Ex-BR-Chefredakteur Sigmund Gottlieb: „Es braucht auch starke konservative Stimmen“

  1. Startseite
  2. Kultur

KommentareDrucken

„Wir Journalisten sind nicht dazu da, etwas bewirken zu wollen. Wir müssen beschreiben und streng getrennt davon kommentieren“, sagt Sigmund Gottlieb, einst Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks. © Marcus Schlaf

Er prägte den Bayerischen Rundfunk wie kein Zweiter: Sigmund Gottlieb war von 1995 bis 2017 Chefredakteur des Senders und die konservative Stimme innerhalb der ARD. Im Interview schildert er seine Sicht auf die Medienlandschaft.

In den Achtzigerjahren war Sigmund Gottlieb beim ZDF beschäftigt gewesen, erst als Korrespondent im Landesstudio München, ab 1986 im Hauptstadtstudio (Bonn!) und ab 1988 schließlich als stellvertretender Redaktionsleiter und Moderator des „heute-journals“. Heute ist er als Publizist, Buchautor und Berater tätig. Bei einem Redaktionsbesuch in unserem Haus – hier hatte der 72-Jährige in den Siebzigern volontiert – spricht Gottlieb über seine Sicht auf die Medienlandschaft von heute, über die Frage nach der Ausgewogenheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und warum er findet, dass ein Mann wie Dieter Nuhr wichtig ist für die ARD.

Nach dem Willen der Experten-Kommission soll der Rundfunkbeitrag um 58 Cent auf monatlich 18,94 Euro erhöht werden. Einige Ministerpräsidenten sagen: Das ist viel zu viel. Die Sender finden das Gegenteil: viel zu wenig. Welche Seite hat Ihre Sympathie?

Sigmund Gottlieb: Ich halte diesen Betrag für eine akzeptable Erhöhung. Er liegt deutlich unter dem, was die Sender an Bedarf angemeldet hatten, und ist ein Zeichen dafür, dass bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten gespart und reformiert wird. Aber knapp 19 Euro pro Monat wären weiß Gott nicht zu viel. Dafür kriegen Sie in München kaum einen Schweinsbraten mit einer Halben Bier.

Trotzdem glauben Ministerpräsidenten, dass es populär ist und sie Wahlen gewinnen können, wenn sie gegen die Erhöhung eintreten. Woher kommt dieser Unmut vieler Bürger über die Beiträge?

Sigmund Gottlieb: Ich weiß nicht, ob sich der Unmut gegen die Beiträge richtet oder gegen das öffentlich-rechtliche System – oder gegen die Medien ganz allgemein. Er ist in einem Teil der Bevölkerung jedenfalls vorhanden. In einem weitaus größeren Teil jedoch nicht. Es gibt also nach wie vor einen großen Vertrauensvorschuss in die Medien allgemein, auch in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Aber wenn Sie mich nach dem Unmut fragen, dann sehe ich einen Wendepunkt, wo dieser an Fahrt gewonnen hat. Und das war das Jahr 2015.

Die Flüchtlingskrise.

Sigmund Gottlieb: Ja. Da habe ich festgestellt, wie in relativ kurzer Zeit viele Menschen in Deutschland der Ansicht waren, sie würden bei ARD und ZDF nicht mehr die ganze Sicht der Dinge dargestellt bekommen.

Haben sich die Bürger das eingebildet oder war es so?

Sigmund Gottlieb: Diese wachsende Unzufriedenheit habe ich als Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens, der damals für viele Sendungen verantwortlich war, unmittelbar wahrgenommen. Es war eine Mischung aus beidem. Ich denke schon, dass wir uns in den ersten Wochen sehr stark von der Wucht der Bilder, von der Emotionalität, von den tausenden Flüchtlings-Schicksalen haben beeindrucken und beeinflussen lassen. Aber die Gesichter der Flucht müssen natürlich auf der anderen Seite damit einhergehen, dass man die dadurch entstehenden Probleme der Menschen in Deutschland behandelt, die Schwierigkeiten, die mit dieser Krise einhergehen. Das haben wir auch getan – aber doch recht spät. In dieser Zeitspanne ist Vertrauen verloren gegangen.

Wird das in der ARD inzwischen kritisch gesehen?

Sigmund Gottlieb: Ja, das wird kritisch gesehen. Das Bewusstsein ist da.

Und wie gewinnt man Vertrauen zurück?

Sigmund Gottlieb: Mit gutem Journalismus, der alle Seiten darstellt. Der die Themen nicht nur emotional und gesinnungsethisch betrachtet, sondern auch verantwortungsethisch. Da ist Luft nach oben und da braucht es natürlich auch das entsprechende Personal.

Das fehlt Ihrer Meinung nach?

Sigmund Gottlieb: Ich kenne keinen einzigen Journalisten, der absichtlich Entwicklungen und Themen manipulieren möchte. Aber es ist auch eine Tatsache, dass – je nach Studie – zwischen 65 und 75 Prozent der Journalisten sich selbst als links von der Mitte angesiedelt einschätzen. Das muss nicht, kann aber Einfluss auf das Programm haben.

