US-Wahlen – FOCUS online vor Ort - Straftäter sauer: „Ich darf nicht mehr wählen, aber Trump darf Präsident werden“
Am 5. November wählen die USA einen neuen Präsidenten. Das Rennen zwischen Kamala Harris und Donald Trump könnte extrem knapp ausfallen. FOCUS online reist durch die Staaten und fragt Amerikaner, warum sie wem ihre Stimme geben.
Am 5. November wählen die USA einen neuen Präsidenten. Umfragen zufolge kann die Entscheidung zwischen Vizepräsidentin Kamala Harris (Demokraten) und Ex-Präsident Donald Trump (Republikaner) äußerst knapp ausfallen. Entscheidend wird sein, wie Harris und Trump in den sieben „Swing States“ abschneiden, wo Umfragen noch kein eindeutiges Bild zugunsten des einen oder anderen Kandidaten zeigen.
FOCUS-online-Reporter Ulf Lüdeke ist in den USA unterwegs, um sich von den Amerikanern selbst schildern zu lassen, was ihnen auf den Nägeln brennt und wem sie ihre Stimme geben werden.
Freitag, 25. Oktober 2024, Tucson, Arizona: José ist erschöpft, den ganzen Tag war er der sengenden Wüstensonne Arizonas ausgesetzt. In diesen Tagen kurz vor der Präsidentschaftswahl knacken die Temperaturen immer wieder deutlich die 30-Grad-Marke.
Müde lässt er sich auf einem Holzstuhl mit losem Bastgeflecht auf einer Veranda in Tucson nieder, nimmt eine Bierdose, öffnet sie und sagt: „Der Job der Migranten ist, sich auf den Weg zu machen in ein neues Land, einen Job zu finden, ein eigenes Geschäft aufzubauen, eine Familie zu gründen und glücklich zu werden.“
In den 90er-Jahren war es noch einfach, über die US-Grenze zu kommen
José ist 37, er stammt aus Mexiko City. Allerdings zählt er nicht zu den Hunderttausenden, die im vergangenen Winter und Frühjahr monatlich die Grenze illegal von Mexiko in die USA überwunden haben, die meisten davon in Arizona. „Ich bin mit meiner Mutter in die USA emigriert, da war ich noch ein kleiner Junge. Ich habe die US-Staatsbürgerschaft.“
Damals war es noch einfach, über die Grenze zu kommen. Es gab kaum befestigte Grenzanlagen. Auch nicht in Nogales, eine Stunde südlich von Tucson. Der Übergang gilt als einer der wichtigsten an der gesamten Grenze, sowohl für den legalen und illegalen Warenverkehr als auch für die legale und illegale Migration.
„Seit der Grenzzaun steht, stauen sich auf der mexikanischen Seite die Flüchtlinge. Wer illegal in die USA will, versucht es nun an den Stellen, wo kein Zaun steht.“
Allerdings sind trotz Donald Trumps „Versprechen“, eine Mauer auf der gesamten, 3145 Kilometer langen Grenze zu bauen, nur 727 Kilometer durch Zäune oder Mauern geschützt. Und nur 129 Kilometer davon wurden wirklich neu gebaut, der Rest wurde erneuert.
Was hingegen die Zahlen illegaler Grenzübertritte von 250.000 im Dezember auf etwas unter 60.000 im August zurückgehen lassen hat, ist eine neue Regelung der Biden-Regierung.
Sie gilt seit Juni und besagt, dass Personen, die bereits einmal versucht haben, illegal über die Grenze zu kommen, das Recht auf Asyl verwehrt wird.
José wütend: Trotz Schuldspruch als Straftäter kann Trump US-Präsident werden
Dass die Zuwanderung nun zum Politikum für die US-Präsidentschaftswahl am 5. Dezember geworden ist, kann und will José nicht verstehen. „Was ist schlecht an Migration? Wir kurbeln die Wirtschaft an, zahlen Steuern und machen Arbeiten, die kein gebürtiger Amerikaner mehr machen will.“ Am Ende, sagt José, sei auch für illegale Immigranten genügend Platz in diesem Land.
