Ärger um Aktivrente: Große Berufsgruppe ginge leer aus – „teures Steuergeschenk“

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Die geplante Aktivrente soll Beschäftigte im Rentenalter steuerlich entlasten. Doch selbstständige Ärztinnen und Ärzte bleiben außen vor.

Berlin – Mit der geplanten Aktivrente will die Bundesregierung ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer länger im Berufsleben halten. Damit soll dem Fachkräftemangel entgegengewirkt und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes gestärkt werden. Vorgesehen ist ein steuerfreier Zuverdienst von bis zu 2.000 Euro im Monat für Rentnerinnen und Rentner, die weiterarbeiten.

Ärztepräsident Klaus Reinhardt (links) fordert, auch selbstständige Medizinerinnen und Mediziner in die geplante Aktivrente einzubeziehen. © Foto links: IMAGO / IPON | Foto rechts: IMAGO / VectorFusionArt

Das Vorhaben von CDU/CSU und SPD betrifft jedoch nur Angestellte, nicht aber Selbstständige, Beamte oder Landwirte. Dieser Ausschluss sorgt nun für wachsende Unruhe – insbesondere in Berufsgruppen, die ohnehin stark unter Nachwuchsmangel leiden. Besonders deutlich wird der Protest aus der Ärzteschaft, wo die Versorgung schon jetzt an ihre Grenzen stößt.

Aktivrente: Ärztepräsident warnt vor Ausschluss Selbstständiger

Die Bundesärztekammer hält den Gesetzentwurf für unausgewogen, schreibt das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Sie verweist auf den wachsenden Ärztemangel, der bereits heute viele Regionen betrifft. Nach internen Erhebungen liegt der Anteil der über 60-jährigen Fachärztinnen und Fachärzte bei fast 30 Prozent, in der Allgemeinmedizin sogar über 40 Prozent.

Tausende Hausarztsitze sind unbesetzt, und viele Praxen finden keine Nachfolge. Wer in dieser Lage erfahrene Medizinerinnen und Mediziner steuerlich ausschließt, riskiere zusätzliche Versorgungslücken, warnen Branchenvertreter. Gerade auf dem Land sei die Bereitschaft vieler Ärztinnen und Ärzte groß, auch nach dem Rentenalter noch eingeschränkt zu praktizieren – sofern die Bedingungen stimmen.

Ärztepräsident Reinhardt fordert Änderung des Aktivrenten-Gesetzes

Ärztepräsident Klaus Reinhardt kritisiert die Pläne der Koalition deutlich. „Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Gesetzentwurf selbstständige Ärztinnen und Ärzte ausklammert“, sagt er dem RND. Wer den drohenden Versorgungsengpass im Gesundheitswesen verhindern wolle, dürfe „auf den Beitrag auch der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte nicht verzichten“.

Reinhardt betont, viele Medizinerinnen und Mediziner seien bereit, im Ruhestandsalter weiterzuarbeiten – häufig in Teilzeit oder auf Honorarbasis. Nach Schätzungen entspreche dieses Potenzial rund 20.000 Vollzeitstellen. „Steuerfreibeträge, wie sie das Aktivrentengesetz nun ausschließlich für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte vorsieht, können wichtige Anreize setzen“, so Reinhardt. Der Ausschluss der Selbstständigen sende jedoch „ein falsches Signal“ und mindere die Motivation, länger beruflich aktiv zu bleiben.

Was die Aktivrente der Bundesregierung vorsieht

Was ist die Aktivrente?
Sie ermöglicht einen steuerfreien Zuverdienst von bis zu 2.000 Euro monatlich (24.000 Euro jährlich) für Personen, die nach Erreichen der gesetzlichen Regelaltersgrenze weiterhin sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Der Betrag bleibt vollständig vom Progressionsvorbehalt ausgenommen – er wird also nicht nachträglich versteuert.

Wer profitiert?
Nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit sozialversicherungspflichtigem Beschäftigungsverhältnis. Selbstständige, Freiberufler, Landwirte, Beamte und Minijobber sind ausdrücklich ausgeschlossen.

