Der Streit ums Bürgergeld zeigt, dass die SPD ihr Publikum nicht kennt
Montag
Dieser deutsche Rekord ist ein Ärgernis: Der Staat hat voriges Jahr 46,9 Milliarden Euro an Bürgergeld ausgezahlt. Von den 5,5 Millionen Beziehern hat fast die Hälfte keinen deutschen Pass. 6,3 Milliarden gingen an Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind. Laut der Münchner „Abendzeitung“ zählen dazu auch Empfänger, die ukrainische Pässe vorlegen, aber kein Wort der Sprache sprechen.
Die Regierung hatte sich in ihrem Vertrag darauf geeinigt, neu ankommenden Flüchtlingen aus der Ukraine nur noch die niedrigeren Leistungen für Asylbewerber zu gewähren.
Diese Regelung wünscht sich der bayerische Ministerpräsident Markus Söder auch für die Ukrainer, die schon im Land sind. Er begründet diese schon früher erhobene Forderung mit der erschwerten wirtschaftlichen Lage, die wegen der hohen US-Zölle vor allem auf die Automobilwirtschaft zukommen
wird.
Für denkbare Nachbesserungen ihres Programms hat die schwarz-rote Regierung eine vernünftige Regelung eingeführt. Der Koalitionsausschuss trifft sich regelmäßig und nicht nur in Krisenfällen wie zu Zeiten der Ampel. Um allerdings die Kosten für das Bürgergeld rasch und wirkungsvoll zu senken, braucht es die Zustimmung der SPD, und damit sieht es düster aus.
Schon hat sich ihr Generalsekretär Tim Klüssendorf gemeldet mit der Aussage, der Staat lasse sich nicht durch Kürzungen im Bürgergeld sanieren. Dieser pauschale Spruch verdrängt, dass große Summen an Steuergeldern eingespart werden können, wenn allein schon der Missbrauch abgeschafft wird.
Sogar Bas spricht von mafiaähnlichen Zuständen
Normale Bürger empören sich, wenn sie hören, dass kriminelle Banden den Staat systematisch um Bürgergeld betrügen. Vor drei Wochen habe ich in diesem Tagebuch beschrieben, wie kompetenzlos Jobcenter sich fühlen angesichts perfekt organisierter Verbrecher.
Sogar Arbeitsministerin Bärbel Bas spricht von mafiaähnlichen Zuständen. Der Generalsekretär Klüssendorf sollte sich dafür einsetzen, dass Polizei und Staatsanwälte den Jobcentern helfen dürfen. Stattdessen ignoriert dieser Funktionär die reale Lebenswelt. Hat dieser Mensch ein Brett vor dem Kopf?

Liest er keine Zeitungen oder lässt sie wenigstens lesen? Er müsste aufschreien, wenn er vor ein paar Tagen die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ gelesen hätte. Da wird eine Unternehmerin wörtlich zitiert: „Uns haben schon Mitarbeiter gekündigt mit der Begründung: Ich gehe jetzt in Bürgergeld. Da bekomme ich mehr, als wenn ich bei euch arbeite.“
Jeder Handwerker kann dem Genossen Klüssendorf vorrechnen, dass der Abstand zwischen Arbeitslohn und Bürgergeld zu gering ist. Viele, auch Ausländer, wägen ab, ob sie für ein paar Euro weniger lieber morgens im Bett liegen bleiben. Oder schwarzarbeiten.
Der Generalsekretär kennt die Stimmung der Bürger nicht
Ein professionell informierter Generalsekretär muss auch die Fakten über die Ukrainer kennen. Dass in Deutschland nur jeder dritte erwerbsfähige Ukrainer arbeitet. Weil kein anderes Land der Erde ihnen solche Sozialleistungen gönnt
wie wir.
Der gröbste Fehler des Generalsekretärs ist aber, dass er die Stimmung der Bürger nicht kennt. In seiner eifersüchtigen Verblendung gegenüber dem Feindbild der Partner von CDU und CSU vergisst er die Basis, die er verloren hat.
Die wenigen Arbeiter, die noch SPD wählen und die vielen, die zur AfD übergelaufen sind, haben ein feines Gefühl für Fairness und Gerechtigkeit.
Sie gehen morgens zur Arbeit und beobachten das Leben um sich herum. Sie erkennen genau, was mit dem Bürgergeld falsch läuft. Und sie sind enttäuscht, dass die Regierung die Schäden nicht ausbessert. Die SPD müsste sich an die Spitze der Bewegung setzen.
FOCUS-Gründungschefredakteur Helmut Markwort war von 2018 bis 2023 FDP-Abgeordneter im Bayerischen Landtag.