Merz will „Pflichtbeitrag zur privaten Altersvorsorge“ – das steckt dahinter

Mehrere Kommissionen arbeiten derzeit an Reformvorschlägen für die deutschen Sozialsysteme, doch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) ließ es sich am Wochenende in der Talkshow von Caren Miosga im ZDF nicht nehmen, schon einmal die Richtung vorzugeben. Wörtlich sagte er: „Unsere Bevölkerung wird für Rente, für Altersversorgung, für die Gesundheit und für die Pflege in Zukunft mehr vom verfügbaren Einkommen aufwenden müssen.“ 

Wie er sich das für die Rente vorstellt, verriet er auch: „Persönlich bin ich ein Befürworter eines Pflichtbeitrags in eine private kapitalgedeckte Altersversorgung.“ Damit Sie verstehen, was damit gemeint ist und was auf Sie zukommen könnte, haben wir die Auswirkungen eines solchen Pflichtbeitrages analysiert.

So viel zahlen Sie jetzt für die Rente

Das deutsche Rentensystem fußt auf drei Säulen. Für alle gilt die erste, die Gesetzliche Rentenversicherung. Hier zahlen Sie 18,6 Prozent Ihres Bruttoeinkommens jeden Monat ein, wobei der Arbeitgeber die Hälfte übernimmt, und erhalten dafür je nach Einzahlungshöhe mehr oder weniger Rentenpunkte. Diese werden bei Rentenantritt in einen Geldwert umgewandelt, womit sich ihre Gesetzliche Rente ermittelt.

Die zweite Säule ist die betriebliche Altersvorsorge. Mit ihr sind rund die Hälfte der erwerbstätigen Menschen in Deutschland zusätzlich abgesichert. Dabei zahlen Sie einen Teil des Bruttoeinkommens direkt in eine vom Unternehmen verwaltete Rentenkasse ein. Weil Ihr Arbeitgeber damit Steuern spart, muss er Ihre Einzahlungen bezuschussen, was am Ende für die Firma aber trotzdem vorteilhaft ist. Aus den Zinsgewinnen ihrer Einlagen und den Zuschüssen des Arbeitgebers ergibt sich im Alter dann eine Zusatzrente.

Die dritte Säule ist die private Altersvorsorge. Hierunter fallen alle Sparmaßnahmen, die sie nur für sich treffen. Das kann Geld auf einem Sparbuch sein, Anlagen in Aktien und Fonds, Immobilien, Gold und andere Wertgegenstände. Im besten Fall sollte sich dieses Ersparte ebenfalls passiv durch Zinsen und Renditen vermehren, so dass sie sich davon im Alter selbst eine Zusatzrente auszahlen können. Private Altersvorsorge ist deutlich weniger verbreitet. Das Bundesarbeitsministerium schätzt, dass rund 8,2 Millionen Menschen mit Riester-Verträgen vorsorgen – das wären etwa 25 Prozent aller Arbeitnehmer.

Das ändert sich mit den Merz-Plänen

Eine Änderung am Rentensystem ist bereits beschlossen. Die Beiträge zur Gesetzlichen Rentenversicherung werden ab 2027 ansteigen. Zunächst geht es von 18,6 auf 18,8 Prozent nach oben, ein Jahr später dann auf 20,0 Prozent. Das konterkariert die Aussage von Merz bei Miosga, wonach die anstehenden Reformen „nicht zwingend mit höheren Beiträgen verbunden sein“ müssen.

Die von ihm ins Spiel gebrachte Änderung bei der privaten Altersvorsorge käme da noch obendrauf. Ein „Pflichtbeitrag in eine private kapitalgedeckte Altersversorgung“ klingt stark nach dem schwedischen Modell. Hier zahlen Erwerbstätige neben dem Beitrag für die gesetzliche Rente noch 2,5 Prozent ihres Bruttoeinkommens in eine so genannte Prämienrente. Dabei dürfen sie aus Hunderten staatlich geprüften Fonds diejenigen auswählen, in die das Geld fließen soll. Das können Aktienfonds sein, aber auch andere Anlagearten. Wer sich für keinen Fonds entscheidet, dessen Geld wird automatisch in einen staatlich verwalteten Fonds angelegt. Die Auszahlungen aus der Prämienrente richten sich dann nach den damit erwirtschafteten Erträgen. Die FDP hatte dieses Modell bereits unter der Ampel-Regierung im Vorjahr angeregt und zudem mit dem am Ende verworfenen Generationenkapital fast den Einstieg in einen Staatsfonds beschlossen.

Das wären die Vorteile eines Pflichtbeitrags

Der große Vorteil einer verpflichtenden privaten Altersvorsorge ist, dass der Staat nicht mehr für die komplette Auszahlung der Renten zuständig ist. Ein Teil der Gelder würde am Finanzmarkt erwirtschaftet. Hier sorgen auch Gelder ausländischer Unternehmen und Konsumenten für die Gewinne. Eine kapitalgedeckte Altersvorsorge würde also Geld aus dem Ausland ins deutsche Rentensystem ziehen. Das senkt die Kosten für den Staat. 

Allerdings sind diese Einsparungen überschaubar. Experten empfehlen maximal vier Prozent des Bruttogehaltes zu investieren, die durchschnittliche Riester-Quote liegt bei 2,8 Prozent, im schwedischen Modell sind es 2,5 Prozent. Würden wir das übernehmen, läge der Anteil der privaten Vorsorge am Rentensystem ab 2028 zwischen 12,5 und 14,3 Prozent – je nachdem, ob die Zahlungen für die gesetzlichen Kassen um den Pflichtbeitrag gekürzt werden oder nicht.

