„Wird alles kaputt machen“: Putin schasst Schoigu – im Kreml herrschen jetzt Sorge und Verwirrung

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Wladimir Putin hat Sergej Schoigu entlassen. Auch für viele Insider in russischen Regierungskreisen ist diese Entwicklung eine faustdicke Überraschung.

Moskau – Die Nachricht überraschte viele Beobachter im Ausland, doch auch innerhalb Russland sorgte sie für Aufsehen: Sergej Schoigu ist nicht mehr russischer Verteidigungsminister. Die Entlassung sei für viele in der politischen und militärischen Führung Russlands ein Schock gewesen, wie ehemalige Beamte sowie dem Kreml und dem Verteidigungsministerium nahestehende Quellen der Moscow Times berichteten.

Verwirrwung und Überraschung bei russischen Insidern nach Schoigu-Entlassung

So ist bei vielen anonymen Quellen von Überraschung und Verwirrung die Rede. Bedenken gab es demnach auch, dass die Entscheidung die verlustreiche russische Invasion in der Ukraine gefährden könnte. „Es wird nicht funktionieren. Es wird alles kaputt machen“, sagte ein Regierungsbeamter.

Wladimir Putin
Der russische Präsident Wladimir Putin (l.) und der damalige russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu verlassen den Roten Platz nach der Militärparade zum Tag des Sieges. © Alexander Zemlianichenko/AP/dpa

Der Kreml begründete den Zeitpunkt der Entscheidung damit, dass das Verteidigungsministerium „innovativ“ bleiben müsse. Es müsse „offen“ sein für „die Schaffung von Bedingungen für die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Auf dem Schlachtfeld gewinne derjenige, „der offener für Innovationen ist“, fügte er hinzu.

Militärführung beschloss angeblich nach der Wagner-Revolte Schoigus Ende

Laut einer Quelle hatte der Kreml bereits im vergangenen Sommer nach der Meuterei der Wagner-Söldnergruppe gegen die russische Militärführung beschlossen, Schoigu abzusetzen. Schoigu galt lange Zeit nicht nur als politischer Verbündeter Putins, sondern auch als einer seiner wenigen Freunde innerhalb der Moskauer Führung. Ihre Männerfreundschaft stellten beide demonstrativ zur Schau: Sie sonnten sich gemeinsam halbnackt in Sibirien, angelten, sammelten Pilze und spielten zusammen Eishockey.

„Das Militär mag Shoigu einfach nicht“, ließ eine Quelle verlauten. Die meisten anonymen Quellen sehen den neuen Minister Andrei Belousov – einen ehemaligen stellvertretenden Premierminister und Wirtschaftswissenschaftler ohne militärische Erfahrung – kritisch. Die Ernennung sei „eine große Überraschung, die an einen Schock grenzt“.

Einige Beamte kritisierten Schoigu-Nachfolger Belousow: „Können Putins Labrador ernennen“

Schoigu war seit 2012 Verteidigungsminister. Er verkörperte zusammen mit Außenminister Sergej Lawrow die Kontinuität der verschiedenen Regierungen unter Putin. Der russische Präsident hielt auch trotz einer Reihe von Rückschlägen für die russischen Truppen zu Beginn des Kriegs in der Ukraine 2022 an Schoigu fest, obwohl es teils deutliche Kritik aus dem Militär an dem Minister gab.

Andrej Beloussow, Erster Stellvertretender Ministerpräsident von Russland, nimmt an einer Diskussion während des Apec-Gipfels teil. Der Wirtschaftsexperte wurde von Kremlchef Putin zum neuen Verteidigungsminister ernannt.
Ersetzt Sergej Schoigu als Verteidigungsminister: Andrej Beloussow © Sakchai Lalit/dpa/AP

Sogar eine Legende aus dem Alten Rom wurde von den Quellen als Vergleich bemüht: „Caligula ernannte sein Pferd zum Senator. In unserem Fall könnten wir Putins Labrador zum Verteidigungsminister ernennen!“ sagte ein aktueller Regierungsbeamter. Die Ernennung ergebe schlicht „keinen logischen Sinn“, sagte ein anderer. Belousow sei „ein reiner Theoretiker“, hieß es demnach weiter. „Er hatte wenig mit der tatsächlichen Wirtschaft zu tun.“ Dass er nun etwas Neues aufbauen müsse, sei „völliger Schwachsinn“.

Es gibt auch Lob für die Ernennung von Belousow als Nachfolger von Schoigu

Einige Quellen bezeichneten Putins Wahl von Belousow als Leiter des Verteidigungsministeriums jedoch als logischen und erwarteten Schritt zur Optimierung der Militärausgaben, da der Kreml die Wahrscheinlichkeit eines langfristigen Konflikts in der Ukraine erkennt. Ein aktueller russischer Regierungsbeamter zog Parallelen zwischen Beloussow und Schoigus Vorgänger Anatoli Serdjukow, der von 2007 bis 2012 die russische Armee reformierte und modernisierte.

„Belousows Aufgabe wird es sein, die Kriegsausgaben so zu optimieren, dass so viel Geld wie möglich in den Krieg und in die Tötung von Ukrainern fließt und nicht in die Taschen von Beamten des Verteidigungsministeriums“, äußerte der Beamte. Der neue Verteidigungsminister habe „kein eigenes Team“, sei „mit niemandem verbunden“, „von der Verwaltung besessen“ und „Putin gegenüber äußerst loyal“. Ein ehemaliger hochrangiger Kremlbeamter bezeichnete Beloussows Ernennung als „einen Schritt hin zu einer qualifizierten Aufsicht über die Wirtschaft der Armee“.

Kritik an Schoigu wegen Korruption im Verteidigungsministerium

Dahingehend wurde auch Kritik an Schoigu in Bezug auf Korruption laut: „In den meisten mit dem Verteidigungsministerium verbundenen Strukturen verschwand die Finanzierung auf mysteriöse Weise“, sagte eine dem Verteidigungsministerium nahestehende Quelle.

Der 68-jährige Schoigu Sekretär des wichtigen Nationalen Sicherheitsrates. Er wird damit Nachfolger von Nikolai Patruschew, der diesen Posten seit 2008 innehatte. Die Zukunft des einflussreichen früheren Chefs des Inlandsgeheimdienstes werde „in den kommenden Tagen“ mitgeteilt, erklärte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow mit Blick auf Patruschew. Außenminister Lawrow behält sein Amt ebenso wie der FSB-Chef Alexander Bortnikow und Auslandsgeheimdienstchef Sergej Narischkin. (cgsc mit afp)

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