Beitrag unseres Partnerportals „Economist“ - Trump wird nicht so schlimm? Wer das glaubt, macht sich selbst etwas vor
Nächste Woche werden zig Millionen Amerikaner Donald Trump wählen. Einige werden es aus Groll tun, weil sie Kamala Harris für eine radikale Marxistin halten, die ihr Land zerstören wird. Andere werden von Nationalstolz erfüllt sein, weil Trump sie glauben lässt, dass es mit ihm im Weißen Haus aufwärts geht. Andere werden Trump kühl als kalkuliertes Risiko wählen.
Die letztgenannte Wählergruppe, zu der auch viele Leser des Economist gehören, sieht Trump vielleicht nicht als jemanden, mit dem sie Geschäfte machen möchte, oder als Vorbild für ihre Kinder. Aber sie glauben wahrscheinlich, dass er während seiner Präsidentschaft mehr Gutes als Schlechtes getan hat. Vielleicht halten sie auch die Vorwürfe gegen ihn für maßlos übertrieben. Im Zentrum dieser Überlegungen steht die Vorstellung, dass Trumps schlechte Seiten von seinen Mitarbeitern, der Bürokratie, dem Kongress und den Gerichten in Schach gehalten werden.
Trumps großes Restrisiko
Diese Zeitung hält dieses Argument für leichtfertig und selbstgefällig. Amerika kann durchaus vier weitere Jahre Trump überstehen, so wie es die Präsidentschaften anderer fehlerhafter Männer beider Parteien überstanden hat. Das Land kann sogar prosperieren. Aber Wähler, die behaupten, realistisch zu sein, übersehen das Restrisiko einer Trump-Präsidentschaft. Indem sie Trump zum Präsidenten der freien Welt machen, würden die Amerikaner die Wirtschaft, die Rechtsstaatlichkeit und den internationalen Frieden aufs Spiel setzen. Wir können die Wahrscheinlichkeit, dass etwas schief geht, nicht abschätzen: Niemand kann das. Aber wir glauben, dass Wähler, die das Risiko herunterspielen, sich selbst etwas vormachen.
Manche werden das als Panikmache abtun. Es stimmt, dass sich unsere schlimmsten Befürchtungen über Trumps erste Amtszeit nicht bewahrheitet haben. Im Inland hat er die Steuern gesenkt und die Wirtschaft dereguliert, die schneller gewachsen ist als in jedem anderen reichen Land. Seiner Regierung gebührt Anerkennung für die Finanzierung von Impfstoffen gegen Covid-19, auch wenn er sich geweigert hat, die Amerikaner zur Impfung zu drängen.
Im Ausland hat er Stärke gezeigt und den Konsens in Richtung einer konfrontativen Haltung gegenüber China verschoben. Er half bei der Aushandlung des Abraham-Abkommens, das die Beziehungen zwischen Israel und einigen seiner Nachbarn regelt - ein Frieden, der bisher den regionalen Krieg überstanden hat. Er drängte einige Verbündete Amerikas, ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen. Selbst als Trump sich schändlich verhielt, indem er einen Angriff auf das Kapitol provozierte, um die Machtübergabe am 6. Januar 2021 zu verhindern, hielten die amerikanischen Institutionen stand.
Mit Trump droht die Super-Inflation
Wenn der Economist im Jahr 2016 so vieles nicht vorhergesehen hat, warum sollte man dann heute auf unsere Warnung hören? Die Antwort ist, dass die Risiken heute größer sind. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Politik von Präsident Trump weniger kohärent ist, die internationale Lage instabiler geworden ist und dass viele der nüchternen und verantwortungsbewussten Personen, die seine schlimmsten Instinkte während seiner ersten Amtszeit im Zaum hielten, durch Personen ersetzt wurden, die eher zu unkritischer Gefolgschaft neigen.