Mit Trump will José nichts zu tun haben, der sei „ein Verrückter“, den man nicht noch einmal als US-Präsident wählen dürfe. Das Wahlrecht steht ihm als eingebürgerter Einwanderer zu.
Und er würde, ließe man ihn, Kamala Harris wählen. Doch er habe sein Wahlrecht verloren, weil er wegen einer Straftat, auf die er nicht näher eingeht, verurteilt worden sei, sagt der Handwerker, der auf einer großen Baustelle in Tucson arbeitet.
Was José, der sich weder fotografieren lassen noch mit seinem richtigen Namen zitieren lassen will, ärgere, sei weniger, dass er nicht wählen dürfe. „Trump und ich sind beide wegen Straftaten schuldig gesprochen worden. Ich darf deswegen nicht mehr wählen, aber Trump darf Präsident werden. Alle Menschen sind gleich? Wer's glaubt, wird selig.“
+++
Ellijay, 21. Oktober: „I am a Donad Trump Baby!“, schallt es ins Geschäft
Mitten im Gespräch mit dem Reporter aus Deutschland in Ellijay im Norden von Georgia hält Jon Lock plötzlich inne: „I am a Donald Trump Baby!“, schallt es vom Eingang in den hinteren Bereich seines Geschäfts, und Lock muss lachen. Denn die Person, die den Satz gerufen hat, ist ein kleines Mädchen von fünf, sechs Jahren, das gerade mit den Eltern den „Trump Store“ betreten hat.
Poster von der bekannten demokratischen Politikerin Nancy Pelosi (84) als Zombie verunstaltet, T-Shirts, die Donald Trump mit blutendem Ohr nach dem Attentat und hochgereckten Mittelfingern zeigen, US-Präsident Joe Biden in diversen Varianten zu Fratzen verzerrt: Der Laden von Jon Lock und seiner Schwester Alicia hat es in sich. „LGBT“ steht hier nicht für „Lesbisch, Gay, Bisexuell, Transgender“, sondern für „Liberty, Guns, Beer, Trump“. Ob nun auf Stickern, Fahnen, Karten oder T-Shirts: so ein Geschäft wie das von Jon und Alicia gibt es in Georgia kein zweites Mal.

Kunden fragten während Live-Bericht zu Trump-Attentat, ob es schon T-Shirt dazu gibt
„Unsere Kunden kommen aus ganz Georgia und weit darüber hinaus. Die meisten nehmen mindestens ein bis zwei Stunden Fahrzeit auf sich, um zu sehen, was sie hier finden können“, sagt der 32-Jährige. Widerspruch gebe es nur sehr selten. Und wenn sich solche „Störer“ danebenbenähmen, würden sie von seinen Kunden öfter bis zum Auto auf dem Parkplatz vor dem Store „zurückbegleitet“, erzählt Jon. „Wir befinden uns hier in guter Gesellschaft. Bei den letzten Wahlen 2020 haben mehr als 80 Prozent im Gilmer County für Trump gestimmt.“
Was im September 2020 zu Coronazeiten als neue Geschäftsidee mit einer kleinen Druckerei begann, sei inzwischen zu einem einträglichen Geschäft geworden, sagt Jon. Und oft wären seine Kunden mit neuen Ideen sogar schneller als er selbst. „Mitte Juli sahen wir gerade im Fernsehen, dass auf einer Rally in Pennsylvania auf Trump geschossen worden war. Die Berichterstattung lief noch, da klingelte schon das Telefon, und jemand fragte, ob es T-Shirts mit Bildern vom Attentat gäbe“, so Jon. Das Gleiche galt für das berühmte Polizeifoto aus einem Gefängnis in Atlanta, wo Trump sich wegen zeitweiliger strafrechtlicher Ermittlungen gegen ihn im Sommer vorigen Jahres einfinden musste.