Ziel der Regelung:
Laut Bundesregierung soll die Aktivrente ältere Fachkräfte länger im Arbeitsmarkt halten und die Weiterarbeit nach der Regelaltersgrenze attraktiver machen, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Steuerfreiheit:
Die Befreiung gilt nur für die Einkommensteuer. Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung bleiben weiterhin fällig.

Kosten für den Staat:
Medienberichte (u. a. ARD, MDR) gehen von hohen Steuerausfällen aus, die genaue Höhe ist noch nicht amtlich beziffert. Frühere Schätzungen nannten rund 890 Millionen Euro jährlich, diese Zahl gilt jedoch nicht als offiziell bestätigt.

Zeitplan:
Das Gesetz soll am 1. Januar 2026 in Kraft treten. Eine Evaluation nach zwei Jahren, also voraussichtlich 2028, ist vorgesehen.

Kritikpunkte:
Sozial- und Berufsverbände kritisieren den Ausschluss der Selbstständigen, eine begrenzte Wirkung auf Engpassberufe und bürokratische Hürden bei der Umsetzung.

Kritik an geplanter Aktivrente auch aus anderen Berufsverbänden

Unterstützung bekommt Reinhardt vom Verband der Gründer und Selbstständigen (VGSD). Dessen Vorstand Andreas Lutz sprach in der taz von einer „massiven und offensichtlichen“ Diskriminierung der Selbstständigen. Er warnte, die Bundesregierung verschärfe mit der geplanten Regelung eine Ungleichbehandlung, die sich bereits in anderen Steuer- und Sozialrechtsfragen zeige.

Abgeordnete der Grünen und der Linken halten die Aktivrente für sozial unausgewogen. Laut Grünen-Rentenexperte Armin Grau begünstige sie ausschließlich gutverdienende Angestellte, während Menschen in körperlich belastenden Berufen kaum profitieren könnten. Die Linken-Abgeordnete Sarah Vollath bezeichnete die Regelung gemäß der taz als „zu teures Steuergeschenk für Personen, die ohnehin schon viel verdienen“.

Merz-Regierung verteidigt Ausschluss der Selbstständigen

Die Bundesregierung um Kanzler Friedrich Merz hält dagegen, die Aktivrente solle gezielt sozialversicherungspflichtige Beschäftigung fördern. Selbstständige und Freiberufler arbeiteten ohnehin häufiger über das Rentenalter hinaus, weshalb hier keine zusätzlichen Anreize nötig seien. Das Ziel sei, konstatierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Fachkräfte in abhängigen Beschäftigungen zu halten und damit den Arbeitsmarkt zu stabilisieren.

Der Steuerfreibetrag wird laut Gesetzentwurf direkt über den Arbeitgeber abgewickelt. Wer im Rentenalter weiterarbeitet, kann bis zu 2.000 Euro monatlich steuerfrei verdienen. Sozialabgaben bleiben fällig, der Freibetrag ist aber vom Progressionsvorbehalt ausgenommen, so tagesschau.de. Die Regierung rechnet mit jährlichen Steuerausfällen von rund 890 Millionen Euro und erwartet, dass rund 168.000 Personen profitieren werden.

Bundestag entscheidet über Aktivrente – Änderungen noch möglich

Der Gesetzentwurf soll zum 1. Januar 2026 in Kraft treten und wird in den kommenden Wochen im Bundestag beraten. Beobachter schließen Nachbesserungen nicht aus. Insbesondere die Frage, ob auch Selbstständige in die Aktivrente einbezogen werden sollen, dürfte erneut aufkommen.

Für Ärztepräsident Reinhardt ist klar: Ohne die Niedergelassenen wird der Kampf gegen den Ärztemangel schwer zu gewinnen sein. „Wer den drohenden Versorgungsengpass im Gesundheitswesen ernsthaft verhindern will, darf auf den Beitrag auch der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte nicht verzichten“, sagt er. Die Koalition steht nun unter Druck, den Entwurf im parlamentarischen Verfahren zu überarbeiten und gerechter zu gestalten. (RND, Frankfurter Allgemeine Zeitung, tagesschau.de, taz, AFP, MDR) (chnnn)