Die Anklage gegen Trump beginnt mit seiner Politik. 2016 war das Programm der Republikaner noch zwischen der Partei von Mitt Romney und der von Trump gefangen. Heute ist es extremer. Trump befürwortet Zölle von 20 Prozent auf alle Importe und hat davon gesprochen, mehr als 200 oder sogar 500 Prozent auf Autos aus Mexiko zu erheben. Er schlägt vor, Millionen illegaler Einwanderer abzuschieben, viele mit Jobs und amerikanischen Kindern. Er würde die Steuersenkungen verlängern, obwohl das Haushaltsdefizit ein Niveau erreicht hat, das normalerweise nur während Kriegen oder Rezessionen erreicht wird, was auf eine unbekümmerte Sorglosigkeit gegenüber einer soliden Haushaltsführung schließen lässt.
Diese Politik wäre inflationär und könnte zu einer Konfrontation mit der Federal Reserve führen. Dies hätte unweigerlich die Eskalation eines Handelskrieges zur Folge, welcher letztlich zu einer Verarmung Amerikas führen würde. Die Kombination aus Inflation, einem außer Kontrolle geratenen Haushaltsdefizit und einem institutionellen Verfall würde dazu führen, dass sich ausländische Akteure die Frage stellen, ob sie dem US-Finanzministerium unbegrenzt Geld leihen können.
Die Welt beneidet Amerika um seine Wirtschaft, aber nur, weil es ein offener Markt mit kreativer Zerstörung, Innovation und Wettbewerb ist. Manchmal scheint es, als wolle Trump ins 19. Jahrhundert zurückkehren und Zölle und Steuererleichterungen nutzen, um Freunde zu belohnen und Feinde zu bestrafen, die Regierung zu finanzieren und Handelsdefizite zu minimieren. Diese Politik könnte die Grundlagen des amerikanischen Wohlstands zerstören.
Drohgebärden und leere Versprechen
Ein weiterer Grund, der gegen eine zweite Amtszeit Trumps spricht, ist die Veränderung der globalen Lage. In den Jahren 2017 bis 2021 herrschte weitgehend Frieden. Trumps Anhänger führen dies auf seine Unberechenbarkeit und seine Bereitschaft zu harten und unkonventionellen Maßnahmen zurück – eine Kombination, die in der Tat unliebsame Länder in Schach halten kann. Als die außenpolitische Elite nach der Ermordung von Qassem Soleimani, einem der wichtigsten Generäle des Iran, vor den schlimmen Folgen warnte, sah sich Trump bestätigt.
Doch wenn der nächste Präsident sein Amt antritt, bedrohen zwei Kriege die Sicherheit Amerikas. In der Ukraine hat Russland die Oberhand und ermöglicht es Wladimir Putin, mit weiteren Aggressionen in Europa zu drohen. Im Nahen Osten könnte ein regionaler Krieg, der sich auf den Iran zubewegt, die Vereinigten Staaten noch mit hineinziehen.
Diese politischen Krisen könnten den Präsidenten in einer Weise auf die Probe stellen, wie es in seiner ersten Amtszeit nicht der Fall war. Seine leeren Versprechungen, der Ukraine innerhalb eines Tages Frieden zu bringen, sowie seine vorbehaltlose Unterstützung der israelischen Offensive sind nicht geeignet, Vertrauen zu schaffen.
Besonders bedenklich erscheint seine Geringschätzung von Bündnissen. Obwohl sie Amerikas größte geopolitische Stärke sind, betrachtet Trump sie als Betrug, der es schwachen Ländern ermöglicht, sich an seiner militärischen Macht zu bereichern. Trumps Großspurigkeit und Drohgebärden mögen ihn zum Erfolg führen, könnten aber auch die Nato zerstören. China wird sehen, wie aggressiv es gegen Taiwan vorgehen kann. Die asiatischen Verbündeten könnten zu dem Schluss kommen, dass sie der nuklearen Garantie Amerikas nicht mehr trauen können.
