Reischbeirer Faschingszug: Seit 147 Jahren wird Tölz erobert
Wenn die Reichersbeurer Maschkera am 2. März beim Tölzer Nachbarn einfallen, ist das in 147 Jahren erst das elfte Mal, dass dieses ungewöhnliche Gaudispektakel stattfindet. Ein Blick in Geschichte.
Es ist nur eine vage Vermutung, dass schon 1858 unter dem Deckmantel eines Maschkerazugs eine Art Protestmarsch zugunsten des von der Obrigkeit verfolgten Haberfeldtreibens stattgefunden hat. „Schriftlich gibt es nichts“, sagt Gemeindearchivar Rudi Laimer.
Altes Tagebuch gibt Hinweise auf Faschingszug
So bleiben die Bäuerin Barbara Hagn und der Tölzer Kurier die frühesten Quellen des Faschingszugs. Barbara Hagn war nicht irgendwer. Sie war eine geborene von Steinsdorf, wie Laimer erzählt, deren Bruder viele Jahre Münchner Bürgermeister war. Sie heiratete in zweiter Ehe den Reichersbeurer Bauern Matthäus Rinner (beim „Zenz“) und hat ein „Einschreibbüchl“, also einer Art Tagebuch, geführt. In dem wird der Reichersbeurer Faschingszug erstmals beschrieben. Wie in Band 3 der Tölzer Buchreihe „Rare Fotos, vergessene Geschichte(n)“ nachzulesen ist, war es eine „großartige Faßnacht“, bei der 98 Mann und acht Wägen „mit herrlicher Mußig“ nach Tölz zogen. Eingeladen wurde dazu im Tölzer Kurier: „Nachmittags am 5. des Frühlingsmonats im Heulsjahre 1000, 800, 70 und 8.“ Beim zweiten Faschingszug – 21 Jahre später – wurde vom „Komm-mit-he!“ schon die „nickelne Hochzeit“ ausgerufen. Die 21, in Narrenlogik von hinten gelesen, ergibt die 12 für den 12. Hochzeitstag.
Ausschließlich Männer aus Greiling und Reichersbeuern zugelassen
Auf den Darstellungswägen sind ausschließlich Mannsbilder zugelassen, die aus Reichersbeuern oder Greiling kommen. Die Frauen haben indes eine andere, höchst wichtige Aufgabe Sie schwärmen entlang der Strecke und im überfallenen Tölz aus und verkaufen die mit allerlei Bosheiten gespickte Faschingszeitung, vielerlei Sorten Schnaps sowie möglichst viele Abzeichen. Mit ihrem Gelderlös wird zum großen Teil das nicht ganz billige Spektakel finanziert.
1955 wurde der zehnjährige Fahrrhythmus festgelegt
Früher fand der Faschingszug immer am Faschingsdienstag statt. Der Faschingssonntag ist erst ab 1955 üblich, dem Jahr, als es erstmals auch ein Komitee gab, das für die Organisation zuständig war. 1955 wurde auch der zehnjährige Fahrrhythmus festgelegt.Gab’s Besonderheiten? 1929 (16 Wägen) mussten sich die Maschkera und die Tölzer Zuschauer warm anziehen. Es herrschten stramme minus 32 Grad. 1965 hatte es kräftig geschneit. 321 Teilnehmer fielen mit 30 Darstellungswägen in Tölz ein. 1975 (40 Fahrzeuge, 275 Teilnehmer) und 1985 (43/332) werden in einer Faschingszug-Dokumentation von Heinz Neuschwender und Blasi Suttner schon als „Züge der Superlative“ bezeichnet. Tausende Besucher drängten sich in der Tölzer Marktstraße, wo das holde Burgfräulein Johanitta vo Reischbeiern (Hans Harrer) nach zähen Verhandlungen mit einem herzhaften Schmatz auf die Backe von Ritter Eckart von Tolzne (Eckart Fadinger) den Ehebund besiegelte.
Faschingszug stärkt Zusammenhalt im Dorf
1985 war es auch, als das Bayerische Fernsehen erstmals das Spektakel filmte und der Reporter eine interessante Rechnung aufmachte. Angesichts der 15 000 Zuschauer entlang der Strecke von Reichersbeuern nach Tölz, müsse eine Stadt wie München einen Faschingszug bis nach Frankfurt auf die Beine stellen, um den Vergleich mit den damals rund 1500 Einwohner-Dorf Reichersbeuern standzuhalten. Dass der Zusammenhalt im Dorf mit dem Faschingszug alle zehn Jahre auf besondere Weise gefordert ist und ihn stärkt, hat sich bis heute nicht geändert.


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