wollte wohl raus aus der Ampel: Nur Wissing im F-Kabinett für Fortführung der Koalition

Stark-Watzinger, Vogel, Dürr und Djir-Sarai sollen ihm von Anfang an gefolgt sein. Wissing habe sich gegen ein Koalitionsende ausgesprochen. Buschmann soll betont haben, es falle ihm schwer, ihm übertragene Verantwortung abzugeben, doch allen sei klar, dass Lindner die Partei in den Wahlkampf führen müsse.

Die Führungsfiguren wollten sich gegenüber der Zeit nicht zu den Recherchen äußern. Ein Partei-Sprecher erklärte lediglich, in den vergangenen Monaten hätte „immer wieder und in verschiedenen Runden eine Bewertung der Regierungsbildung“ stattgefunden. Und: „Selbstverständlich wurden immer wieder Szenarien erwogen und Stimmungsbilder eingeholt.“

Bei einem weiteren Treffen am 6. Oktober soll Lindner dann bereits in einer Power-Point-Präsentation aufgezeigt haben, wie er sich den Ausstieg aus der Regierung vorstellt. Auch für die Option, dass SPD und Grüne nicht anbeißen würden, soll vorgesorgt worden sein: In diesem Fall hätte die FDP demnach ihre Minister aus dem Kabinett abgezogen. Lindner wäre als FDP-Chef zurückgetreten. Aber nur vorübergehend: Bereits am 1. Dezember hätte der 45-Jährige auf einem Parteitag erneut zum Frontmann gewählt werden sollen.

Volker Wissing, Christian Lindner, Marco Buschmann (v.l.) und Bettina Stark-Watzinger in einer Reihe
Drei gehen, einer bleibt: Während Bettina Stark-Watzinger, Marco Buschmann und Christian Lindner mit der Ampel brechen, verlässt Volker Wissing (v.r.) lieber die FDP. © IMAGO / IPON

Scholz entlässt Lindner: Wirtschaftspapier namens „Torpedo“ beschleunigt den Bruch

Die nächste Zusammenkunft der FDP-Führungsriege fand demnach am 14. Oktober statt. Wissing habe noch einmal Bedenken angemeldet. Lindner aber sei noch nachdrücklicher geworden, soll betont haben, er sehe sich nicht imstande, die Partei in den Wahlkampf zu führen, wenn die FDP Teil der Regierung sei. Der Vorsitzende habe auf das Aus bestanden, mit Blick auf die Koalitionspartner gerufen, er könne diese Fressen nicht mehr sehen.

Weiter heißt es, die FDP wähnte sich in einer „Feldschlacht“, das Wirtschaftspapier sei zum „Torpedo“ deklariert worden. Dieser kommt letztlich schneller an die Öffentlichkeit, als es die Partei geplant haben soll. Seine Wirkung verfehlt er aber nicht.

Am 3. November wird Lindner dann zu Scholz ins Kanzleramt geladen. Es entstehen die bekannten Fotos, die beide nahe einer Fensterfront gut sichtbar im Gespräch zeigen. Hier soll der FDP-Chef erstmals gegenüber dem Kanzler das Ende der Koalition in den Raum gestellt haben, sollte es hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Vorstellungen keine Einigung geben.

FDP soll Ausweg aus Ampel gesucht haben: Wollten Liberale am 8. November Rückzug verkünden?

Am folgenden Morgen sei das F-Kabinett wieder zusammengekommen – nur diesmal ohne Wissing, der wenige Tage zuvor in einer Kolumne für die Frankfurter Allgemeine Zeitung öffentlich vor dem Ampel-Bruch gewarnt hatte. Lindner soll den Anwesenden mitgeteilt haben, er gehe nicht davon aus, dass der Kanzler die FDP vor die Tür setze.

Der neue Plan habe daher so ausgesehen: Der folgende Freitag, der 8. November, soll zum D-Day der FDP werden, die Minister ihren Rückzug aus dem Kabinett verkünden, während Scholz beim EU-Gipfel in Budapest weilt. Während einige Eingeweihte diese Idee gegenüber der Zeit berichtet hätten, sollen andere betont haben, es seien lediglich möglich Szenarien diskutiert worden.

Christian Lindner (l.) und Olaf Scholz schütteln sich die Hand
Ein Bild aus besseren(?) Ampel-Tagen: Im Sommer schütteln sich Christian Lindner (l.) und Olaf Scholz in der Bundespressekonferenz die Hand. © IMAGO / Political-Moments

Lindner und die Schuldenbremse: Scholz wird selbst aktiv und ist für alle möglichen Fälle gewappnet

Letztlich kommt der Kanzler den Liberalen sowieso zuvor. Denn mittlerweile habe es auch ihm gedämmert, dass es die FDP ernst meint und nicht bereit für Kompromisse ist. Scholz‘ Konter folgt am Mittwoch, dem Tag von Lindners Rauswurf. Er habe dem Finanzminister seinerseits ein Papier vorgelegt, dass keine Aussicht auf dessen Zustimmung hatte. Darin habe er die Aussetzung der Schuldenbremse gefordert – nur dann habe die Ampel eine Zukunft.

Lindner lehnt ab, Scholz trennt sich von ihm. Die folgende Rede soll der Kanzler bereits am Montagmorgen bei seinen Mitarbeitern in Auftrag gegeben haben – in drei Varianten. Neben der für den eingetretenen Fall gab es demnach auch eine für eine mögliche Einigung sowie eine weitere, falls die FDP hingeschmissen hätte.

Karl Lauterbach sitzt an einem Tisch und schaut zur Seite
Unfassbar enttäuscht: Karl Lauterbach kritisiert die FDP für den offenbar provozierten Ampel-Bruch. © IMAGO / serienlicht

SPD reagiert auf Berichte über kalkulierten Ampel-Bruch: „Unfassbare Enttäuschung“ bei Lauterbach

Die ersten Reaktionen auf die Berichte ließen nicht lange auf sich warten. So schrieb Arbeitsminister Hubertus Heil auf 𝕏: „Verantwortung als Fremdwort, Bösartigkeit als Methode.“ Der SPD-Politiker zeigte sich „tief erschüttert“.

Sein Parteifreund Karl Lauterbach schrieb: „Wie schäbig dieser Vorgang ist, eine unfassbare Enttäuschung. Auch menschlich ein Armutszeugnis. Mit einer solchen Partei darf man nicht regieren.“ Der stets als Ampel-Kritiker aufgetretene FDP-Vize Wolfgang Kubicki sei letztlich ehrlicher gewesen als „General Lindner“ – wohl eine Anspielung auf die militärischen Begriffe im Zuge des anscheinend kalkulierten Bruchs. Zudem äußerte der Gesundheitsminister seinen Respekt für den aus der FDP ausgetretenen Wissing.

Kurz und knapp kommentierte Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt die Berichte: „Aha.“ Viel mehr dürften sich SPD und Grüne auf der einen sowie FDP auf der anderen Seite aktuell auch nicht mehr zu sagen haben, sollten sich die Berichte als wahr herausstellen. (mg)

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