Selbst Ex-Mitarbeiter nennen ihn „verachtenswert“
Die innen- und außenpolitischen Risiken werden durch den letzten großen Unterschied zwischen Trumps erster und einer möglichen zweiten Amtszeit noch verstärkt: Er wäre weniger eingeschränkt. Der Präsident, der darüber nachdachte, Raketen auf Drogenlabors in Mexiko abzufeuern, wurde von den Menschen und Institutionen um ihn herum zurückgehalten. Seither hat sich die Republikanische Partei auf Trump eingeschworen. Befreundete Denkfabriken haben Listen mit loyalen Personen erstellt, die in der nächsten Regierung dienen sollen. Der Oberste Gerichtshof hat die Kontrolle der Präsidenten geschwächt, indem er entschied, dass sie nicht für ihre Amtshandlungen strafrechtlich belangt werden können.
Wenn die äußeren Zwänge nachlassen, wird viel mehr von Trumps Charakter abhängen. Angesichts seiner unverhohlenen Missachtung der Verfassung nach der Wahlniederlage 2020 ist es schwer, optimistisch zu sein. Die Hälfte seiner ehemaligen Kabinettsmitglieder hat ihm die Unterstützung verweigert. Der ranghöchste republikanische Senator nannte ihn einen „verachtenswerten Menschen“. Sein ehemaliger Stabschef und sein ehemaliger Kabinettschef nennen ihn einen Faschisten. Wenn Sie ein Vorstellungsgespräch mit einem Bewerber führen würden, würden Sie solche Hinweise auf den Charakter des Bewerbers nicht ignorieren.
Gute Präsidenten vereinen das Land. Trumps politisches Genie besteht darin, Menschen gegeneinander aufzuhetzen. Nach dem Tod von George Floyd schlug er vor, die Armee solle Demonstranten in die Beine schießen. Amerikas Wohlstand beruht auf der Vorstellung, dass Menschen unabhängig von ihrer politischen Einstellung fair behandelt werden. Trump hat damit gedroht, das Justizministerium gegen seine politischen Feinde einzusetzen.
Harris verursacht wenigstens keine Katastrophe
Neben Trump steht Kamala Harris für Stabilität. Es stimmt, sie ist eine enttäuschende Parteipolitikerin. Sie tut sich schwer, den Wählern zu sagen, was sie mit der Macht anfangen will. Sie wirkt unentschlossen und unsicher. Aber sie hat sich von den linken Ideen der Demokraten verabschiedet und setzt sich im Wahlkampf für eine Politik der Mitte ein, flankiert von Liz Cheney und anderen republikanischen Exilanten.
Sie weist eine Reihe von Unzulänglichkeiten auf, die jedoch nicht als disqualifizierend zu bewerten sind. Einige ihrer politischen Maßnahmen sind schlechter als die ihres Gegners, zum Beispiel ihr Hang zur Regulierung und zur weiteren Besteuerung der Vermögensbildung. Einige sind lediglich weniger schlecht, etwa in Bezug auf Handel und Haushaltsdefizite. Aber einige, in Bezug auf Klima und Abtreibung, sind eindeutig besser. Es ist schwer vorstellbar, dass Kamala Harris eine herausragende Präsidentin sein wird, obwohl Menschen einen überraschen können. Aber man kann sich nicht vorstellen, dass sie eine Katastrophe verursachen wird.
Präsidenten müssen keine Heiligen sein, und wir hoffen, dass eine zweite Präsidentschaft Trumps nicht in einer Katastrophe enden wird. Aber Trump ist ein inakzeptables Risiko für Amerika und die Welt. Wenn der Economist eine Stimme hätte, würde er sie Kamala Harris geben.
Dieser Artikel erschien zuerst im Economist unter dem Titel „A second Trump term comes with unacceptable risks" und wurde von Andrea Schleipen übersetzt.