Das wären die Nachteile eines Pflichtbeitrages

Was das schwedische Modell ebenfalls zeigt: Ein solcher Pflichtbeitrag führt nicht zu höheren Renten. Im skandinavischen Land liegt der gesamte Beitrag derzeit bei 18,5 Prozent des Bruttolohns, also vergleichbar mit unseren 18,6 Prozent. Vergleichbar ist auch das Rentenniveau, also das Verhältnis einer Standardrente zum Durchschnittslohn. Gilt bei uns dafür die Haltelinie von 48 Prozent, sind es in Schweden derzeit 46 Prozent – also ähnlich viel.

Dafür ist das Risiko für Erwerbstätige hier höher. Wer nichts tut und sein Geld einfach in den Staatsfonds wandern lässt, hat meist keine Probleme. Doch wer selbst einen Fonds auswählt, kann damit böse hinfallen. Die Hans-Böckler-Stiftung hat ausgerechnet, dass es allein in den 2010er-Jahren dreimal zu nominalen Rentenkürzungen kam, weil viele Fonds Verluste machten – also noch vor Einberechnung der Inflationsrate.

Nicht jeder kann sich einen Pflichtbeitrag leisten

Merz hat im Gespräch mit Miosga seine Pläne nicht detailliert ausgeführt. Deswegen ist unklar, welche der beiden Varianten er bevorzugt. Die eine wäre, den Pflichtbeitrag zusätzlich zum Beitrag zur Gesetzlichen Rentenversicherung zu erheben, die andere, letzteren Beitrag wie in Schweden um den Pflichtbeitrag zu kürzen. Letzteres hätte für die Masse der Versicherten keine Vorteile, sondern würde nur dem Staat etwas Geld sparen.

Ersteres jedoch brächte große Probleme mit sich. „Bisher sorgen noch zu wenige in ausreichendem Maße individuell für ihre Rente vor“, heißt es in einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung aus dem Juni. Rund ein Drittel der Erwerbstätigen würde demnach weder betrieblich noch privat vorsorgen. Das ist ein Problem, welches Merz mit seinem Pflichtbeitrag gerne angehen würde.

Keine Faulheit, dass Deutsche nicht vorsorgen

Nur: Dass ein Drittel der Deutschen nicht vorsorgt, liegt nicht an Faulheit. Nach Zahlen der Bundesarbeitsministeriums sinkt die Zahl derer, die privat investieren, mit dem Einkommen. Sind es bei Menschen, die mehr als 6000 Euro brutto pro Monat verdienen, rund 83 Prozent, sorgen nur noch 73 Prozent der Durchschnittsverdiener vor. Bei 3000 Euro Bruttogehalt sind es nur noch 52 Prozent und bei den rund 925.000 Menschen mit einem Einkommen von weniger als 1000 Euro nur noch 41 Prozent. 

Ein ähnliches Gefälle zeigt sich beim Bildungsniveau, wo rund 70 Prozent der Akademiker und Handwerksmeister investieren, aber nur 31 Prozent derer ohne Berufsabschluss, und beim Migrationshintergrund, wo dieser einen Abfall von 68 auf 50 Prozent bedeutet. Beides korreliert jeweils auch stark mit dem Einkommen, ist also verknüpft.

Wer ein geringes Einkommen hat, der kann also gar nicht privat vorsorgen und würde durch einen Pflichtbeitrag, der zusätzlich zur gesetzlichen Rente erhoben wird, zusätzlich belastet. Menschen mit höherem Einkommen wäre das egal, weil sie zum Großteil sowieso bereits privat vorsorgen. Sie hätten dadurch also keine höheren Ausgaben. Zudem dürften beliebte Fonds wie ETFs auf den Dax, den MSCI World oder den S&P 500 sowieso in der Liste möglicher Anlagen des Pflichtbeitrages erscheinen – Gutverdiener müssten also nicht einmal irgendetwas ändern.

Das wäre die bessere Alternative

Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat in ihrer Juni-Studie untersucht, welche Möglichkeiten es gibt, Menschen zu mehr privater Vorsorge zu motivieren, ohne sie zu stark zu belasten. „Die Erfahrungen der letzten 20 Jahre mit der Riester-Rente haben gezeigt, dass eine freiwillige Lösung Bürgerinnen und Bürger nicht ausreichend aktiviert, zusätzlich privat für das Alter vorzusorgen“, heißt es darin, aber auch: „Eine Verpflichtung wäre eine unangemessene Bevormundung, die die Wahlfreiheit der Bürgerinnen und Bürger zu stark einschränkt.“

Das Roman-Herzog-Institut hat sich deshalb im Ausland umgesehen und untersucht, inwieweit dortige Systeme geholfen haben. Dabei schneidet der Pflichtbeitrag wie in Schweden zwar gut ab, wendet aber eben Zwang an. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch Systeme wie in Großbritannien oder Neuseeland. Hier gibt es eine automatische Abgabe für kapitalgedeckte Fonds, allerdings können Bürger der Einzahlung dort widersprechen. Entweder sparen sie dann Geld oder sorgen selbst privat in dem Maße vor, wie sie es für richtig halten.

„Eine Standardlösung, die automatisch greift, der aber widersprochen werden kann, ist aus verhaltensökonomischer Sicht die beste Lösung“, sagt auch die Konrad-Adenauer-Stiftung. Sie führe dazu, dass sich jeder mit dem Thema Privatvorsorge zumindest beschäftigen muss – und dann die für seinen Geschmack, Lebenssituation und Geldbeutel beste Entscheidung treffen kann.