„Meine Mutter ist Demokratin und findet unseren Trump-Store fürchterlich“
Nicht alle in seiner Familie seien damit einverstanden gewesen, als er und seine Schwester beschlossen hatten, den Trump-Store zu gründen. „Meine Mutter ist Demokratin, sie findet es fürchterlich, dass wir das machen. Aber ich überzeugt davon, dass dieses Land Trump erneut als Präsidenten braucht. Vor allem, um die Migrantenflut einzudämmen“, meint John. Auch die finanzielle Unterstützung von fremden Ländern wie die Ukraine hält er für falsch. „Es kann nicht sein, dass wir Milliarden von Steuergeldern ins Ausland verschieben, während hier Kriegsveteranen auf Parkbänken übernachten müssen.“
Was ihn beunruhige, sei, dass zumindest die Amerikaner, die er kenne, aus Enttäuschung über das Wahl- und Regierungssystem immer weniger Lust zum Wählen hätten. „Meiner Meinung nach liegt das daran, dass die Leute ignorieren, dass es bei Bidens Wahlsieg viele Unregelmäßigkeiten gegeben hat.“ Es gäbe etliche Videos, die das bewiesen. Er selbst könne nicht begreifen, dass viele der Teilnehmer des Sturms auf das Kapitol Anfang 2021 noch im Gefängnis säßen, während „Wahlbetrüger“ noch immer frei herumliefen.
Warum noch immer niemand Anklage gegen angebliche Wahlbetrüger erhoben hat, hinterfragt Jon Lock hingegen nicht. Und er erwähnt auch nicht, dass sein Idol Trump der erste Ex-Präsident in der US-Gesichte ist, der von der Jury eines Gerichts im Mai für schuldig befunden wurde - für die Verschleierung von Schweigegeldzahlungen, und zwar in allen 34 Anklagepunkten.
Jon schöpft neue Hoffnung, das Trump die Wahlen gewinnen könnte
Nun, keine drei Wochen mehr vor der Wahl, schöpfen Jon Lock und seine Unterstützer jedenfalls neue Hoffnung, dass Trump die Wahl am 5. November doch noch gewinnen könnte, seit er in neuen Umfragen erstmals seit etlichen Wochen wieder gleichauf mit Kamala Harris liegt. „Das, was ich jedenfalls allen rate, ganz gleich, ob sie nun für Trump oder Harris stimmen, ist: 'Leute, geht wählen, denn das ist eure Pflicht'.“
+++
Atlanta, 18. Oktober: „Aggressiv, aber der bessere Business-Mann“ - so himmeln Migranten Trump an
„Es ist schon wahr: Trump kann manchmal ziemlich aggressiv und plump sein“, sagt der Kellner eines größeren chinesischen Restaurants in Clayton County im Süden von Atlanta am Donnerstag zur Mittagszeit. „Doch worauf kommt es bei einer Wahl denn am Ende an? Dass der Kandidat das Beste für einen selbst tut. Und ich glaube, das kann Trump. Denn im Gegensatz zu Kamala Harris verfügt er als Ex-Präsident und auch als Geschäftsmann über die bessere Erfahrung für dieses Amt.“
Der junge Chinese, der dies sagt, kam mit seinen Eltern vor zehn Jahren aus Zentral-China in die USA. Weil er aber noch keine US-Staatsbürgerschaft besitzt, sondern nur eine Greencard und deshalb noch nicht wählen kann, will er lieber anonym bleiben. Und etwas leiser und zum Reporter aus Deutschland geneigt sagt er: „Auch die meisten Freunde und Bekannten meiner Familie wählen Trump. Die Inflation drückt einfach viel zu sehr, die Demokraten haben in den letzten vier Jahren bewiesen, dass sie das nicht im Griff haben.“
Minderheiten kommen bei Wahl besondere Rolle zu
Je näher der 5. November rückt, desto genauer zeichnet sich in den Umfragen ab: Das Rennen um die US-Präsidentschaft zwischen Vize-Präsidentin Kamala Harris und Ex-Präsident Donald Trump könnte so knapp ausfallen, dass buchstäblich jede Stimme zählt. Ganz besonders gilt dies für sieben Swing States, in denen sich im Gegensatz zu den anderen in den Umfragen keine klaren Mehrheiten für die eine oder andere Seite abzeichnen.
