Durch Ukraine-Krieg geschwächt: „Russland kann China in Zentralasien nicht viel entgegensetzen“
Noch arbeiten China und Russland in Zentralasien zusammen. Doch aus der Kooperation könnte bald Rivalität werden, sagt Expertin Nataliya Butyrska.
In Zentralasien zeigt sich: China und Russland sind mitnichten nur Partner, wie es die offizielle Propaganda weismachen will. Die beiden Nachbarländer sind auch Rivalen, die um Einfluss kämpfen. Wenn Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping in diesen Tagen am zweiten China-Zentralasien-Gipfel in der kasachischen Hauptstadt Astana teilnimmt, ist Russland der Elefant im Raum. Doch Putins Einfluss in der Region schwindet, erklärt die ukrainische Asien-Expertin Nataliya Butyrska im Interview.
Frau Butyrska, welche Interessen verfolgen Russland und China in Zentralasien?
Russland verliert derzeit in vielen Regionen an Einfluss – in der Ukraine natürlich, wo es seine Kriegsziele bislang nicht erreichen konnte, aber auch zum Beispiel in Georgien. Das macht Zentralasien für Moskau wichtiger als je zuvor, hier will Russland beweisen, dass es noch immer eine Weltmacht ist.
Wie zeigt sich das?
Aus Sicht Moskaus ist Zentralasien russisches Einflussgebiet, es ist eine Art Hinterhof für Moskau. Lange Zeit war es so, dass auch die Regierungen in diesen Ländern sehr enge Beziehungen zu Russland gesucht haben. Aber das ändert sich langsam. Denn die zentralasiatischen Ländern haben nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine erkannt, wie wichtig es ist, die eigene Souveränität zu verteidigen. Sie haben verstanden, dass Wladimir Putin davon träumt, die Sowjetunion wiederauferstehen zu lassen, und dass Russland eine Gefahr für sie darstellt. Es gibt Stimmen in Russland, die dafür plädieren, auch die zentralasiatischen Staaten unter russische Kontrolle zu bringen. Kasachstan könnte die Ukraine von morgen sein.
„Zentralasien könnte zum Schauplatz eines Konflikts zwischen China und Russland werden“
Zur Person
Nataliya Butyrska ist Ostasien-Expertin und Analystin beim New Europe Center, einer Denkfabrik mit Sitz in Kiew.

Versucht China, diese Verunsicherung auszunutzen?
Auf lange Sicht könnten Zentralasien zum Schauplatz eines Konflikts zwischen China und Russland werden. Momentan versuchen beide Länder allerdings noch, in der Region zusammenzuarbeiten, ohne sich dabei in die Quere zu kommen. Ihnen geht es vor allem darum, die USA und die EU aus der Region fernzuhalten. Wir sehen dennoch, dass der chinesische Einfluss in Zentralasien seit Jahren wächst. Aus chinesischer Sicht ist die Region heute viel wichtiger als vor zehn Jahren.
Warum?
Für China ist Zentralasien schon alleine deshalb wichtig, weil es an die muslimisch geprägte chinesische Region Xinjiang grenzt – eine Region, die für Chinas nationale Sicherheit entscheidend ist, weil Peking sich noch immer von islamistischem Terror bedroht sieht. Ein wichtiger Faktor ist zudem der Handel. Es war kein Zufall, dass Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping seine Idee der „Neuen Seidenstraße“ 2013 ausgerechnet in der kasachischen Hauptstadt Astana präsentiert hat. Derzeit sehen wir, wie China in der Region neue Handelsrouten nach Europa sucht, etwa über den sogenannten Mittleren Korridor, der China über Kasachstan, das Kaspische Meer und den Kaukasus mit Europa verbindet – unter Umgehung Russlands.

Worum geht es China noch?
China bezieht zudem große Mengen Öl und Gas aus Zentralasien, vor allem aus Turkmenistan – das Land verkauft mehr als die Hälfe seiner Öl- und Gasexporte an die Volksrepublik. China hat schon vor langer Zeit erkannt, wie wichtig es ist, seine Energielieferungen zu diversifizieren. Die derzeitige Eskalation im Nahen Osten dürfte Peking einmal mehr gezeigt haben, dass das die richtige Strategie ist. Umso wichtiger ist für China ein stabiles Zentralasien. Peking weiß allerdings auch, dass Russland diese Stabilität zerstören könnte.
„In Russland bewertet man den chinesischen Einfluss in der Region als Bedrohung“
Was folgt für China daraus?
China setzt sich zunehmend für die Sicherheitsinteressen der zentralasiatischen Länder ein. Es war ein wichtiges Signal in Richtung Putin, als sich Xi Jinping hinter die Souveränität und territoriale Integrität Kasachstans gestellt hat.
Wie blickt Moskau auf die neue Rolle Chinas in der Region?
In Russland bewertet man den chinesischen Einfluss in der Region als zunehmende Bedrohung. Russland kann dem aber nicht viel entgegensetzen, weil es durch den Krieg in der Ukraine geschwächt ist. Russland versucht deshalb, Einfluss auf die politischen Eliten in Zentralasien zu nehmen, die alle Russisch sprechen und enge Verbindungen zum Kreml haben. Aber das wird immer schwieriger, auf lange Sicht hat China die Oberhand.
Schaffen es die zentralasiatischen Länder überhaupt, ihre eigenen Interessen durchzusetzen?
Ihnen ist jedenfalls bewusst, dass sie in einer schwierigen Lage sind und dass es ihnen schaden würde, sich zu stark in die Abhängigkeit von China oder Russland zu begeben. Deshalb versuchen sie, auch zu anderen Ländern gute Beziehungen aufzubauen. Aber das ist nicht immer einfach, zum Beispiel mit Blick auf die USA. Washington sucht den Konflikt mit China, gleichzeitig ist die Volksrepublik für die zentralasiatischen Länder ein sehr wichtiger Wirtschaftspartner. Es ist schwierig, da eine Balance zu finden. Auch deshalb bemühen sich die Regierungschefs zunehmend um die Einheit Zentralasiens. Das sieht man zum Beispiel daran, dass zuletzt Kirgisistan und Tadschikistan einen alten Grenzkonflikt beigelegt haben. Diese Art von Einigkeit gab es vor dem russischen Angriff auf die Ukraine nicht.