Rekord-Anstieg bei Krankenkassenbeiträgen: Was jetzt auf Versicherte zukommt
Gesetzlich Versicherten droht in den kommenden Jahren eine kontinuierliche Beitragserhöhung. Vertreter des Gesundheitssektors sagen, dass ein Anstieg des Zusatzbeitrags auf rund 2,5 Prozent nötig sein wird.
Berlin – Zum Jahreswechsel droht Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen ein weiterer Anstieg der Mitgliedsbeiträge. In einer unveröffentlichten Studie, die dem Handelsblatt vorab vorliegt, ist die Rede vom größten Finanzloch der gesetzlichen Krankenversicherungen in der Geschichte. Schätzerkreise einigten sich am Mittwoch auf eine nötige Anhebung der Zusatzbeiträge um 0,8 Prozent. Eine Reform des Gesundheitswesens soll langfristig Erleichterung bringen, doch in den nächsten Jahren müssen Versicherte weiter tief in die Tasche greifen. DAK-Vorstandschef Andreas Storm sieht die Schuld bei der Ampel-Koalition.

Krankenkassenbeiträge vor historischem Anstieg – Zusatzbeitrag könnte laut Studie auf 2,5 Prozent ansteigen
Insgesamt 68 Krankenkassen vergleicht die Verbraucherorganisation Stiftung Warentest miteinander und deckt so 97 Prozent aller Versicherten und Mitversicherten in Deutschland ab. Der Vergleich zeigt: 58 Krankenkassen haben 2024 ihre Beitragssätze erhöht. Nur drei Krankenkassen haben die Beiträge gesenkt. Damit setzt sich der Trend der steigenden Mitgliedsbeiträge für Versicherte fort. Eine unveröffentlichte Studie der Unternehmensberatung Deloitte, die dem Handelsblatt vorab vorliegt, beziffert das Finanzdefizit der gesetzlichen Krankenversicherungen im kommenden Jahr auf 46 Millionen Euro und spricht vom größten Finanzloch der Geschichte der Krankenkassen.
Die Folge des Defizits: Entweder höhere Steuerzuschüsse gewährleisten oder die Zusatzbeiträge der Krankenkassenmitglieder anheben. Der Zusatzbeitrag für Versicherte könnte dabei laut Studie auf 2,5 Prozent von derzeit 1,7 Prozent steigen. Dies bestätigt auch das Treffen der Vertreter des Gesundheitsministeriums und der gesetzlichen Krankenkassen am Mittwoch, die sich auf eine notwendige Beitragserhöhung, um 0,8 Prozent auf insgesamt 2,5 Prozent des Zusatzbeitrags geeinigt haben. Das wäre der höchste Anstieg bei den Krankenkassen-Zusatzbeiträgen, den es je gegeben hat. Sollte die Erhöhung des Schätzerkreises angenommen werden, resultiere das in einem Beitragssatz von insgesamt 17,1 Prozent.
Generell wird bei den Krankenversicherungsbeiträgen zwischen dem allgemeinen Satz und dem Zusatzbeitrag unterschieden. Der allgemeine Beitragssatz beträgt 14,6 Prozent, der von den Krankenkassen selbst festgelegte Zusatzbeitrag im Schnitt bisher rund 1,7 Prozentpunkte und wurde bereits Ende Oktober 2023 vom Gesundheitsministerium unter Leitung des SPD-Politikers Karl Lauterbach um einen Prozentpunkt angehoben. Der Zusatzbeitrag kann jedoch je nach Krankenkasse variieren und abhängig von der finanziellen Lage der Krankenkassen höher oder niedriger ausfallen.
„Beitragsschock“ bei Krankenkassenbeiträgen: Beitragserhöhungen auf rund 20 Prozent bis 2030
TK-Chef Jens Baas spricht in diesem Kontext von einem „Beitragsschock“. Im Interview mit der WELT geht Baas davon aus, dass die Krankenkassen Anfang 2025 im Durchschnitt ihre Beitragssätze, um 0,5 bis 0,6 Prozent anheben könnten. Insgesamt könnte es so zu einem Gesamtbeitragssatz von 17 Prozent kommen. „Das größte Problem ist, dass sich diese Entwicklung in absehbarer Zukunft nicht ändern wird“, ergänzt er. Bis 2030 prognostiziert er eine mögliche Steigerung der Beiträge auf im Schnitt 20 Prozent.
Im Interview erklärt Baas die Steigerung der Beitragssätze, wie folgt: „Die Hauptursache ist, dass die medizinische Versorgung schlicht teurer wird, ob im Krankenhaus oder in der Arztpraxis. Besonders die Kosten für Arzneimittel steigen enorm. Hinzu kommt, dass die Politik in den vergangenen Jahren neue, teure Gesetze beschlossen hat.“ Damit referiert Baas unter anderem auf den ehemaligen CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn, dessen Gesetze „in Summe deutlich teurer als nützlich waren.“ Aber auch den aktuellen Gesundheitsminister Karl Lauterbach mahnt Baas ab und fordert ihn dringend dazu auf, „die Ausgaben im Gesundheitswesen in den Griff zu bekommen.“
„Höchster Beitragssprung seit vielen Jahren“: DAK-Vorstandschef kritisiert Ampel-Koalition
Im Gespräch mit der BILD wirft DAK-Vorstandschef Andreas Storm der Ampel-Koalition vor, die vereinbarten Steuerfinanzierungen aus dem Koalitionsvertrag nicht geleistet zu haben. Darunter fallen auch die Kassenbeiträge von Bürgergeld-Beziehern. „Das wird wohl zum höchsten Beitragssprung seit vielen Jahrzehnten führen“, schlussfolgert er.
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Lauterbach bestätigt zwar, dass die Krankenkassenbeiträge wohl erstmal ansteigen werden, verteidigt sich jedoch mit der Krankenhausreform und der geplanten Pflegereform, die er aktuell durchsetzt. Es habe keinen Mehrwert, „einfach mehr Geld in das System zu pumpen, ohne die Strukturen zu reformieren“. Langfristig würden sich die Beitragssätze dann auch stabilisieren.
Sonderkündigung für Krankenkassenmitglieder möglich – so viel Geld kann man bei einem Wechsel sparen
Stiftung Warentest empfiehlt Krankenkassenmitgliedern, aufgrund der steigenden Beiträge, wenn möglich, zu günstigeren Krankenkassen zu wechseln, deren Zusatzbeiträge geringer ausfallen. Gerade wenn Krankenkassen ihre Zusatzbeiträge erhöhen, besteht die Möglichkeit, von einem Sonderkündigungsrecht innerhalb eines Monats Gebrauch zu machen. Für Versicherte, die bereits mehr als ein Jahr versichert sind, kann die Kündigung zu jedem Zeitpunkt erfolgen. Laut der Verbraucherorganisation können dadurch je nach Gehaltsklasse mehrere Hundert Euro gespart werden.