Das Besondere an der Präsidentschaftswahl ist: sie wird nicht durch das Mehrheitswahlrecht entschieden, also direkt durch die abgegebenen Wählerstimmen, sondern von Wahlmännern und -frauen, die nur noch pro forma allesamt dem Sieger ihre Stimme bei einer weiteren Wahl geben. Der Kandidat, der die einfache Mehrheit in einem Bundesstaat erreicht, erhält also alle Stimmen der Wahlleute, der Verlierer hingegen geht leer aus.
Das ist auch der Grund, warum Minderheiten in den Swing States eine größere Rolle zukommen, wenn sich ihr Abstimmungsverhalten durch bestimmte politische Ereignisse oder durch einen wachsenden Anteil in der Bevölkerung verändert. Dem Bevölkerungsanteil entsprechend stellt Georgia wie auch North Carolina je 16 Wahlleute. Nur Pennsylvania stellt unter den Swing States mit 19 noch drei mehr.
Taiwanesische Einwanderin wird diesmal Harris wählen
Eine taiwanesische Journalistin namens Angela Chang, die in Buford im Gwinnett County ein Regionalbüro der chinesischsprachigen Zeitung „World Journal“ leitet, erklärte FOCUS online in einem Interview, dass sie eigentlich konservativ eingestellt sei und Republikaner wähle.
Doch bei dieser Wahl, so Chang, sei ihr dies nicht möglich - wegen Trumps Verhalten als US-Präsident in Bezug auf mexikanische Flüchtlinge. „Während der Trump-Regierung wurden Eltern von ihren Kindern getrennt, die ihre Eltern nicht wiederfinden konnten. Aus diesem Grund kann ich Trump nicht wählen, das ist völlig unbestritten.“
Harris fehlen wichtige Stimmen der schwarzen Wählerschaft
Eine weitere Minderheit, die größte in den USA überhaupt, ist die schwarze Bevölkerung. Viele Schwarze haben es Trump übelgenommen, dass er Harris unterstellt hatte, sie behaupte erst seit einiger Zeit, dass sie eine Schwarze sei, obwohl sie sich früher immer als indisch bezeichnet habe, da ihre Mutter aus Indien stammt.
Dennoch scheint Harris, die sich stolz selbst schon seit Jahrzehnten als Schwarze bezeichnet, mit rund 78 Prozent nicht jenen Anteil an schwarzen Wählern mobilisieren zu können, den der weiße Joe Biden 2020 für sich gewann, als 90 Prozent der Schwarzen ihm ihre Stimme gaben. In kurzen Interviews haben einige Schwarze in Atlanta FOCUS online erklärt, woran das ihre Meinung nach liegen könnte.
Bei Lateinamerikanern hat Trump einen schweren Stand
Bei lateinamerikanischen Einwanderern in Clayton County im Süden von Atlanta hingegen hat Trump einen schweren Stand. „Natürlich werde ich Harris, nicht Trump wählen, er hat zumindest einen Teil einer Mauer nach Mexiko gebaut und ist ein Rassist“, sagt ein Gemüsehändler, der als Fünfjähriger mit seinen Eltern aus El Salvador in die USA eingewandert war. Was er sich wünsche, sei, dass künftig mit kriminellen Migranten schonungsloser verfahren werde als bisher. „Anstatt sie ins Gefängnis zu werfen, sollten sie einfach abgeschoben werden.“
Weitere Geschichten von FOCUS-online-Reporter Ulf Lüdeke lesen Sie auf der nächsten Seite.