Immer mehr Waffen im Ukraine-Krieg: Treiben die Raketen den Konflikt in den Abgrund?

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Als theoretisches Faktum rücken Verhandlungen um ein Kriegsende nach fast drei Jahren näher in den Fokus des Ukraine-Kriegs. Angesichts des neuen Raketen-Schlagabtauschs scheint es jedoch fern.

Kiew/Moskau – Nachdem sich der militärische Schlagabtausch zwischen der Ukraine und Russland in der vergangenen Woche noch einmal verschärft hatte, stellt sich nun die Frage, wie viele Eskalationsstufen der seit Februar 2022 währende Ukraine-Krieg vor einem möglichen Kriegsende noch passieren muss. Auf die Erlaubnis der USA für der Ukraine, Russland mit ATACMS-Raketen aus US-Produktion angreifen zu dürfen, folgten Schläge mit diesen Raketen auf russisches Gebiet. Weil sich Großbritannien der US-Erlaubnis anschloss, griff Kiew Russland vergangene Woche auch mit britischen Storm-Shadow Raketen an. Am Sonntag schloss sich auch Frankreich den USA und Großbritannien an.

Der Kreml antwortete auf die mit westlichen Waffen geführten ukrainischen Luftschläge der vergangenen Tage, indem er am Donnerstag wohl erstmals eine Interkontinentalrakete auf die Ukraine feuerte. Währen diese sich auch für atomare Schläge eignet, aber nicht für jenen Zweck beladen worden sei, deutete Putin mit dem Schlag auf die Stadt Dnipro wohl dennoch eine erneute Drohung vor dem Einsatz atomarer Waffen an. Unterdessen zeigt ein CNN Bericht, dass Russland die Ukraine auch mit nordkoreanischen Raketen angreift, die mit westlichen Komponenten versehen wurden. Und als Frage über alledem bleibt: Welche konkreten Ziele verfolgen Putin und Selenskyj mit ihren aktuellen Raketen-Strategien?

Putins Angriff auf Dnipro mit Oreschnik-Rakete ist neue Eskalationsstufe und Fingerzeig gen Westen

Als sich Putin am Donnerstag im Rahmen einer Rede an die russische Nation öffentlich zum Einsatz der Rakete äußerte, wurde dabei schnell klar, dass es sich dabei offenbar um ein neu entwickeltes russisches Geschoss handelt. In seiner Videoansprache nannte er das System „Oreschnik“. Amerikanische Raketenabwehrsysteme hätten keine Chance, diese Raketen abzufangen, behauptete Putin am Donnerstag in seiner Rede. Putin drohte zudem, dass jene Staaten zum Ziel russischer Angriffe werden könnten, die der Ukraine den Einsatz ihrer eigenen Raketen erlaubten.

Eine Woche heftigen Schlagabtauschs in der Luft liegt im Ukraine-Krieg hinter den beiden Ländern. Während der Abnutzungskrieg voranschreitet, bleibt die Möglichkeit von Friedensgesprächen weiter fern.
Schäden an einem Wohnhaus nach dem Raketenangriff auf Dnipro © picture alliance/dpa/Ukrainian Emergency Service via AP

Nicht nur der Zeitpunkt des russischen Angriffs auf die Großstadt Dnipro mit einer neuartigen Rakete legt nahe, dass der Kreml-Chef nach der US-Erlaubnis und dem Einlenken Frankreichs und Großbritanniens eine ganz klare Warnung an westliche Verbündete der Ukraine ausspricht, Kiew mit weiteren Waffen zu unterstützen. Auch die Tatsache einer öffentlichen Ansprache hierzu untermauert Putins abermals drohenden Gestus Richtung Westen.