Weil diese linken Journalisten den Anspruch haben, die Welt besser zu machen?

Sigmund Gottlieb: Sie haben womöglich den Anspruch, etwas zu verändern. Und das ist ein Problem. Wir Journalisten sind nicht dazu da, etwas bewirken zu wollen. Wir müssen beschreiben und streng getrennt davon kommentieren. Und in diesem Rahmen würde ich mir schon wünschen, dass es im öffentlich-rechtlichen Journalismus mehr kluge und starke Stimmen im Spektrum rechts von der Mitte gibt.

Einen Gottlieb 2.0 sozusagen. Traut sich das heute keiner mehr?

Sigmund Gottlieb: Doch, es gibt schon einige. Beim BR zum Beispiel ist das zu sehen und zu hören. Aber das ist eine Landesrundfunkanstalt von vielen. Ich denke, dass es für eine jüngere Journalisten-Generation schon schwierig ist, eine vom Mainstream abweichende Meinung zu vertreten – auch und gerade im Kollegenkreis. Man schwimmt im Journalismus sehr gern in der Richtung des Hauptstroms mit, das ist meine Beobachtung. Um sich davon abzusetzen, braucht es eine Portion Zivilcourage. Für mich war das auch nicht immer leicht. Ich erinnere mich an Zeiten, als Ulrich Wickert in traurige Betroffenheit verfiel, wenn er mich in den „Tagesthemen“ als Kommentator ankündigen durfte – aus seiner Sicht musste. (Lacht.)

Kommen Sie – das haben Sie doch als Kompliment genommen.

Sigmund Gottlieb: Es war immer ein, ich sage mal, schönes Zusammenspiel. Es gehörte zu unserer augenzwinkernden Rollenverteilung.

Was halten Sie denn von dem Vorschlag einiger Politiker wie Markus Söder, dass sich die Öffentlich-Rechtlichen auf den Bereich Information konzentrieren und die Unterhaltung den Privaten überlassen sollten?

Sigmund Gottlieb: Das halte ich für keinen guten Vorschlag. Die Öffentlich-Rechtlichen haben einen Auftrag – und dazu gehört neben der Information die Bildung, die Kultur, die Unterhaltung. Und wenn ich mir einen Großteil der Unterhaltungsangebote der Privaten anschaue, bin ich froh, wenn es aus diesem Bereich auch Angebote aus dem öffentlich-rechtlichen Bereich gibt. Diesen Vorschlag von Söder halte ich also für nicht zielführend. Er entspricht auch nicht den Voraussetzungen des Rundfunkstaatsvertrags.

Und die Idee, die „kleinen“ Sender wie den Saarländischen Rundfunk abzuschaffen?

Sigmund Gottlieb: Wahrscheinlich würde das die Struktur verschlanken, die Sender schlagkräftiger machen, es würden sich Sparpotenziale ergeben. Aber das alles ist keine Entscheidung, die die Sender treffen, sondern die Politiker. Und daran wird es vermutlich scheitern. Denn die wissen ja, wo sie vorkommen. Oskar Lafontaine hat, um ein Beispiel von früher zu bringen, über Jahrzehnte gut von der Berichterstattung im SR gelebt. Was nicht heißen soll, dass ein Drittes Programm Erfüllungsgehilfe für einen Politiker wäre. Das nicht.

Verraten Sie uns, welche journalistischen Programme Sie gern schauen?

Sigmund Gottlieb: Als alter, aber jung gebliebener Nachrichtenmann sehe ich natürlich „heute-journal“ und „Tagesthemen“ sehr gerne, noch lieber als die „Schwarzbrot-Formate“ „heute“ und „Tagesschau“, weil es in den Nachrichten-Magazinen einfach mehr Gestaltungsmöglichkeiten gibt.

Sie haben das „heute-journal“ einige Jahre lang selbst moderiert.

Sigmund Gottlieb: Ja, und in dieser Zeit war ich übrigens auch „Täter“ und habe als Moderator mitunter von großer Meinungsfreude Gebrauch gemacht. Wie die anderen – Peter Voss oder Ruprecht Eser auch. Das war das Salz in der Suppe. Man darf es nur nicht übertreiben. Das gilt auch für die Korrespondentenberichte. Die Trennung zwischen Bericht und Kommentar muss immer da sein.

Kommentierung ist auch das Geschäft von Satire. Haben konservative Stimmen wie die von Dieter Nuhr hier inzwischen eher Platz als in den Kommentaren etwa in den „Tagesthemen“?

Sigmund Gottlieb: Das ist eine interessante These. Ich glaube nicht, dass das mit Absicht passiert ist nach dem Motto: Wir müssen die Stimme rechts von der Mitte in einer Satiresendung unterbringen und holen deswegen Dieter Nuhr. Es hat sich Gott sei Dank so ergeben – und nun kann man ihn freilich immer aus der Kiste ziehen, um zu belegen, dass in der ARD konservative Stimmen ihren Platz haben. Ich halte Dieter Nuhr für einen exzellenten Kopf. Ich bin ein Fan von ihm und finde es wichtig, dass jemand mit seiner Sicht der Dinge die ARD schmückt.

Auch interessant

Kommentare