Seltene Krankheit: So schlimm steht es um Celine Dion
Seltene Krankheit: So schlimm steht es um Céline Dion
Sie hatte die stärkste Stimme im Pop. Dann gab Céline Dion bekannt, dass sie an einer extrem seltenen Krankheit leidet. Diese ist jetzt Thema einer beeindruckenden Dokumentation auf Amazon Prime Video.
Die größten Diven sind die, die über sich selbst lachen und Schwäche zeigen können. Wer Céline Dion 2007 bei „Wetten, dass..?“ hat sitzen sehen, wird die Kanadierin jedenfalls als eine der sympathischsten Vertreterinnen ihrer Zunft in Erinnerung behalten. Da sang die Frau, die über eine der gewaltigsten Stimmen der Popmusik verfügte, ihren Hit „My Heart will go on“ nicht, sie gurgelte ihn. Als Wetteinsatz.
Jetzt zeigt sich die 56-Jährige von ihrer verletzlichen Seite. Heute erscheint auf Amazon Prime Video der Dokumentarfilm „I am Céline Dion“, und wir lernen: Mehr als 250 Millionen weltweit verkaufte Alben nützen einem rein gar nichts, wenn der Körper streikt. 2022 wurde bei Dion eine extrem seltene neurologische Erkrankung diagnostiziert, das sogenannte Stiff-Person-Syndrom. Wie der Name schon sagt, kann es überall im Körper zu Muskelkrämpfen führen, sodass etwa die Hände und Füße erstarren. Und die Stimme versagt.

Und so ist dieser Film von Irene Taylor nicht das übliche Bio-Pic – hier geht es um alles. Darum dass jemandem, der die Performance liebt und für die Performance lebt, von jetzt auf gleich der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Ohne von einem Sprecher durch die Geschehnisse geführt zu werden, nur anhand zusammengeschnittener aktueller und historischer Aufnahmen, erfährt der Zuschauer von der existenziellen Krise – ja: Hölle –, durch die diese berühmte Frau geht.
Man sieht sie vor Schmerzen wimmernd auf dem Boden liegen
In der ersten Szene sieht man Céline, den braven Backfisch aus Charlemagne in Französisch-Kanada, der es kaum erwarten kann, ins Rampenlicht zu treten. „Ich will ein internationaler Star werden“, sagt der Teenager mit charmantem Akzent in verwackelten Videoaufnahmen. „Und ich will mein ganzes Leben lang singen können.“ Im Hintergrund hört man Maria Callas in der ersten „Carmen“-Arie die unzähmbare Liebe beschwören. Dann sieht man die Dion ein paar Jahre später im Aufnahmestudio am Mikro. „Sind alle bereit?“ fragt sie lächelnd. Und lässt einen derart markerschütternden Soul-Schrei los, dass sie hinterher fragt: „Geht’s dem Tontechniker gut?“
Es wird klar: Diese Gabe ist ihr ein und alles. Und man weiß, was es geschlagen hat, als man sie gleich nach dem Vorspann wimmernd auf dem Boden liegen sieht. Vor 17 Jahren, berichtet sie im Interview, habe es angefangen, dass sie sich beim Singen verkrampfte. „Meine Stimme hat mich durch mein Leben geführt“, sagt sie mit Tränen in den Augen. „Ich will mein Instrument nicht verlieren.“
Früher sagte sie, der Zuspruch durch ihr Publikum sei für sie wie eine Droge
Hürden gab es in diesem Leben von vorneherein genug – aber sie meisterte sie: Als jüngstes von 14 Kindern eines Waldarbeiters standen die Zeichen für die junge Céline nicht gerade auf Superstar in spe, sie wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Doch auch wenn der Kühlschrank leer war: Musikalisches Talent gab es in der Familie im Überfluss – und auch Liebe. Auf diesem Fundament brachte es Céline bis zur Berühmtheit in Kanada, gewann 1988 den Eurovision Song Contest (für die Schweiz) und wurde international nach und nach zum Star.
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In einem frühen Interview sagt sie, das Auftreten, der Zuspruch durch ihr Publikum seien für sie wie eine Droge. „Es ist nicht schwer, eine Show zu machen, es ist schwer, eine Show abzusagen.“ Der größte Kontrast sind also die Bühnenmitschnitte – der Star, der an der „Titanic“-Reling seinen Welterfolg schmettert – und die Interviewsituationen: Eine gealterte Frau mit streng zurückgebundenen Haaren im abgedunkelten Wohnzimmer, die erklärt, was die lange unerklärliche Krankheit mit ihr anstellt. Es rührt ans Herz, wenn Dion tränenüberströmt flüstert: „Ich glaube, ich war sehr gut.“ Und sie weiß, dass sie diese Frau nicht mehr ist.
Die Dokumentation zeigt, wie sich die Sängerin beim Therapeuten quält
So ist der Film zum einen eine Erklärung – warum sie so viele Shows abbrechen musste und sich schließlich ganz zurückzog. Weil sie trotz immer mehr Pillen ihre Stimme verloren hatte. Doch vor allem ist er das Dokument einer Kämpferin. Man sieht sie, wie sie sich beim Physiotherapeuten quält. Wie sie die Medikamentenschachtel befüllt. Und wie sie sich wieder für ein paar Minuten an Proben für Auftritte herantraut. „Du musst keine Berge versetzen, mach einfach nur weiter“, singt sie in „Who I am“. Die gezeichnete Stimme ist ihr sichtlich fremd, sie schluckt eine Pille, versucht es noch einmal. Viel besser.
Wenn ich nicht rennen kann, dann gehe ich. Kann ich nicht gehen, dann krieche ich. Aber ich höre nie auf.
„I am Céline Dion“ hat kein Happy End. Die Sängerin erleidet einen totalen körperlichen Zusammenbruch, liegt paralysiert auf einer Trage, schreit unter Schmerzen. Ein Arzt erklärt ihr, das liege an einer Überreizung des Hirns. „Weil ich gerade beim Singen so viel Spaß hatte?“, fragt sie entgeistert, und es ist klar, was das bedeutet. Sie wischt sich über die Augen. Und singt einen neuen Song, mit größerer Inbrunst als zuvor. „Wenn ich nicht rennen kann, dann gehe ich. Kann ich nicht gehen, dann krieche ich“, sagt sie. „Aber ich höre nie auf.“
Als der Film am Montagabend in New York Premiere hatte, feierten ihre Fans die so lange vermisste Sängerin. „Dies ist ein Liebesbrief für jeden von euch“, sagte sie unter Tränen über das Filmprojekt. Sie hoffe darauf, bald wieder auf der Bühne zu stehen. Am Ende sind die wahren Diven die, die kämpfen.