Wolodymyr Selenskij erklärte am Samstag, Putins Angriff auf Dnipro mit einer noch Rakete von neuer Reichweite stehe im Zusammenhang mit der der bevorstehenden Amtseinführung des designierten US-Präsidenten Donald Trump im Januar. Russlands Ziel sei es, die Ukraine noch vor Trumps Amtsantritt aus einem von ihr gehaltenen Teil des russischen Territoriums zu vertreiben. „Ich bin mir sicher, dass er uns bis zum 20. Januar vertreiben will“, sagte Selenskyj über Putin. „Es ist sehr wichtig für ihn zu zeigen, dass er die Situation unter Kontrolle hat“, wurde Selsenskyj von der New York Times zitiert. Putins neuartige Rakete sei Teil dieser Kreml-Taktik.

Russland gewinnt in der Grenzregion Kursk mit Hilfe Nordkoreas offenbar wieder die Oberhand

Der designierte US-Präsident Donald Trump hatte sowohl während des Wahlkampfs als auch nach seinem Wahlsieg gesagt, die bisherigen Ukraine-Hilfen der Biden-Regierung überdenken zu wollen. Außerdem versprach der Republikaner, den Ukraine-Krieg beenden zu wollen. Denkbar sei Experten zufolge, dass Trump Friedensgespräche zwischen Russland und der Ukraine anregen will.

In der Ukraine löste der Angriff auf Dnipro Besorgnis aus, doch als er vorbei war, hatte er an der eigentlichen militärischen Lage und den vierlei Fronten am Boden wenig am De-Facto-Kriegsgeschehen geändert: Weder die von den USA bereitgestellten Raketen, die die Ukraine kürzlich auf Russland abfeuern durfte, noch die experimentellen Raketen, die Russland zurückgeschickt hat, sind in ausreichender Menge vorhanden, um eine nennenswerte militärische Wirkung zu erzielen, resümierte die New York Times ausgehend von Analysten.

Nachdem Kiews Streitkräften im August der überraschende Einmarsch in die russische Grenzregion Kursk gelungen war, schöpfte die Ukraine für einige Wochen und gar Monate Hoffnung im lange währenden Krieg. Mit der Unterstützung zehntausender Soldaten seines Verbünderten Nordkoreas gelang es Russland seit Anfang November jedoch, in Kursk langsam aber sicher wieder die Oberhand zu gewinnen, wie auch das Institute for the Study of War (ISW) in einer Analyse schreibt.

Angesichts des Raketen-Schlagabtauschs scheinen Verhandlungen eines Kriegsendes weiter fern

Aktuell dürfte die Ukraine weiterhin auf militärische Erfolge hoffen, die ihr im Falle potenzieller Verhandlungen mit Russland über ein Kriegsende eine bessere Ausgangslage verschaffen sollen. Der Kreml dürfte ein ähnliches Ziel verfolgen, was seinen Dnipro-Angriff mit neuem Arsenal nicht nur zu einem Fingerzeig Richtung Westen macht, sondern ihm auch hinsichtlich möglicher Verhandlungen in die Karten spielen sollte. Allerdings wirft die neue Eskalationsstufe hinsichtlich Luftangriffe im Ukraine-Krieg erneut die Frage auf, wie weit beide Länder von der Möglichkeit eines Kriegsendes noch immer entfernt sind. 

Eine weitere Differenz reißt die vom US-Sender CNN aufgestellte Vermutung auf, dass Russland bei seinem Angriffskrieg auf die Ukraine neben nordkoreanischem Personal auch Raketen aus nordkoreanischer Produktion nutzt, die mit westlichen Raketenkomponenten ausgestattet worden seien. Damit dürfte es Putin wohl erneut gelingen, westliche Sanktionen zu umgehen. Auch wenn es verwundern mag, wie westliche Raketenkomponenten überhaupt ins isolierte Nordkorea gelangen konnten, lägen CNN zufolge Hinweise darauf vor.

„Wir haben einige dieser Komponenten erfolgreich zurückverfolgt, und die letzten bekannten Verwahrer sind chinesische Unternehmen“, sagte Damien Spleeters, stellvertretender Direktor für Operationen bei CAR, das sich um die unabhängige Dokumentation abgezweigter Waffen bemüht. Das bedeutet, dass chinesische Firmen die Komponenten von Herstellern und einer Reihe von Zwischenhändlern gekauft haben.“ (fh)

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